Portrait-Elsemarie Maletzke

Garten-Kolumne von Elsemarie Maletzke

„Bäume sind Heiligtümer“, schrieb Hermann Hesse. „Wer mit ihnen zu sprechen, wer ihnen zuzuhören weiß, der erfährt die Wahrheit.“ Sollten sie neben dem vegetativen also auch ein geheimes Seelenleben besitzen? Esoteriker zweifeln nicht daran. Nach einer speziellen Baum-Mythologie kann sich jeder Mensch einer Art wie einem Paten zuordnen, ihre Aura erfühlen, Zu-spruch und Heilung von ihren Vertretern erfahren.
Tatsächlich stehen Bäume, wie alle Natur, menschlichen Wünschen und Bestrebungen komplett indifferent gegenüber. Keine Gerichtslinde will etwas erzählen, kein wirtlicher Feld-ahorn den Wanderer mit Schatten beschenken, keine Kastanie unser Freund sein. Wir sind es, die etwas von den Bäumen wollen: Äpfel, Nüsse, Kirschen, Kakao, Papier, Gartenmöbel – aber auch saubere Luft, Trost und Schutz, ästhetischen Genuss und Inspiration. Sie waren lange vor uns da; schließlich sind wir von ihnen herabgestiegen.
Ihrer Achtung steht die Verachtung entgegen, die Verstümmelung und Beseitigung einzelner, oft sehr alter Bäume. Dass die böse Tat heute nicht mehr so einfach vollstreckt werden kann, liegt an einer neu erworbenen ökologischen Korrektheit und einem sehr viel älteren Gefühl für etwas Übergeordnetes, das wir den Bäumen zugestehen. Es ist der heidnische Verdacht, dass mit der Zerstörung der Außenwelt unsere innere Welt Schaden nehmen und dass der Verlust eines Baums mehr als den Tod einer „grünen Lunge“ bedeuten könnte.
Ein ordentlicher Baum hat viele Nachkommen. Er wartet nicht, ob ein Haus gebaut und ein Sohn gezeugt wurde, bis er an der Reihe ist gepflanzt zu werden. Er samt sich selbst aus. Jeder Gärtner weiß, dass die mitteleuropäische Flora nur das eine Ziel hat: jede Ritze zu besiedeln und alles so schnell wie möglich wieder in Wald zu verwandeln. Bei aller Liebe, diesen zarten Zweiblättrigen muss man im Interesse von Rosen, Stachelbeeren und Salat wehren. Sonst hat man bald eine Haselrabatte oder ein Holunderbeet. Und der Hollerbusch, das weiß jeder germanisch Vorgebildete, ist Sitz der Göttin Freya und darf bei Todesstrafe nicht abgesägt werden.
Bäume sind nötig und herzgewinnend und eigentlich ganz unkompliziert. Außer wachsen und grünen und unbelästigt alt werden, wollen sie nichts; nicht reden, nicht deuten, keine Wahrheiten enthüllen. Das erledigen an ihrer Stelle die Menschen. Wir haben sie zu unserem Bilde gemacht: kein Märchen ohne Wald; kein Paradies ohne Apfelbaum, kein Garten ohne ihren Schatten, kein Friedhof ohne Lebensbäume; kein Leben ohne Bäume.

Fotos: Birgit Bielefeld | Monika Frei-Herrmann

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