Lagebericht IV: Zwischenbilanz

Über die Kindertagesstätte in der rumänischen Stadt Braila haben wir schon mehrfach berichtet und um Spenden gebeten. Angesichts der Nähe zur Ukraine kommen auf die Klosterschwestern, die die Kindertagesstätte betreiben, nun noch mehr Herausforderungen zu. Doch auch die Lebensumstände in Rumänien sind vielerorts nach hiesigen Standards unvorstellbar und benötigen tätige Unterstützung. Wir dokumentieren die Berichte der aus Deutschland stammenden Schwester Angela.

Liebe Freunde,

wieder einmal stehen wir vor Hindernissen, wie wenn man bei einer Bergwanderung vor einem Geröllfeld ankommt. Aber das ist kein Grund, den Mut zu verlieren, sondern man geht Schritt für Schritt weiter so gut es geht und schaut nach vorne, wo der Weg wieder zum Vorschein kommt und sicher weiterträgt. Wie im vergangenen Jahr ist die Gemeinschaft von Onești ein paar Monate geschlossen. Schwester Roberta ist in Italien und auch ich werde von Mitte Juli bis Maria Himmelfahrt in La Verna aushelfen. Seit Ostern bin ich in Brăila. Hier sind wir zu dritt, zeitweise zu zweit, und es gibt viel zu tun. Die Schwestern sind erschöpft, sie haben kaum eine freie Minute. Zum Glück gibt es die Gebetszeiten, die wir gewissenhaft einhalten. Jeden Morgen beginnen wir mit der eucharistischen Anbetung, danach die Heilige Messe, und nach einem guten Frühstück geht es los: Arbeit im und um das Haus, Schreibarbeiten, Einkäufe… Zum Mittagessen kommen die Kinder, sie bleiben bis 17.30. Das war schon immer so, doch jetzt kommen noch die Transporte zur Ukraine-Hilfe, die Nahrungsmittelbank in der Nachbarstadt Galați und die Nachmittage mit den ukrainischen Müttern und Kindern dazu. All das muss organisiert werden: Kartons ausladen, prüfen, wieder einpacken, weiterleiten, Fehlendes einkaufen, Formulare ausfüllen, telefonieren, planen, Gäste empfangen, Interviews geben… ohne Ende.

Zweimal pro Woche kommen die ukrainischen Kinder zu einem gemeinsamen Spielnachmittag zu uns, während den Müttern ein Sprachkurs angeboten wird. Das nimmt uns ziemlich in Anspruch, denn wir haben dann bis zu 100 Personen im Haus. Im Freigelände Ballspiele aller Arten, Trampolin, Spielhäuschen, Seilhüpfen, damit sich die Kinder austoben können, im Schatten die Imbiss- und Erfrischungsecke, im Haus Bastelworkshops und Bausteine für die Kleinen, im großen Spielzimmer Tischtennis und Kicker, im Versammlungsraum der Sprachkurs – es geht sehr lebendig zu! Die zusätzlichen Ausgaben werden mit den Spenden, die für die Flüchtlinge eingehen, bestritten: vor allem Spielsachen (die hatten wir vorher schon, doch die vielen Kinder „konsumieren“ sie ziemlich gründlich und man muss Ersatz bereit haben), Kuchen, Snacks und Säfte für die kleinen und großen Gäste, Bastelmaterial, die laufenden Kosten (Überstunden der Erzieher, Strom, Wasser, Reinigung und so weiter). Weiterhin kaufen wir mit den Spenden bestimmte Waren, die die Hilfslieferungen und die Nahrungsmittelbank nicht oder nicht in ausreichender Menge bereitstellen.

In Onești dagegen ist es uns nicht mehr gelungen, etwas für die Ukraine zu tun. Daher orientieren wir die eingehenden Gelder zu unseren Schwestern nach Brăila. Das orthodoxe Dekanat hat seine Transporte eingestellt, das Kolpingwerk fährt jeden Freitag mit einem Kleinbus, ist aber bestens mit Spenden versorgt und braucht keine Hilfe, um ihn zu füllen. Es zeigt sich, dass Geld eingeht, aber es ist schwierig, den richtigen Weg zu finden, um es sinnvoll einzusetzen. Die Organisationen versuchen, dort Unterstützung anzubieten, wo schon etwas für die Flüchtlinge organisiert worden ist. Einige haben sich an Schwester Nicoleta gewandt und finanzielle Hilfe für unsere laufende Aktion angeboten oder Projekte vorgeschlagen. Aber sie entsprechen nicht unbedingt unseren Kräften und den konkreten Bedürfnissen. Unser Angebot wird sehr geschätzt, auch von den internationalen Medien. Man merkt, dass wir einen sehr gut geeigneten Weg gefunden haben, den Ukrainern zu helfen. Was ihren Lebensstandard in Rumänien betrifft, stellen wir fest, dass es ihnen im Allgemeinen gut geht: sie haben ihre Ersparnisse, ihre Autos, und viele von ihnen haben schon Arbeit gefunden. Die ärmeren Leute sind wohl in der Ukraine geblieben.

Wie ich euch schon erzählt habe, lebt eine beträchtliche Anzahl rumänischer Familien in bitterer Armut. Kürzlich haben wir eine Familie besucht, deren Kinder unsere Tagesstätte besuchen. Eine baufällige Treppe führt in den ersten Stock, an deren Ende sich der Wasserhahn für alle Parteien befindet. Ein Bretterverschlag im Korridor enthält eine Toilette und eine halbautomatische Waschmaschine für alle Bewohner des Stockwerks, vier oder fünf Parteien. Unsere fünfköpfige Familie hat drei Zimmer: das erste ist knapp größer als das Bett, in dem der älteste Sohn schläft, im zweiten ist ein Bett für den zweiten Sohn und zwei Matratzen auf dem Boden für die Eltern und den Kleinsten. Damit wir in die Küche durchgehen können, nehmen sie eine der Matratzen weg, es ist sehr eng. Kein Platz, um etwas abzustellen, keine Möglichkeit, Ordnung zu halten, kein Wasser und kein Spülbecken in der Küche, gewaschen wird im Bad – eine Sozialwohnung. Sie sind auf der Warteliste für etwas Besseres, haben aber kein Geld. Der Vater ist operiert und kann keine schwere Arbeit tun. Die Mutter möchte ins Ausland, um etwas zu verdienen. Keine Hilfe von Verwandten, beide sind im Waisenhaus aufgewachsen.

Die Mutter war total froh und aufgereregt, als wir sie besuchten. Sie hat es nicht gesagt, doch wahrscheinlich hat sie gedacht: Jetzt seht ihr selbst, dass wir wirklich arm sind, jetzt begreift ihr, warum die Kinder manchmal hungrig oder schmutzig bei euch ankommen. Was soll ich machen?

Kehren wir nach Moldawien zurück, genauer gesagt nach Pașcani, wo der junge Rumäne, von dem ich euch im letzten Brief erzählt habe, sein Haus baut. Mit euerer Hilfe ging es gut voran, es ist fast fertig. Am 21. Mai haben sie zum ersten Mal darin geschlafen und sind überglücklich. Er bedankt sich immer wieder. Das soll ich all denen ausrichten, die mitgeholfen haben: Wir sind von Herzen froh und danken euch unendlich; wir beten für euch, dass ihr gesund bleibt und der gute Gott sei gelobt in den Herzen aller! Erinnert ihr euch noch, wie es vorher aussah? Kein Vergleich – und das mit eigener Hand gebaut!
 

Der junge Mann hat mir von seinem Leben erzählt, weil wir haben diesen Text für eine Anbetungsstunde unserer Gemeinschaften erbeten haben. Ich möchte ihn mit euch teilen:

Ich bin am Rande der rumänischen Stadt Onești aufgewachsen. Mein Vater ist gestorben, als ich noch klein war. Als ich 13 Jahre alt war ist meine Mutter nach Italien ausgewandert, um dort zu arbeiten. Sie hat niemanden gesucht, der ernsthaft die Verantwortung für mich übernommen hätte; meine Oma hat mich aufgezogen, so gut sie konnte. Ich war Niemands Kind. Als meine Mutter mich zurückgelassen hatte, fühlte ich mich verstoßen. In die Schule ging ich nur bis zur fünften Klasse; schon vorher, mit acht Jahren, hatte ich zu arbeiten begonnen: Zubringerarbeiten, zum Beispiel Sand mit dem Pferdewagen transportieren. Als ich 14 Jahre alt war, bin ich nach Italien ausgewandert, wo ich ohne Papiere gearbeitet habe. Als ich mit 18 zurück nach Rumänien zur Großmutter kam, hatte ich nur 20 Euro. Für Essen, Wohnung, Gas und Strom hatte ich das ganze Geld aufgebraucht. Einmal und nie wieder!

Hier in Rumänien habe ich gearbeitet, so gut ich konnte, um zu überleben. Schon immer habe ich an Gott geglaubt, bete jeden Tag, und wenn ich es nicht mehr schaffe, hilft er mir. Ich betete um Gesundheit, damit ich arbeiten kann, und wünschte mir eine eigene Familie. Vor einigen Jahren habe ich eine Witwe mit vier Kindern kennengelernt und zu mir genommen. Die Leute lachten über mich, aber ich bin mit Gottes Hilfe hocherhobenen Hauptes weitergegangen. Daher habe ich jetzt eine Ehefrau und fünf Kinder. In der letzten Zeit wohnten wir auf engstem Raum zusammen, wir hatten nur ein Zimmer. Da ich keine Arbeit habe, können wir uns nicht viel leisten. Wir essen hauptsächlich Kartoffeln.

Während der Pandemie hatte ich Arbeit gefunden, aber nach zwei Wochen steckte ich mich mit dem Covid an und der Arbeitgeber hat mich hinausgeworfen, weil er das Krankengeld nicht bezahlen wollte. Nicht einmal den Lohn für die geleistete Arbeit hat er mir ausgezahlt.

Meine Mutter lebt immer noch in Italien und arbeitet als Altenpflegerin. Sie hat wieder geheiratet und muss die Familie dort allein unterhalten, sie interessiert sich kaum für mich. Auch von anderen Leuten hier kann man wenig erwarten, nicht einmal von den Verwandten. Jeder kämpft für das eigene Auskommen. Wenn man Hilfe braucht, ist keiner da. Da ich keinen Schulabschluss habe, finde ich keine feste Arbeitsstelle. Das Einzige sind Gelegenheitsjobs für etwa 25 Euro am Tag.

Der Glaube hilft mir viel. Jeden Tag bete ich und vertraue mich Gott an, der mir die nötige Kraft gibt. Er ist unser Vater, er hat uns geschaffen – ohne ihn wäre ich nicht weit gekommen. Gott sei es gedankt, dass die Kinder wachsen, es geht ihnen gut und ich hoffe, dass das weiterhin so bleibt. Für sie arbeite ich, damit sie alles bekommen, was sie brauchen.

Ich schäme mich nicht, und mit dem Herrn Jesus werde ich weitermachen bis ans Lebensende. Gott lädt uns nicht mehr auf, als wir tragen können. Er ist mein Fels, mit ihm komme ich vorwärts. Von Kindheit an wünschte ich mir eine Familie und jetzt habe ich eine und wir sind glücklich. Ich danke Gott, der mir die Kraft gegeben hat, das Leid durchzustehen, das ich erlebt habe.

Nun hat der junge Mann ein „Haus“, der Schwiegervater wird der jungen Familie das Eigentum überschreiben. Mir bleibt, euch ein großes DANKESCHÖN zu sagen – ihr habt Wunderbares vollbracht! Jedesmal, wenn ich daran denke, bin ich voll Freude und im Inneren berührt. Man sagt, wenn wir gerührt sind, klopft Gott an unser Herz. Für mich ist es wirklich ein Merkmal: wenn Gott eingreift, kraftvoll und zärtlich, wenn er etwas Außerordentliches, Schönes vollbringt, spürt man diese innere Rührung. Das kann bei einer Lesung sein, bei einer Erzählung oder einem Ereignis, wenn man in der Natur die gütige Hand des Schöpfers erkennt oder wenn sich jemand jenseits aller Logik selbst verschenkt… achtet mal darauf: wenn ihr gerührt seid, ist Gott ganz nah. Und dieses Mal wart ihr die Ursache, denn euer Wunsch, Gutes zu tun hat sich materialisiert: Er ist ein Dach und vier Wände geworden, errichtet von der Anstrengung eine jungen Mannes, der seine Familie liebt.

Aber hallo! Kommen wir mit beiden Beinen auf die Erde zurück! Eine Nische für den Herd und ein paar Möbel bräuchte es noch, eine Waschmaschine, den Wasseranschluss, den Außenputz, Dokumente… aber wir sind sehr zuversichtlich, dass das auch noch klappt.

Das war das erste „Haus”. Aber da wäre noch die Familie in Berzunți…

Mutter Serafina, unsere Gründerin, hat gesagt: „Wenn man Gutes tut, gibt es keine Grenzen”!

Euch allen ein gesegnetes Pfingstfest – möge das Wehen des Heiligen Geistes die Fenster unserer Seelen weit öffnen!

 

 

Hier können Sie spenden

 
Für Spender aus Deutschland, die eine Spendenquittung erhalten möchten, bietet sich folgende Bankverbindung an: Pfarrei Ludwigschorgast
I BAN: DE30 7719 0000 0006 7007 13
BIC: GENODEF1KU1
Kulmbacher Bank, 
Verwendungszweck: Kinderheim Braila, Ukraine-Hilfe Bei Spenden bis 200 Euro genügt der Kontoauszug als Nachweis fürs Finanzamt. Bei höheren Beträgen  stellt die Pfarrei  Spendenbescheinigungen aus. Bitte Mail an: pfarrei.ludwigschorgast@erzbistum-bamberg.de
 
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Lagebericht II: Hoffnung schenken

 

3. Juni 2022