Platon: Über die Voraussetzungen für Frieden
„Die vornehmste Grundlage eines glückseligen Lebens aber ist dies, dass man weder Unrecht tut noch von anderen Unrecht erleidet“. Dies gilt sowohl für jeden Einzelnen, als auch für den Staat in seiner Gesamtheit. Dieses Zitat stammt aus Platons Schrift „Nomoi“ (die Gesetze), die neben der Politeia zu den wichtigsten Schriften der Staatsphilosophie – und theorie gehören. Das Erstere, kein Unrecht zu tun, führt Platon aus, ist nicht so schwer zu erreichen, es ist eine Charakterfrage. Kein Unrecht zu erleiden, hat man nicht immer selbst in der Hand, dies ist eine Sache, die man nicht immer beeinflussen kann. Auch das gilt sowohl für das Privatleben als auch für die Gesellschaft. Wichtig ist, so Platon, sich soviel Macht zu erwerben, dass man sich gegen jedes Unrecht absichern kann. Dies wiederum geht nur, wenn man selber vollkommen tüchtig dasteht. Dieses „tüchtig“ könnte man mit „stark“ übersetzen. Ist der Einzelne stark, so werden andere es nicht wagen, ihm unrecht zu tun, er wird kein Unrecht erleiden. Ebenso geht es dem Staat. Ist der Staat stark, verfügt er über Macht, so wird ihm ein friedliches Leben zuteil. Ist er es nicht, so wird er von innen und außen bedrängt. Wenn dem so ist, so muss sich jeder Einzelne nicht erst im Krieg, sondern bereits in Friedenszeiten auf den Krieg einüben und einstellen, damit er nicht überrascht wird. Um den Frieden zu bewahren, muss man auf den Krieg gefasst und darauf vorbereitet sein. Platon spricht von mehrtätigen Übungen im Monat, an denen nicht nur Männer, sondern auch Frauen und Kinder in der für sie geeigneten Art und Weise teilnehmen. Auf diese Weise wird das Volk stark und verschafft sich Autorität. Es besteht keine Gefahr, angegriffen zu werden und Unrecht erleiden zu müssen. Da die anderen Völker ebenso handeln, besteht auch für sie keine Gefahr. Nach der platonischen Lesart ist Frieden also nur dann möglich, wenn man auf den Ernstfall eingestellt und für den Ernstfall gerüstet ist. Frieden würde somit, modern gesprochen, durch Abschreckung und nicht durch Appeasement erfolgen. „ To be prepared for war is one of the most effectual means of preserving peace”. Auch George Washington scheint Platon, zumindest in der lateinischen Übersetzung, gelesen zu haben.
Die Theorie Platons kann man heute nicht mehr nur auf einzelne Länder, sondern muss sie auch auf ganze politische Systeme anwenden. Ein einzelnes Land hat im Ernstfall keine Chance, sondern ist auf Verbündete angewiesen. Und es ist die Aufgabe der Verbündeten, dafür zu sorgen, dass alle Menschen in diesem Bündnis in Frieden leben können.
Den scheinbar wohlmeinenden Äußerungen eines politischen Feindes Glauben zu schenken ist obsolet geworden. Es bleibt zu hoffen, dass die Verantwortlichen aus dieser Fehleinschätzung, die auf Gutgläubigkeit, vielleicht auch Naivität beruht, lernen, damit nicht noch mehr Unschuldige Unrecht erleiden müssen.
Mehr von Helga Ranis
Arbeit als philosophischer Begriff
Für Wunder muss man beten, für Veränderungen aber arbeiten
Das gute Leben im Ganzen der Natur
Über die Notwendigkeit des Verzichts
Der Unterschied von “ich” und “wir”
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus
Die fünf Wege, Gott zu erkennen
Die größte Tugend ist es, dem Weg zu folgen und nur diesem Weg
Über die Ausgeglichenheit der Seele
Philosophische Gedanken über das Alter: “De senectute” von Marcus Tullius Cicero
John Stuart Mill: Vom Prinzip des größten Glücks
Selbstreflexion von Blaise Pascal: Was ist ein Mensch in der Unendlichkeit?
Tipps von Epiktet: Wie wir innerlich frei werden können