Philosophie für Zwischendurch: Popmusik als ästhetische Grausamkeit

Musikästhetik ist als philosophische Disziplin Teil des Denkens über Musik mit dem spezifischen Bezugspunkt Reflexion und ästhetischen Erfahrung musikalischer Werke und Prozesse. Dabei variieren Gegenstand und Methoden musikästhetischer Betrachtungen. Die Disziplin der Ästhetik als Teil der Philosophie beschäftigt sich mit der Erkenntnis von Kunst und Schönem sowie mit dem Verstehen und Bewerten von Kunstwerken in historischen Zusammenhängen. Die „Philosophie der neuen Musik“ ist eine frühe Publikation von Theodor W. Adorno (1903 bis 1969), die er in der amerikanischen Emigration geschrieben hat und die 1949 erschienen ist. Sie gilt als musikphilosophisches Hauptwerk. In dieser Schrift beschäftigt sich Adorno mit der Musikästhetik und  thematisiert einen Autonomisierungsprozess der modernen Musik, den er als eine Reaktion auf die Ausbreitung der Kulturindustrie sieht. Er stellt fest, dass sich die musikalische Avantgarde dem kommerzialisierten Musikbetrieb entzieht, indem sie alle ästhetischen Konventionen außeracht lasse. Seine Analyse fokussiert auf dem Begriff des „Materials“, das die Gesamtheit der musikalischen Mittel bezeichnet. Die Auseinandersetzung des Komponisten mit dem Material ist zugleich eine Auseinandersetzung mit der Gesellschaft. Auch gibt das musikalische Material dem Komponisten Anweisungen. In dem Werk stellt Adorno zwei extreme Möglichkeiten des Komponierens gegenüber. Er vergleicht die beiden Komponisten Arnold Schönberg und Igor Strawinsky. In Schönbergs sieht er eine totale Rationalisierung des musikalischen Materials, mit der dieser die künstlerischen Möglichkeiten ebenso radikal neu zu entwickeln suche wie es in der bildenden Kunst beim Übergang vom Gegenständlichen zum Abstrakten geschehe. Dementsprechend lautet der erste Teil der Schrift auch „Schönberg und der Fortschritt“. Demgegenüber bezeichnet er Strawinskys Kompositionen als undynamisch, mechanisch und verräumlicht, die einen Rückschritt in der Materialbeherrschung darstellen. Der zweite Teil des Werkes heißt dementsprechend auch „Strawinsky und die Restauration“. Schönberg steht somit für Neues und Weiterentwicklung während Strawinsky für musikalische Regression und Wiederholung steht. Adorno hat neben Philosophie auch Musik studiert und auch selbst komponiert, er verfügte somit über ein umfangreiches Expertenwissen. Gleichwohl bleibt aber festzuhalten, dass die Frage, ob eine bestimmte Art der Musik gefällt oder nicht, letztendlich eine Frage des persönlichen Geschmacks ist, die sich nicht an Theorien orientiert. Nichtsdestotrotz hat das Werk die Musikwelt beeinflusst und wird als Plädoyer für die Musik der Wiener Schule gelesen.  Bezüglich der Popmusik kritisiert Adorno deren reine Orientierung am Erfolg und an den Charts. In den immer gleichen Songs erkannte er „ästhetische Grausamkeiten“ und bezeichnet die Massenkultur als „Massenbetrug“. Für ihn ist jeder Versuch, über die Popmusik gute Botschaften oder Inhalte transportieren zu wollen, zum Scheitern verurteilt. Aber auch darüber kann man geteilter Meinung sein. Von Helga Ranis.

 

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