Im Explorers Club in New York versammelt sich die Elite von Abenteurern, unter ihnen Reinhold Messner, der Tiroler Extrembergsteiger, der Kriegsreporter Henry Walsh und der Polarforscher Frederick Cook. Quell-Autorin Christine Mattauch hat sich in dessen ehrwürdigen Hallen umgesehen.

Da sage noch einer, es gäbe keine Helden mehr. Der grauhaarige Richard hat in China einen Gipfel erklommen, auf dem noch niemals vorher jemand war – während eines Blizzards, mit vollkommen unerfahrenen Sherpas. „Wie hoch war der Berg?“, will Lawrence wissen, ein eloquenter Banker, der in seiner Freizeit nach Schiffswracks sucht. „Och, nur ungefähr 3 000 Meter“, antwortet Richard bescheiden. Aber er zwinkert. Vielleicht hat er ein bisschen dick aufgetragen, um seinem Tischnachbarn zu imponieren. Beim „Members’ Dinner“ des ehrwürdigen Explorers Club in New York kann das schon mal passieren.

Eine Villa in Manhattan
Der Verein, gegründet 1904, ist eine Legende. Forscher, deren Namen in den USA jedes Kind kennt, waren Mitglieder: Flugpionier Charles Lindbergh, US-Präsident und Großwildjäger Theodore Roosevelt, Polarforscher Knud Rasmussen, Ballonfahrer Bertrand Piccard, die Astronauten Neil Armstrong und Buzz Aldrin. Und viele, viele andere, die es in Wissenschaft und Forschung zu Ruhm und Ehre brachten.
Hauptquartier ist eine Villa im Tudor-Stil, an der vornehmen Upper East Side von Manhattan, gleich um die Ecke von Prada und Cartier. Sie ist vollgestopft mit Souvenirs der besonderen Art – Beutestücke der erlauchten Mitgliedschaft. Riesige Holzschlitten und ein ausgestopfter Eisbär, Ölbilder und historische Fotos, Bronzeskulpturen und Marmorbüsten begleiten den Besucher beim Gang durchs Haus. Den Höhepunkt bildet der „Trophy Room“ unterm Dach, mit einer exotischen konservierten Menagerie – vom Löwen über den Pinguin bis zum Rhinozeros, und, unerhörterweise, dem Penis eines Pottwals.

Der Club kennt keine Nachwuchssorgen
Es sind Relikte aus einer anderen Zeit, auf Großwildjagd gehen heute nur noch wenige Abenteurer. Wer aber glaubt, dass heute nichts mehr zu entdecken sei, liegt falsch. Zwar gibt es nur noch wenige Gegenden auf dem Planeten, die noch kein Mensch betreten hat. Doch Flora und Fauna lassen sich heute ganz anders studieren, dem technischen Fortschritt sei Dank. Zudem sind die Tiefen der Ozeane noch größtenteils unerforscht. Und dann gibt es ja noch das Weltall – einige betuchte Clubmitglieder haben sich bereits auf Privatkosten ins All schießen lassen.
Deshalb kennt der Club, anders als viele Traditionsvereine, auch keine Nachwuchssorgen. Mehr als 3 000 Mitglieder hat die Vereinigung, mit 32 Untergruppen – die deutsche sitzt in Berlin. Aufnahmevoraussetzung: Der Nachweis einer bedeutenden Expedition oder wissenschaftlichen Feldstudie, plus zwei Vereinsmitglieder als Bürgen.

Ein Fünftel der Mitglieder sind Frauen
Frauen sind erst seit 1981 zugelassen, machen aber immerhin bereits fast ein Fünftel der Mitgliedschaft aus. Es gab auch schon zwei Mal eine Präsidentin. Gegenwärtig führt Alan Nichols die Geschäfte, der durch Expeditionen in Tibet und China bekannt wurde. Er und seine Mitstreiter arbeiten hart daran, die glorreiche Vergangenheit des Clubs durch eine moderne Zukunft zu ergänzen – organisieren Jugendprogramme, wissenschaftliche Symposien, humanitäre Aktionen. Im Sommer 2010 reiste eine Clubdelegation mit Augenchirurgen nach Nepal, um am Grauen Star Erkrankte zu operieren.
202 nummerierte Fahnen besitzt der Club, die Mitglieder auf ihre Touren mitnehmen dürfen, wenn es der Vorstand erlaubt. Richard Byrd hatte eine dabei, als er über den Südpol flog; Roy Andrews, als er die Wüste Gobi durchquerte. Einige hängen heute im Vortragssaal, löchrig und ausgedient, auch sie Teil der Legende. Andere sind nach wie vor im Einsatz. Im Sommer 2010 gingen 35 auf Reisen, begleiteten Höhlenforscher auf die Roraima-Hochebene in Venezuela und Klimaspezialisten ins chinesische Gaoligongshan-Gebirge.

Die Gründungsväter sind allesamt verwegene Kerle
Gegründet wurde der Explorers Club von einer Gruppe verwegener Kerle, unter ihnen der Kriegsreporter Henry Walsh und Polarforscher Frederick Cook, der später fälschlicherweise behauptete, zum Nordpol vorgedrungen zu sein. Solche Flunkerei kam gar nicht so selten vor – manche Mitglieder konnten einfach nicht zugeben, dass sie ihr Ziel nicht erreicht hatten. Heute, im Zeitalter von Skype, GPS und Google Earth, lassen sich Aufschneidereien schnell entlarven.
Für den Club ist die ruhmreiche Vergangenheit Lust und Last zugleich. Zehntausende von Exponaten haben die Entdecker ihrem Verein vermacht, darunter 13 000 Bücher und ein umfangreiches 16-Millimeter-Filmarchiv, das zu zerfallen droht, wenn es nicht digitalisiert wird. Aber wer soll das bezahlen? Unter Finanznot leidet der Club zwar nicht, denn er erhält immer wieder großzügige Spenden, aber die sind auch nötig, allein um das 1912 erbaute Haus mit seinen bunten Scheiben, Erkerchen und Türmchen zu erhalten. Die letzte Teilrenovierung kostete eine Million Dollar und schon wird wieder gesammelt.

Grenzerfahrung Insekten essen
Als Markenzeichen ist der leicht skurrile Großwildjäger-Mythos des Clubs mehr und mehr irreführend. Früher wollten die Entdecker Grenzerfahrungen machen –  heute geht es ihnen um die Bewahrung des Planeten. Beim „Members’ Dinner“ hält Ozeanforscher David Guggenheim einen eindrücklichen Vortrag über Korallenriffe, zeigt die Zerstörung des Tiefseezaubers nach Durchfahrt eines Trawlers, warnt vor Überfischung, wirbt für bewusste Ernährung. Auf den Mienen von Haudegen und Abenteuererinnen malt sich Betroffenheit und eine sagt leise: „Man kann ja bald gar nichts mehr essen.“
Das aber ist, wie der Explorers Club selbst demonstriert, ein Trugschluss. Denn eine Nahrungsquelle ist unerschöpflich: Insekten. In vielen Orten der Welt werden, wie Globetrotter wissen, Mehlwürmer, Spinnen und Heuschrecken delikat zubereitet. So werden sie der unerschrockenen Mitgliedschaft des Entdecker-Vereins dann auch serviert, beim Jahrestreffen im vornehmen Waldorf-Astoria. Es gibt sie eben doch noch, die Grenzerfahrung.

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