Gäbe es ein Medikament wie dieses, es würde als Wundermittel gepriesen: Mehr als zwölf Krankheiten kann es vorbeugen helfen und vorsichtig verabreicht kann es jedermann nutzen. Allerdings ist es nicht immer leicht zu bekommen – in den Wintermonaten oder im Norden ist es  rar mit der Folge von Mangel-Erscheinungen. Kein Wunder, dass jeder danach lechzt, sobald es wieder verfügbar ist: Die Rede ist von der Sonne.

Das Überleben der Blassen: Das bei Sonneneinstrahlung vom Körper gebildete Vitamin D war für die Menschen schon immer fürs Gesundbleiben und für die Fortpflanzung notwendig. In der Wiege der Menschheit – in Afrika – herrschte daran kein Mangel. Als die Menschen vor 50 000 Jahren in Richtung Norden vordrangen, veränderte sich die Sonneneinstrahlung und damit zunehmend auch ihr Aussehen: Sie wurden immer hellhäutiger, denn mit blasserer Haut gelang es ihnen besser, körpereigenes Vitamin D herzustellen. Menschen mit stärker pigmentierter Haut hingegen benötigen höhere Dosen an UVB-Strahlung, um ausreichende Mengen an Vitamin D zu produzieren.

Häufiger Vitamin D-Mangel
„Deutschland ist Vitamin D-Mangel-Land“, sagt Prof. Jörg Reichrath, Professor für Dermatologie an der Universität des Saarlandes. Experten gehen davon aus, dass viele Deutsche im Winter einen zu niedrigen Vitamin D-Spiegel im Blut haben. Die gute Nachricht: Durch eine regelmäßige Ganzkörperbesonnung in den Monaten März bis Oktober lässt sich der Vitamin D-Spiegel deutlich steigern und vielen Krankheiten vorbeugen (siehe unten). Vom Frühjahr bis in den Herbst steht die Sonne in einem günstigen Winkel, so dass genügend energiereiche UVB-Strahlen bis zur Erde durchdringen. Mit Hilfe dieses UVB-reichen Lichts kann der Körper rund 80 Prozent seines Bedarfs an Vitamin D selber herstellen. Den Rest von etwa 20 Prozent holt er sich aus Lebensmitteln. Vor allem in fettem Fisch, Milch und Milchprodukten, Eiern und Pilzen ist Vitamin D in größeren Dosen enthalten. In seinen Fettzellen kann der Körper Vitamin D speichern und in der dunklen Jahreszeit abrufen.

Spannende wissenschaftliche Entdeckungen
Die Entdeckungen in Sachen Sonnenlicht überraschen immer wieder aufs Neue. So haben Wissenschaftler herausgefunden, dass Menschen mit chronischer Niereninsuffizienz davon profitieren, wenn sie durch regelmäßige Teil- bzw. Ganzkörperbesonnung UV-Licht tanken: Hohe Blutdruckwerte gingen zurück, gleichzeitig verbesserte sich die körperliche Leistungsfähigkeit der Patienten. „Besonders Nierenpatienten, die häufig unter einem Vitamin D-Mangel leiden, profitieren von den positiven Auswirkungen des UV-Lichts“, erklärt Ad Brand, Sprecher des Sunlight Research Forum (SRF) mit Sitz in den Niederlanden, das die Verbreitung neuer medizinischer und wissenschaftlicher Informationen über die Wirkung einer mäßigen UV-Bestrahlung auf den Menschen fördert. Auf der Internetseite www.sunlightresearchforum.eu sind erstaunliche Erkenntnisse in Sachen Sonnenlicht nachzulesen. So soll sich das Nachlassen der Sehkraft im Alter durch Sonnenbäder (der Haut, nicht der Augen) ebenso reduzieren lassen wie das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden. Lang ist die Liste der Krankheiten, die mit einer Unterversorgung an Vitamin D in Verbindung gebracht werden, darunter Autoimmunerkrankungen, Infektionen bis hin zu Diabetes und Osteoporose (siehe Vitamin D-Defizit).
Warum aber wissen so wenige Menschen die Sonne als Medikament zu schätzen? Der Grund: Mit Sonnenbaden ist kaum Geld zu verdienen. Die Sonne scheint für jedermann, ob arm oder reich. Deswegen wird auch kaum für das Heilmittel Sonne geworben – im Gegensatz zu Vitamin D als Nahrungsergänzungsmittel, das eine große Lobby hat. Auch lässt die Angst vor Hautkrebs viele Menschen vor dem Vitamin D-förderlichen Sonnenbaden zurückschrecken. Denn das geht nur ohne Sonnenschutz (siehe unten: Richtig Sonne tanken). Viele Menschen schützen sich aber durch lange Kleidung, Sun-Blocker und Sonnenbrillen. Dazu kommt: Immer mehr Zeitgenossen bekommen im Alltag die Sonne kaum noch zu sehen. Der Arbeitsweg mit der U-Bahn, das Arbeiten im Büro, die Freizeit vor dem Computer hinterlassen mittlerweile messbare Spuren: Eine Studie des Nuklearmediziners Detlef Moka in Essen mit 2 500 Patienten beispielsweise belegte, dass 35 Prozent der deutschstämmigen Patienten unter einem Vitamin D-Mangel litten. Bei Patienten mit Migrationshintergrund betrug dieser Anteil sogar 65 Prozent – „vermutlich weil sie Sonnenlicht durch verhüllende Kleidung stärker meiden“, so Moka.

Die Angst vor dem Sonnenbad
Der englische Wissenschaftsautor Oliver Gillie schimpft: Die australische Kampagne „Slip! Slop! Slap! Wrap! – Cremt euch ein, zieht euch gut an, setzt Brille und Sonnenhut auf – die in den 1980ern in Australien zu einem völlig anderen Umgang mit der Sonne sorgte, habe den Umgang mit der Sonne auch im nördlichen Europa drastisch verändert. Während intensiver Sonnenschutz der hellhäutigen Menschen im sonnenreichen Australien durchaus Sinn macht, ist die Situation in Nordeuropa eine völlig andere. Hier genügt es auch im Sommer nicht, nur Hände und Gesicht in die Sonne zu halten, um ausreichend UVB-Strahlung abzubekommen. Es geht nicht darum, in der Sonne zu brutzeln, es geht darum, die Heilkraft der Sonne bewusst zu nutzen. Sonne ist eben wie ein Medikament, bei dem es auf die Dosis ankommt.

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Foto: Monika Frei-Herrmann

Richtig Sonne tanken: nicht mehr als 30 Minuten

Um die Bildung des Sonnenvitamins D wirkungsvoll anzukurbeln, sollte man mindestens 25 Prozent der Hautoberfläche (Hände, Unterarme und Gesicht) in die Sonne halten. Die Haut sollte nackt sein. Die Länge des Sonnenbads ist dabei von Mensch zu Mensch unterschiedlich und hängt ab vom Ort, von der Tages- und Jahreszeit. Eine blasse Haut bildet in der Sonne Vitamin D sechsmal schneller als eine dunkle Haut. In der Mittagssonne ist das Sonne-Tanken effektiver als in den Morgen- oder Abendstunden. Nach spätestens 30 Minuten hat die Haut genug UVB-Strahlen für die Vitamin D-Produktion aufgenommen. Der Körper stoppt dann Umwandlung und Einlagerung. Es lohnt sich also nicht, das Risiko eines Sonnenbrandes und damit erhöhtes Hautkrebsrisiko einzugehen.

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