Philosophische Gedanken über das Alleinsein

Wenn man über einen längeren Zeitraum alleine ist, bekommen auch die Gedanken mehr Platz und man hat die Chance, die nur mit sich selbst verbrachte Zeit zu nutzen. Beim Alleinsein in Krisenzeiten ist nicht die soziale Einsamkeit von Menschen gemeint, für die Einsamkeit ein Dauerzustand ist und insgesamt ein riesiges gesellschaftliches Problem darstellt.  Einsamkeit in Krisensituationen kann zwar langwierig sein, ist aber vorübergehend. Sie bedeutet ein Zurückgeworfen sein auf sich selbst, eine Rückbesinnung auf sich selbst, man muss sich selbst aushalten und man muss es mit sich selbst aushalten. Man kommt sich vor, wie auf einer einsamen Insel.  Diese Einsamkeit muss nicht notwendigerweise ein Leiden nach sich ziehen. Sie ist vielmehr, wie alle Empfindungen und Zustände, wie Schmerz oder Glück, eine Frage der persönlichen Einstellung und nicht objektiv beschreibbar. Nimmt man Stichpunkte, wie „Innehalten“ oder „zur Ruhekommen“ ernst, so kann Einsamkeit, eine selbst bestimmte aber auch eine von „oben“ bestimmte, eine Lebensform sein. Als solche kann sie die Bedingungen zum Nachdenken, die Bedingung von Philosophie sein. Einsamkeit als nur mit sich selbst verbrachte Zeit, ist in diesem Sinne kein Problem, sondern eine Chance. Philosophisch gesprochen ist sie die Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis, sie ist geschenkte Zeit. Sie ist für jeden Gelehrten ein hohes, immer knapper werdendes Gut. Bedeutende Philosophen, wie Kierkegaard, Nietzsche und Schopenhauer pflegten die Einsamkeit als dauerhafte Lebensform, wenn auch nicht unbedingt freiwillig. Sie wussten, was es erfordert, wenn man es mit sich selbst aushalten will oder muss. Einsamkeit in diesem Sinne ist weit davon entfernt, zur Langeweile oder Verzweiflung zu führen, sondern kann uns helfen, zu denken und die Gedanken größer, deutlicher und tiefer machen.

Wie wäre es, wenn wir uns vorübergehend und probehalber als Einsame begriffen? Wenn wir die Chance nutzen würden, uns selbst kennenzulernen?  Auch in der Theologie ist die Einsamkeit ein bekanntes Motiv: die Bibel spricht von der Wüste. Die Menschen, die sich in die Einsamkeit begeben, gehen in die Wüste und kommen nach 40 Tagen geläutert wieder heraus. Von Helga Ranis.

Mehr von Helga Ranis

Der Unterschied von „ich“ und „wir“

Das Prinzip Hoffnung

Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus

Die fünf Wege, Gott zu erkennen

Die Welt ist Geist

Trost der Philosophie

Die größte Tugend ist es, dem Weg zu folgen und nur diesem Weg

Über die Ausgeglichenheit der Seele

Alles fließt

Ich denke, also bin ich

Über das Geld

Existentialismus

Die Kraft der Hoffnung

Philosophische Gedanken über das Alter: “De senectute” von Marcus Tullius Cicero

John Stuart Mill: Vom Prinzip des größten Glücks

Selbstreflexion von Blaise Pascal: Was ist ein Mensch in der Unendlichkeit?

Tipps von Epiktet: Wie wir innerlich frei werden können

Wie wollen wir leben: Gedanken über ein gelingendes Leben

Philosophie der Herausforderung: Über das Sein

Bildnachweis: Depositphotos