Die Ernte zum Anlass eines Dankesfestes zu nehmen, ist in vielen Kulturen ein uralter Brauch. Wer in dieser fruchtbaren Phase des Jahres eine Auszeit nimmt, kann in Sachen Genuss und Wohlbefinden aus dem Vollen schöpfen. Von Martina Guthmann.

Bis in den April Nachtfröste, Dauerregen im Juni, dann viel Hitze, dazu jede Menge feindliche Schnecken und sicherlich zu wenig Zeit und Geduld für die Beete – die diesjährige Ernte in meinem kleinen Gärtchen fällt mager aus. Und doch ist die Freude bei jeder selbst geernteten Frucht nicht zu vergleichen mit dem Einkauf auf dem Markt oder im Supermarkt.
Das Einbringen der Ernte ist bei Griechen, Römern, Juden und auch bei den heidnischen Vorfahren immer ein Grund zu Freude und zum Danken gewesen. Am 15. August begann beispielsweise früher im Alpenraum der so genannte „Frauendreißiger“, die Tage der Kräuterernte und Kräuterweihe, die noch im Erntedankfest und in der christlichen Kräuterweihe an Maria Himmelfahrt erhalten blieben.
Die guten Gaben der Natur sind alles andere als selbstverständlich – selbst in Zeiten, in denen die Menschen die Natur nach ihren Vorstellungen zu steuern und zu überlisten versuchen. So ist die Zeit der Ernte auch eine Zeit des Erkennens unserer eigenen Grenzen. Denn kein Mensch hat auf das, was die Natur hervorbringt, vollständigen Einfluss. Zur Überheblichkeit besteht kein Anlass.
In den Zeiten der Fülle gilt es, mit allen Sinnen zu genießen. Wer seiner Nase folgt, der wird betört sein von den intensiven und feinen Gerüchen, die sich fortan tief in seinem Gedächtnis verankern. Wer einmal zur Zeit der Heuernte an einer sonnendurchwärmten Wiese die würzige Luft einatmete, der wird sich immer an dieses olfaktorische Naturwunder erinnern. Doch neben dem Riechen werden zur Zeit der Ernte auch die anderen Sinne aufs Angenehmste stimuliert: Der Seh-Sinn beispielsweie durch das satte Orange des Sanddorns, wie er an vielen Küstenstrichen der Ostsee reift. Der Geschmackssinn erhebt sich zu einzigartigen Gaumenfreuden durch das Aroma der Trüffel, wie sie ab Oktober im italienischen Piemont gesucht und in vielerlei Variationen verarbeitet werden. Von der Ostsee bis zum Piemont, vom Karwendel bis zum Waldviertel gibt es in vielen Regionen Europas zur Erntezeit ungewöhnliche Sinnes-Eindrücke zu sammeln. Wer von der Fülle der Natur bewusst kostet, der gewinnt nicht nur urprüngliche Lebensqualität, sondern empfindet Ehrfurcht und den Wunsch, die reichen Schätze von Mutter Erde auch für künftige Generationen erhalten zu wollen.
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