Philosophie für Zwischendurch: Schwerkraft und Gnade

 

Simone Weil (1909 bis 1943) war eine französische Philosophin, die dem Existentialismus zugerechnet wird. Auf sie geht der Gedanke der „décréation“, der totalen Selbstentäußerung des Menschen vor Gott zurück. Das Leben ist für sie die Suche nach dem Absoluten, nach Gott. Simone Weils wichtigste Schriften sind „Unterdrückung und Freiheit“ sowie die 1947 posthum veröffentlichte Schriften- und – Zitatensammlung „Schwerkraft und Gnade“. Gerade durch diese Sammlung  wurde Simone Weil nach ihrem Tod berühmt. Für sie verläuft das Leben zwischen zwei Polen. Auf der einen Seite steht die Schwerkraft, auf der anderen die Gnade. Die Wirklichkeit sieht sie physikalisch konnotiert, als Schwerkraft. Sie skizziert eine Art „Physik des Daseins“ oder „menschliche Mechanik“, in der Leid und Demütigung wie physikalische Kräfte weitergegeben werden. Die Wirklichkeit ist aber auch gleichzeitig durchdrungen vom Geist Gottes, der Gnade. Diese Gnade ist für sie wirklicher als die Schwerkraft der Wirklichkeit. Leid und Demütigung können nur durch diese Gnade aufgehoben werden. Die Sammlung „Schwerkraft und Gnade“ ist eine Metaphysik der Physik, das heißt über die Physik hinausgehend, die zentralen Begriffe wie Kraft, Energie, Mechanik, Gleichgewicht, Gegensatz in einen ungewöhnlichen moralischen Zusammenhang stellt. „Alle natürlichen Bewegungen der Seele sind Gesetzen unterworfen, die denen der stofflichen Schwerkraft entsprechen. Ausnahmen macht allein die Gnade. Der Gegensatz zur materiellen Welt, deren Bedingungen alle unterworfen sind, ist nicht der Geist. Der Geist kann die Gesetze der Schwerkraft zwar erkennen, er kann sie aber nicht aufheben. Die Gesetze der materiellen Welt können nur durch Gott, durch die Gnade aufgehoben werden. In der Konfrontation mit dem Materiellen erfährt der Mensch, was es bedeutet, unterworfen zu werden, zum Beispiel unter die Gesetze der Schwerkraft. Eine moderne Form dieser Unterwerfung sieht sie in der Arbeit in einer Fabrik.  Nur die Anerkennung der eigenen Geschöpflichkeit kann den durch diese Art der Arbeit versklavten Menschen mit seinen Schicksalsgenossen solidarisieren und versuchen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, was in der Realität sehr schwer sein dürfte. Der Widerspruch zwischen Schwerkraft und Gnade, dem Sein und dem Nichts, um ein Werk ihres Zeitgenossen Jean Paul Sartre zu zitieren, wird unter Simone Weils Blickwinkel produktiv: „Findet man die Fülle der Freude in dem Gedanken, dass Gott ist, so soll man die gleiche Fülle in der Erkenntnis finden, dass man selbst nicht ist, denn das ist ein und derselbe Gedanke.“

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