Der Mensch ist sich als einziges Lebewesen seiner Sterblichkeit bewusst und dieses Wissen beunruhigt zutiefst. Auf verschiedenste Weise versucht er die eigene Endlichkeit in philosophischen und religiösen Erklärungsversuchen zu bewältigen und stellt die Frage nach dem Sinn des Lebens, wenn dieses durch den Tod ausgelöscht wird. Letztendlich prägt die Einstellung zum Tod auch die Lebensgestaltung des Menschen. Von Kerstin Maria Pöhler

Die jungen Alten:
Ab wann sind wir alt, oder besser gesagt, ab welchem Zeitpunkt fühlen wir uns alt? Die durchschnittliche Lebenserwartung ist in den vergangenen Jahrzehnten rapide angestiegen, in Deutschland beträgt sie bei Männern 78 Jahre und bei Frauen 82 Jahre. Die wenigsten bezeichnen sich als alt, wenn sie mit 65 in Rente gehen, denn mit diesem Wort verbinden die meisten Stagnation und Stillstand. Mit dem Ende des Berufslebens beginnt hingegen ein neuer Lebensabschnitt. Mit dem Wegfall der Arbeit stellen sich neue Lebensfragen, wie man die neu gewonnene Freiheit gestalten kann, zumal die meisten körperlich und geistig fit sind. Die Suche nach dem sinnerfüllten Tun rückt in den Vordergrund und die Aktivitäten der Jungge-bliebenen sind vielfältig: Sie reichen vom sozialen Engagement in einem Ehrenamt, über das Seniorenstudium bis hin zur Teilnahme bei der Seniorenolympiade. Allein bleiben möchte keiner: Ältere Menschen verlieben sich ineinander wie Jüngere auch, es gibt Kontaktbörsen im Internet, die Sehnsucht nach Sexualität ist noch lange nicht erloschen. Manche ziehen sogar in Wohn- oder Hausgemeinschaften zusammen. Man ist immer noch in den besten Jahren und so betrachtet, scheint dem Alter erst einmal der Schrecken genommen, vorausgesetzt man hat keine gesundheitlichen oder finanziellen Sorgen. Die Grenzen, die das Leben setzt, verschieben sich nach hinten, Sterben und Tod sind noch lange kein Thema. Die Welt steht einem immer noch offen, alt ist man noch lange nicht.

Die Angst vor dem Ende
Viele stürzen sich geradezu in Aktivitäten, als seien sie auf der Flucht vor sich selbst, die Terminkalender sind voll mit Verpflichtungen, immer öfter fällt das Wort Stress. Manche engagieren sich in Ehrenämtern bis zur körperlichen und geistigen Erschöpfung. Mit einer erfüllenden Beschäftigung hat das weniger zu tun, als mit einem drohenden Burn-out im Ruhestand. Altersweisheit sieht anders aus: Statt eins mit sich zu sein, sind diese Menschen außer sich, statt gelassen auf ihr Leben blicken zu können, machen sie weiter wie bisher, gefangen in ihren Lebenslügen, fremdbestimmt als Opfer eines Leistungsdenkens, das ohne Anerkennung nicht auskommt.
Doch das Alter holt uns alle ein und macht die Endlichkeit im wahrsten Sinn des Wortes schmerzhaft bewusst, wenn körperliche Gebrechen und Krankheiten den Lebensradius einschränken und wir auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Vielleicht ist das der Moment, wo wir zum ersten Mal von uns sagen, wir seien alt. Es ist nicht leicht, Schmerz und Leiden als Teil des Lebens zu akzeptieren und es stellt sich die Frage, wie man trotzdem ein gutes Leben führen kann.
„Aber wegen einer Krankheit, solange sie heilbar ist und den Geist nicht beeinträchtigt, werde ich nicht in den Tod gehen. Werde ich aber den Schmerz ohne Unterbrechung ertragen müssen, dann werde ich gehen, nicht wegen des Schmerzes an sich, sondern weil er mich an allem hindert, weswegen man lebt“, schreibt Seneca.
Solange dem Menschen sein wacher Verstand bleibt und sein Leiden erträglich ist, kann er sein Leben sinnvoll im Miteinander mit anderen gestalten und der Vereinsamung entgegenwirken, denn gerade das Eingebundensein in erfüllende menschliche Beziehungen, seien es der Lebenspartner, die Familie oder die Freunde, wird im Alter immer wichtiger und damit die Konzentration auf das, was im Leben wesentlich ist, die Liebe.

Das Glück des Alters
Nicht festhalten, sondern loslassen können und damit eine Gelassenheit gegenüber der eigenen Endlichkeit zu entwickeln, ist sicherlich eine der größten Herausforderungen des Alters. Wer das schafft, darf sich weise und glücklich nennen. Die Einsicht, dass der Tod dem Leben einen sinnvolle „Dramaturgie“ von der Kindheit über die Jugend, das Erwachsenensein bis hin zum Alter geben kann, macht Hoffnung. Denn stellen wir uns vor, wir würden nicht mehr altern und unser jetziges Leben sei unendlich: Alles wäre beliebig, denn wir hätten Zeit ohne Ende, ob ich etwas heute oder morgen tue, diesen oder jenen Menschen liebe, wäre gleichgültig, endlose Wiederholungen und die Wiederkehr des Gleichen wären die Folge.
Der Tod fordert uns heraus, unser Leben im Einklang mit uns und unsern Mitmenschen zu gestalten, uns zu entwickeln und zu reifen. Er fokussiert das Leben auf das Hier und Jetzt, auf die erfüllte Gegenwart. Überwinden wir die Angst vor dem Tod, so haben wir das Leben gewonnen. In diesem Sinne schreibt Epikur: „Gewöhne dich daran zu glauben, dass der Tod keine Bedeutung für uns hat. Denn alles was gut, und alles was schlecht ist, ist Sache der Wahrnehmung. Der Verlust der Wahrnehmung aber ist der Tod. Daher macht die richtige Erkenntnis, dass der Tod keine Bedeutung für uns hat, die Vergänglichkeit des Lebens zu einer Quelle der Lust, in dem sie uns keine unbegrenzte Zeit in Aussicht stellt, sondern das Verlangen nach Unsterblichkeit aufhebt.“
Ganz gleich wie alt wir sind, wir können nichts auf später verschieben, der Sinn des Lebens ist das Leben selbst: Den Augenblick in seiner Einmaligkeit erleben, in ihm Erfüllung finden und am Ende des Lebens in ihm vergehen. So verstanden kann Vergänglichkeit Erlösung sein. Werde du selbst.

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Foto: Monika Frei-Herrmann

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