Philosophie für Zwischendurch: „Für Wunder muss man beten, für Veränderungen aber arbeiten“.

Dieses Zitat stammt von dem Dominikanermönch Thomas von Aquin (1225-1274), einem der angesehensten Theologen und Philosophen des Mittelalters. Auf den ersten Blick erscheint dieser Gedanke wie ein Widerspruch, Gebet und warten auf die Erfüllung desselben versus Arbeit und verändern und gestalten. Der zweite Teil könnte fast ein politisches Programm sein: Verändern durch Gestalten, Gestalten durch Verändern, klingt aktuell. Es geht Aquin jedoch nicht darum, einen Gegensatz herzustellen, sondern beides miteinander zu verbinden, gemäß der Benediktinerregel „Ora et labora!“. Es ist einerseits das Gebet und das Vertrauen bzw. die Hoffnung auf Erfüllung, andererseits das Arbeiten, das ausschließlich des Wohles der Allgemeinheit dient und das die Allgemeinheit zum Ziel hat. In Auslegung des Jakobusbriefes erkennt Aquin, dass es nicht reicht, nur zu beten und auf Wunder zu warten, sondern dass dem Beten auch Taten folgen müssen.  Der Mensch muss selbst handeln und dieses Handeln, das Arbeiten, geschieht zur Ehre Gottes und zum Wohle der Allgemeinheit. Insofern ist Arbeiten auch eine Form des Gebetes.  Handeln zum Wohle der Allgemeinheit heißt modern übersetzt „soziales Handeln“ oder „soziale Arbeit“. Und nur durch ein soziales Arbeiten ist Veränderung möglich. Soziales Arbeiten ist ethisches Arbeiten und mit dem Lohn der Arbeit Gutes tun. In den ökonomischen, politischen und sozialen Ungleichheiten sieht Aquin für die privilegierteren Menschen eine Verpflichtung, Hilfsbedürftige zu unterstützen, ihnen Gutes tun und Almosen zu geben.  Der tiefere Sinn der Arbeit ist somit nicht das Anhäufen von Geld und materiellen Dingen, sondern Gutes damit zu tun. Insofern ist Arbeit sowohl Dienst am Nächsten als auch Dienst an Gott. Durch Thomas von Aquin wird der Subsidiaritätsgedanke entwickelt, der das Verhältnis zwischen den verschiedenen sozialen Einheiten bestimmt. So vertritt er in der „Summa theologica“ die Auffassung, dass niemand aus einem höheren Stand eine Arbeit verrichten soll, die auch jemand aus einem niederen Stand machen könnte.  Dies jedoch nicht aus Standesdünkel, sondern man würde jemandem aus einem niederen Stand die Arbeit wegnehmen und ihn somit von der Gemeinschaft, auf deren Unterstützung er angewiesen wäre, abhängig machen. Vielmehr soll jeder die Arbeit verrichten, die seines Standes und seinen Fähigkeiten angemessen ist. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass auch die Hilfsbedürftigen ihren Beitrag dazu leisten sollen, aus ihrer Hilfsbedürftigkeit herauszukommen. In der modernen Sozialgesetzgebung heißt dies Hilfe zur Selbsthilfe. Dass eine gerechte Entlohnung und Anerkennung aller Arbeiten erfolgt, wird vorausgesetzt.  Aus diesem Subsidiaritätsprinzip ist die katholische Soziallehre entstanden, die dann später mit anderen ethischen Aussagen christlicher Konfessionen, wie z. B. der Ethik des Calvinismus und der protestantischen Ethik als christliche Sozialethik zusammengefasst wird.
10. Dezember 2021