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Kochgeschichten von starken Frauen
Rund ein Jahrhundert umfasst die private Rezept-Sammlung von Monika Frei-Herrmann. In ihrem Kochbuch „Mein kulinarisches Erbe“ macht die Grafikerin und Fotografin die Rezepte ihrer Großmutter Pauline, ihrer Mutter Irmgard, ihrer Tanten Gotchen und Henny und ihrer Schwiegermutter Elsy nun für die Allgemeinheit zugänglich.
Wenn Monika Frei-Herrmann damit beginnt, von den starken Frauen ihrer Familie zu berichten, dann werden ihre Zuhörer immer ganz andächtig: Denn gut kochen zu können ist die eine Sache. Doch mit Hilfe des Essens eine Atmosphäre des Wohlbehagens und der sinnlichen Freude zu zaubern ist, eine Gabe, die viele Menschen in der schnelllebigen Gegenwart vermissen. Dabei ist es gar nicht so schwer, ein Klima des zufriedenen Genießens zu schaffen. Dafür braucht es nicht viel Geld, dafür etwas Zeit, Entschlossenheit und ein Bewusstsein für Qualität. Die starken Frauen aus Monika Frei-Herrmanns Familie geben Anregung, wie das möglich wird.
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Großmutter Pauline
Als Pauline 1906 ihren Wilhelm heiratete, hatte sie eine fundierte Ausbildung als Geschäftsfrau, Bäckerin und Konditorin, dazu war sie geübt in Kinderpflege und Haushaltsführung. Das Paar bekam drei Söhne und eine Tochter. Pauline hatte die Gewohnheit, alles aufzuschreiben. Sie hinterließ viele Fotos, alle ordentlich beschriftet mit Namen, Ort und Datum. Darüber hinaus ein handgeschriebenes Kochbuch von rund 280 Seiten, das weit über eine Rezeptsammlung hinausgeht. Schönheitstipps, gesunde Ernährung, wie wichtig Schlaf ist, Putz- und Reinigungstipps, Rezepte zum Haltbarmachen von Lebensmitteln, Einkochen, erste Hilfe, häusliche Krankenpflege – es ist alles da. Themen, die heute ganze Bücherregale füllen, Stoff für endlose Fernsehsendungen – Pauline hatte alles bereits in den ersten 50 Jahren des letzten Jahrhunderts gesammelt. Inspiriert vom Vorbild meiner Großmutter habe ich früh begonnen eine eigene Sammlung von Rezepten anzulegen.
Als festlichen Auftakt zu jedem Familienessen servierte meine Großmutter eine Markklößchen-Suppe. Die Basis dazu ist natürlich eine Rindfleischbrühe, die immer auf ihrem Herd blubberte, ein herrlicher Fond für alle Gerichte. Dem Suppenauftakt folgt dann ein Kalbsragout begleitet von Badischen Späzle und Gemüse der Saison. Diese Tradition übernahmen auch meine Mutter Irmgard von ihrer Schwiegermutter und ich dann später von ihr.
Mutter Irmgard
Wenn eine Arbeit erledigt werden muss, wenn es sich nicht vermeiden lässt, dann mach sie perfekt, rationell, schnell, effektiv. Dann gibt Dir wenigstens Deine Arbeitsweise Befriedigung und ein Hochgefühl. Diese Lebensweise von Irmgard war der Trend der Zeit, der 1950er und 1960er Jahre. Rationelles Arbeiten war angesagt, wurde erforscht und analysiert. Die Miniküche wurde entwickelt, jeder Handgriff ausgetestet, die kürzesten Wege ermittelt, Bewegungsabläufe studiert und optimiert. Irmgard war eine „nachhaltige“ Hausfrau, die ihrer Zeit weit voraus war. Sie wusste, dass beste Qualität die Basis einer guten Küche ist. Schon früh hat sie mir beim Einkaufen auf dem Markt gezeigt, worauf zu achten sei, wann gute Qualität ihren Preis wert ist. Als berufstätige, geschiedene Frau blieb nur wenig Zeit für den Haushalt, aber hohe Ansprüche an eine gesunde Ernährung und das bei kleinem Budget. Das setzte gute Planung, vorteilhaftes Einkaufen und viel Selbermachen voraus.
Ein schönes Beispiel für Irmgards rationelle Haushaltsführung ist ihr Linsentopf. Den gab es sehr oft am Samstag. Der vorbereitete Linsentopf wurde aufgesetzt, die Familie machte den Wocheneinkauf und wenn alle wieder da waren, waren auch die Linsen fertig. Die köstlichen, badischen Rezepte ihrer Schwiegermutter Pauline hat Irmgard unverändert übernommen. Perfekt kochte sie an Festtagen oder wenn Besuch kam die Markklößchen-Suppe, Kalbsragout und die Badischen Späzle. Als Krönung eines Sonntags oder eines Festes servierte Irmgard ihre hochgelobte Käsetorte.
Schwiegermutter Elsy
Elsy liebte ihre Familie und sie liebte es, Gäste zu haben und sie zu verwöhnen. Sie hörte lieber zu als selber zu reden. Und sie merkte sich die Vorlieben ihrer Lieben. Ein gelungenes Essen machte sie glücklich. Sie plante und kalkulierte gut, kaufte frisch und günstig ein bei benachbarten Bauern, zog im Garten Salat und Gemüse. Auch wenn an ihrem Tisch oft zehn Personen saßen, geriet sie nie in Stress oder Hektik. Das Kochen war ihre Lust. Sie bereitete alles perfekt vor, verteilte die niederen Arbeiten, wie Tischdecken, Stühle rücken, Brot schneiden, Getränke servieren an die Familienmitglieder und zauberte ihre Gerichte punktgenau aus dem Backofen oder von der Herdplatte an den Tisch.
Ihre Schweizer Rösti überzeugten durch krosse Kruste bei weichem Innenleben. Dazu servierte sie ein perfekt gegartes Zürcher Geschnetzeltes. Aber auch so einfache Gerichte wie Ofenkartoffeln oder Zwiebelkuchen waren ein Gaumenschmauss.
Tante Gotchen
Immer gut drauf: Tante Gotchen sang gerne „Dein ist mein ganzes Herz“ von ihrem Lieblingssänger Rudolf Schock. Ihre helle Stimme klang bis in den Garten. Wenn sie sang, kochte sie und dann war sie glücklich. Kam sie bei „Ich bin die Christel von der Post“ an, erklang bald „Kinder essen!“ Meine Cousine und ich rannten in die Küche, wo Oma Lisbeth schon den Tisch gedeckt hatte. Opa Heinrich freute sich, wenn es sein Lieblingsgericht gab: grüne Sauce und Kartoffeln konnte er auch mit den wenigen Zähnen, die ihm geblieben waren, gut essen. Zum Nachtisch Grießbrei mit frischen Himbeeren, die wir Kinder im Garten gesammelt hatten. Tante Gotchens Essen war himmlisch. Die ältere Schwester meiner Mutter hat sehr früh die Arbeit in Küche und Haushalt in der Familie übernommen. Auch bei knapper Haushaltskasse verstand sie es, aus dem, was gerade da war, die köstlichsten Gerichte zu zaubern. Sie kombinierte, experimentierte, probierte – und das mit Leidenschaft und Freude.
Ihr berühmter Kartoffelsalat wäre vielleicht nie erfunden worden, wäre nicht überraschend die ganze große Familie zu Besuch gekommen. So raffte sie in ihrem Garten Gurken, Radieschen, Schnittlauch und Dill zusammen. Kartoffeln gab es im Keller und Eier im Stall. Mit Essig, Öl und einem Glas Saure Gurken zauberte sie diesen – mir unvergessenen – Kartoffelsalat, den ich schon oft wiederholt habe.
Tante Gotchens Kartoffelsalat ist auch heute immer noch der Renner. Das Geheimnis für den fluffigen Kartoffelsalat: Entwässerte Gurken und ein Schuss kochendes Wasser vor dem Wenden. Dazu passen vorzüglich Rind-Gemüse-Frikadellen. Auch der erste Frühlings-Salat aus ihrem Garten war immer etwas Besonderes.
Tante Henny
„Heute koche ich was Leichtes“, sagte Tante Henny gerne und auch oft. Dann gab es etwas mit Eiern. Was sie mit „leicht“ meinte, ist nie ganz klar geworden. Tante Henny hatte Hühner, aber keinen Hahn. „Wegen der Nachbarn“. Im Frühjahr, bevor der Gemüsegarten angelegt wurde, wanderten die Hühner in einem mobilen Zaun über die noch leeren Beete. So würden alle Larven, Käfer und Schnecken gefressen, bevor sie schlüpfen, erklärte sie. Nachts schliefen die Hühner im gut verschlossenen Stall. Sehr früh am Morgen öffnete Tante Henny, noch im Nachthemd, die Hühnertüre mithilfe einer Kurbel. Diese war mit einem langen Draht verbunden und reichte vom Haus quer durch den Garten bis zum Hühnerstall in der hintersten Gartenecke.
Ich liebte die Apfelküchlein von Tante Henny, denn ich durfte die Eier im Stall holen. Je nachdem wie fleißig die Hennen gelegt hatten, gab es viel oder sehr viel Apfelküchlein. Die Hennen hatten Namen und kamen gackernd gerannt wenn Tante Henny sie rief. Das Lieblingshuhn ging wie ein Hündchen mit ihr im Garten spazieren. Ruhte Tante Henny auf der schattigen Bank, lag das Huhn zu ihren Füßen in einer sandigen Kuhle.
Bei ihrer grünen Sauce schwor Tante Henny auf traditionell sieben Kräuter: Borretsch, Kerbel, Kresse, Petersilie, Pimpinelle, Sauerampfer und Schnittlauch. Alles wurde frisch in ihrem Kräutergarten geerntet, der von den prächtigen Kürbisarten umrankt war. Darzu kannte sie unendlich viele Rezepte: Kürbis-Suppe, Kürbis-Kuchen, Kürbis-Auflauf. In ihrem Vorratskeller lagerten viele Einmachgläser mit eingelegten Kürbis-Schnitze.
Mein kulinarisches Erbe - Kochen und Genießen gehört zu den großen Leidenschaften der Quell-Gestalterin und Fotografin Monika Frei-Herrmann. In einem handgeschriebenem Kochbuch sammelte sie ihre Rezepte: Traditionelles von der badischen Großmutter Pauline, der Mutter und den Tanten aus Hessen, der Schwiegermutter und von ihren Jahren in der Schweiz: Unkompliziert, wenig Zutaten, schnell zubereitet und sehr lecker.
Schritt für Schritt beschreibt und fotografiert Monika Frei-Herrmann erprobte Rezepte: Alltagsgerichte, Suppen, Salate, Gemüse, Eier- und Mehlspeisen, Geflügel, Fleisch, Fisch, Süßes, Kuchen.
Monika Frei-Herrmann
Mein kulinarisches Erbe
Traditionelle Rezepte, Schritt für Schritt fotografiert
Quell Edition 2018, 176 Seiten, QC49E02
ISBN 978-3-9819936-0-8, alter Preis 19,90 Euro
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Die Autorin:
Monika Frei-Herrmann
Kochen und Genießen gehört zu den großen Leidenschaften der Quell-Gestalterin und Fotografin.
In einem handgeschriebenen Kochbuch sammelte sie Rezepte aus ihrem Familien- und Freundeskreis. Diese Rezepte hat sie nun nachgekocht und Schritt für Schritt mit dem iPhone fotografiert. Es sind 100 geworden, von traditionellen Rezepten bis hin zu aktuellen Trends.
Portraitfoto: Sonja Herrmann
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