Klima wandeln

Ein erschreckendes Szenario: Die Luft ist heiß, schwer und an manchen Tagen voller Schadstoffe. Oft tränen die Augen. Der Husten scheint nie zu verschwinden. Auch wenn Corona kein Thema mehr ist, tragen viele Menschen draußen Gesichtsmasken, um sich vor der Verschmutzung zu schützen. Die Zeiten, in denen man nach draußen ging, um frische Luft zu schnappen, sind längst vorbei. Denn es gibt keine frische Luft mehr. Wer morgens lüften möchte, der checkt erst einmal sein Handy, um sich die Luftqualität anzeigen zu lassen. Auch wenn es sonnig ist, kann der Schein trügen: die Luftverschmutzung und der Ozongehalt können es gefährlich machen, ohne spezielle Gesichtsmaske nach draußen zu gehen (die sich nur manche Menschen leisten können).

Es könnte auch so sein: An den meisten Orten der Welt ist die Luft feucht und frisch, auch in Städten. Es fühlt sich so an, als würde man durch den Wald wandern und wahrscheinlich ist das auch exakt das, was Sie tun. Die Luft ist sauberer als jemals nach der industriellen Revolution. Diese Luftqualität ist Bäumen zu verdanken. Sie sind überall. Bäume waren nicht die alleinige Lösung gegen den Klimawandel, aber die starke Verbreitung von Bäumen schenkte den Menschen die Zeit, die sie brauchten, um die CO2-Emissionen zu überwinden. Durch Spenden von Unternehmen sowie Steuergelder konnten die größten Baumpflanz-Aktionen in der Geschichte finanziert werden. Dadurch wandelten sich sogar Städte zu lebenswerten Orten.

Ob schöne neue Welt oder erschreckende Distopie: Die beiden Szenarien trennt ein weltweiter Temperatur­unterschied von 1,5 Grad im Jahr 2.100 und die Frage, ob die Menschen es verhindern können, dass die Temperatur auf der Welt um durchschnittlich 3 Grad ansteigt. Das würde geschehen, wenn alles so weiterläuft als bisher. Dies gilt es nach Ansicht der Autoren Christiana Figueres und Tom Rivett-Carnac unbedingt zu verhindern. In ihrem Buch „The Future we choose – Surviving the Climate Crisis“ beschreiben die Architekten des Pariser Klimaabkommens von 2015, wie das gehen kann. 

Eine neue Geisteshaltung

Eine wesentliche Voraussetzung für den Wandel ist für die Autoren ein Änderung der Geisteshaltung: „Unsere Zukunft ist ein unbeschriebenes Blatt. Sie wird dadurch geformt, wie wir entscheiden, dass wir heute sein möchten.“ Während des komplizierten Verhandlungsprozesses des Paris-Abkommens haben Christina Figueres und Tom Rivett-Carnac die Erfahrung gemacht: Wenn man nicht die komplexe Architektur einer Herausforderung überblickt – und das wird selten der Fall sein – ist das Wirksamste, was man tun kann, zu verändern, wie man sich selber verhält. Das hatte schon Mahatma Gandhi erkannt. Der Guru des gewaltfreien Widerstands proklamierte, dass wir selbst der Wandel sein sollen, den wir uns wünschen. Denn die Ziele, die wir verfolgen, werden ganz wesentlich von der Haltung beeinflusst, die wir beim Start an den Tag legen. Drei Geisteshaltungen erscheinen den Autoren in unserem Streben nach einer besseren Welt fundamental: Hartnäckiger Optimismus, endlose Fülle sowie radikale Erneuerung. 

Hartnäckiger Optimismus

Schon vor 2.500 Jahren war sich Siddhartha Gautama, der als Buddha berühmt wurde, der Bedeutung von Optimismus bewusst. Für ihn war ein fröhlicher Geisteszustand auf dem Weg zur Erleuchtung sowohl das Ziel als auch der erste Schritt. Buddha war davon überzeugt, dass wir nicht willenlos unseren Haltungen unterworfen sind, sondern diese aktiv gestalten können. Dabei kommt es nicht darauf an, ob wir von Natur aus das Glas eher halb leer oder halb voll sehen. An diesem Punkt in der Geschichte haben wir eine Verantwortung, das zu tun, was notwendig ist und für die meisten von uns bedeutet dies, eine bewusste Umprogrammierung in unserer Geisteshaltung vorzunehmen. Wenn wir mit den harten Realitäten konfrontiert sind, dann sollten wir ihnen mutig ins Auge sehen, aber uns dennoch dessen bewusst sein, dass es ein unfassbares Glück bedeutet, in einer Zeit zu leben, wo jeder einzelne zum Wohl der gesamten Welt einen signifikanten Unterschied machen kann. Wir sind nicht machtlos.

Endlose Fülle und radikale Erneuerung

Tief im Inneren haben viele von uns das Gefühl, dass wir mit anderen konkurrieren müssen, um das zu bekommen, was wir möchten. Die meisten von uns glauben an das „Nullsummen-Paradigma“, die Vorstellung, dass der eine das verliert, was der andere gewinnt. Es ist wahr: Ohne Wettbewerb hätte die Menschheit viele ihrer wirtschaftlichen oder sozialen Errungenschaften nicht erreicht. Nun aber sitzen wir alle in einem Boot. Es geht darum, zu verstehen, dass die Reduktion von CO2 im eigenen Interesse liegt und zugleich dem Planeten als Ganzem zugutekommt. Immer mehr Länder verstehen, dass ihre Entwicklung im 21. Jahrhundert sauber sein kann und sollte. Durch die Dekarbonisierung ihrer Wirtschaft profitieren sie von alternativen Jobs, sauberer Luft, effizienteren Transport-Systemen, lebenswerteren Städten und fruchtbarerem Boden. 

Lange Zeit waren die Menschen darauf programmiert, von der Erde vor allem zu nehmen: Eroberer kamen, um Länder in Bezug auf Metalle, Mineralien oder exotische Früchte auszuplündern und stifteten Chaos. Als Erben von fruchtbarer Erde hinterließen wir Menschen oft nur erschöpften Boden. Diese Instinkte sind menschlich und halfen uns dabei, wachsenden Herausforderungen zu begegnen. Aber unser Wachstum – persönlich und professionell – ist keine Einbahnstraße. Zum Nehmen gehört auch das Geben. Unser Planet kann nicht länger einseitiges Wachstum tolerieren. Wir sind am Ende der Nehmer-Straße angelangt. Nun gilt es, sich auf einen anderen menschlichen Wesenszug zu konzentrieren: Für uns selbst und für andere zu sorgen. Sich mit der Natur zu verbinden. 

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Buch-Tipp

Christina Figueres und Tom Rivett-Carnac
The Future wie choose: Surviving the Climate Crisis

Die Architekten des Pariser Klimaschutzabkommens von 2015 beschreiben in diesem Buch, wie die beiden Szenarien aussehen könnten, die wir durch unser Verhalten wählen. Sie beschreiben drei Geisteshaltungen, die vermutlich zu einem guten Ausgang der Klima-Krise führen und zeigen zehn Bereiche auf, an denen es sich lohnt, konkret anzusetzen. Lesenswert!
Verlag: Alfred A. Knopf
210 Seiten, 2020
ISBN 978-0-525-65835-1
Preis: 11,89 Euro

Zehn Aktionsfelder

Wo Menschen ansetzen können, um im Haushalt oder im Unternehmen Energie und damit Treibhausgase zu sparen, wurde bereits an vielen Stellen beschrieben. Die Maßnahmen reichen von der Reduktion des Fleischkonsums bis hin zum Ausschalten der Standby-Funktion bei Fernsehern. Die Autoren des Pariser Klimaschutz-­Abkommens geben Anregungen, wie sich Veränderungen fundamental angehen lassen. 

1. Die alte Welt loslassen

Um Demokratie, soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte und andere hart erkämpfte Freiheiten auch in Zukunft zu sichern, müssen wir uns von all dem trennen, was diese Errungenschaften bedroht. Jetzt ist die Zeit, in der wir verändern können, wie wir leben, arbeiten und welche Beziehungen wir zu anderen führen. Wir sollten die Vergangenheit ehren, aber überholte Verhaltensweisen gehen lassen. Auch wenn Veränderungen für uns alle Herausforderungen darstellen: Je intensiver wir uns darauf einstellen, die alte Welt loszulassen und mit Vertrauen in die Zukunft zu gehen, desto stärker werden wir für das sein, was vor uns liegt. 

2. Sich dem Kummer stellen und eine Vision der Zukunft entwickeln

Es gibt wohl keinen Menschen über 50, der nicht die Erfahrung gemacht hat, dass sich die Jahreszeiten seiner Kindheit geändert haben. Gletscher ziehen sich zurück und die Meere ersticken in Plastik. Alte Knochen und Krankheiten tauchen aus dem Perma-
frost auf. So wie sich Wetter und Landschaften vor unseren Augen verändern, fängt das Erfahrungswissen unserer Welt an, sich aufzulösen. Wir können dem Kummer über den Rückgang der Artenvielfalt nicht ausweichen. Wenn wir die Realität so akzeptieren wie sie ist, dann könnn wir unseren Blick darauf werfen, was wir verändern können. 

3. Die Wahrheit verteidigen

„Die Lüge fliegt und die Wahrheit hinkt“, formulierte vor dreihundert Jahren der Autor Jonathan Swift. Wie prophetisch diese Worte waren, belegt eine Studie des Massachusetts Institutes of Technology (MIT): Auf Twitter verbreiten sich Lügen im Durchschnitt sechsmal schneller als die Wahrheit. Diese Tatsache hat ernste Konsequenzen für unsere Gesellschaft und vor allem für den Austausch über komplexe Bedrohungen wie die Klima-Krise. Jeder Einzelne ist dafür verantwortlich, was er in einer Welt der Miss-Information für richtig hält. Es geht darum, zwischen richtiger Wissenschaft und Pseudo-Wissenschaft zu unterscheiden. 

4. Sich als Bürger betrachten – nicht als Konsument.

Vieles, was wir kaufen, ist dafür gemacht, unseren Selbstwert zu steigern. Identität und Konsum rücken immer stärker zusammen. In Großbritannien konsumiert jeder Bürger im Durchschnitt mehr als 30 Kilogramm neue Kleidung pro Jahr. Diese Käufe werden vor allem durch die wechselnden Mode-Trends ausgelöst. Dabei hat die Mode-Industrie einen enormen CO2-Fußabdruck. Nach der Öl-Industrie ist die Textilproduktion der zweitgrößte Umweltverschmutzer. Sie setzt mehr Treibhausgase in unsere Atmosphäre frei als alle internationalen Flüge und die Schifffahrt zusammen. Auch im Kleiderschrank kann weniger mehr sein. 

5. Fossile Brennstoffe hinter sich lassen

„Das haben wir immer schon so gemacht“, ist ein Satz, den Sie aus Ihrem Vokabular streichen sollten. Die Annahme, dass wir immer fossile Brennstoffe brauchen, rührt von einem mentalen Anhaften an die Vergangenheit her. Um fossile Brennstoffe hinter sich zu lassen, sollten wir uns von der Überzeugung lösen, dass sie für die Menschheit unersetzlich sind. Nur wenn wir uns in diesem Denken herausfordern, können wir unsere Investitionen und Infrastruktur in Richtung neue Energien ausrichten. So bekannte Firmen wie Apple, IKEA, Danone, eBay oder Google haben bereits als Ziel formuliert, sich zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien auszurichten. 

6. Die Welt wieder aufforsten

Der perfekte Kreislauf: Bäume geben Feuchtigkeit an die Luft ab, die als Regen wieder alle Teile des Waldes bewässert. Pilze vernetzen Bäume über Tausende von Kilometern und machen es möglich, Nährstoffe untereinander zu teilen. Boden wird gebildet und schafft den reichhaltigen Untergrund für künftige Baum-Generationen. Auf der ganzen Welt eignen sich ausgedehnte Flächen dazu, mit Bäumen bepflanzt zu werden, ohne mit den Menschen in Konkurrenz fürs Wohnen oder Essen zu treten. Wälder können gewaltige Mengen an C02 schlucken. In Sachen Klimawandel gibt es wenig, was so effektiv ist, als Bäume zu pflanzen.

7. In eine saubere Wirtschaft investieren

Wir brauchen eine saubere Wirtschaft, die in Harmonie mit der Natur funktioniert. Dabei spielen Finanzen und Investitionen eine Schlüsselrolle. Schon jetzt stellen Investoren die Weichen in Richtung Nachhaltigkeit. Im Juni 2019 hat beispielsweise das Norwegische Parlament beschlossen, dass der Staatliche Pensionsfonds des Königreichs Norwegen – der größte Staatsfonds der Welt mit einem verwalteten Vermögen von mehr als 1 Billion Euro – aus Investitionen in fossile Brennstoffe aussteigen und dafür in regenerative Energien wie Wind oder Solar einsteigen soll. Jeder, der Geld zum Anlegen hat, kann mit seinem Investment Zeichen setzen.

8. Technologie verantwortlich einsetzen

Neue Technologien haben ein enormes Potenzial, um Emissionen zu reduzieren. Wir sollten sie vorsichtig, aber zügig einsetzen. Da Technik unser Leben leichter macht, stehen wir vor der Herausforderung, diese verantwortlich zu nutzen und uns gleichzeitig über ihre Power und Macht im Klaren zu sein. Dabei sollten wir sicher stellen, dass staatliche Regularien die Macht der Maschinen begrenzen. So gut wie jeder Sektor, in dem regenerative Durchbrüche nötig werden, kann massiv profitieren von künstlicher Intelligenz. Ein Beispiel dafür sind intelligente Stromnetze, die den Fluss des Stroms oder dessen Speicherung bedarfsgerecht steuern können.   

9. Für Geschlechter-Gerechtigkeit eintreten

Jahre der Forschung haben zweifelsfrei ergeben: Wenn Frauen führen, dann geschehen gute Dinge. Wir müssen sicherstellen, dass auf allen Ebenen der Gesellschaft immer mehr Frauen in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Frauen haben oftmals einen Führungsstil, der sie offener und sensitiver gegenüber anderen Ansichten machen und sie arbeiten oftmals mit einer Langzeit-Perspektive. Diese Eigenschaften werden gebraucht, um dem Klimawandel zu begegnen. Eine Welt mit echter Geschlechter-Gerechtigkeit würde anders aussehen als die heutige. Länder mit einer größeren Beteiligung von Frauen an den Schaltzentralen der Macht haben einen geringeren Klima-Fußabdruck. 

10. Sich politisch engagieren

Sich politisch zu engagieren ist nach Ansicht der Architekten des Pariser Klima-Abkommens der wichtigste Schritt. Durch die Klima-Krise werden Demokratien in besonderer Weise gefordert. Um diese zu stabilisieren sind alle dazu berufen, sich politisch zu engagieren. Denn der Übergang zu einer regenerativen Welt wird nur dann möglich, wenn wir stabile politische Systeme haben, die sich den kommenden Herausforderungen bezüglich einer lebenswerten Welt gegenüber verpflichtet fühlen. Da der Klimawandel eine  Bedrohung für die politische Sicherheit darstellt, ist Stabilität einerseits wichtige Voraussetzung für die nötige Transformation, andererseits Ergebnis ihrer erfolgreichen Bewältigung. 

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5. August 2021