Genfrei Gehen goes America: Nach zwei Langstrecken-Demos in Deutschland wurde diese Form von Protest gegen Agro-Gentechnik nun auch in den USA praktiziert. In 16 Tagen ging der „Right2Know March“ von New York nach Washington. Quell-Autorin Christine Mattauch war mit dabei.

Die Frau hat zwei Kinder im Schlepptau und Mühe, sich einen Weg durch die Menschen zu bahnen. „Sag mal, was ist eigentlich los?“ fragt sie einen jungen Mann mit Rasta-Locken. Der hält ihr gleich einen ganzen Vortrag über die Gefahren von genmanipulierten Lebensmitteln. Seine Zuhörerin nickt. Sie sagt, dass sie für ihre Kinder Bio-Food kaufe, „aber woher soll ich wissen, was in dem Essen steckt, das sie in der Schule bekommen?“ Ganz genau. Der junge Mann strahlt, seine Botschaft ist angekommen. „Chatterbox“ nennen sie ihn hier, Quasselstrippe, und jetzt weiß man auch, warum.
Vor der „Flatbush Food Coop“ im New Yorker Stadtteil Brooklyn haben sich an diesem Oktobersamstag rund 50 Leute eingefunden, zum ersten amerikanischen Fußmarsch gegen genetisch veränderte Lebensmittel. Der „Right2Know March“ dauert 16 Tage und geht von New York nach Washington, insgesamt rund 500 Kilometer. Inspiriert ist er von den „Genfrei Gehen“-Demonstrationen, die der Chef des deutschen Biounternehmens Rapunzel, Joseph Wilhelm, ins Leben gerufen hat. Die Firma gehört auch bei diesem Marsch zu den Sponsoren.
„Wir wollen Impulse geben und Bewusstsein schaffen“, sagt Wilhelm. Am Tag vor Marschbeginn war er mit Mitstreitern bei den Vereinten Nationen und hat eine an Generalsekretär Ban Ki Moon gerichtete Petition übergeben. Das macht Mut, auch wenn die Bewegung gegen GMOs – Genetically Modified Organisms – in den USA noch ganz am Anfang steht. Anbau und Verarbeitung gentechnisch veränderter Pflanzen sind dort weit verbreitet – bei Sojabohnen, Mais und Baumwolle liegt ihr Anteil zwischen 80 und 90 Prozent. Eine Kennzeichnungspflicht besteht nicht.
Verbraucherorganisationen warnen seit Jahren vor den Eingriffen in die Natur, doch ihnen steht eine gut organisierte Lobby von Befürwortern gegenüber. Viele Durchschnittsbürger wiederum verbuchen Gentechnik schlicht unter der Rubrik Fortschritt – und Amerikaner sind innovationsfreudig. Die New York Times veröffentlichte unlängst den Beitrag einer Biologieprofessorin, die sich für eine Lockerung der Zulassung von Gen-Lebensmitteln einsetzte, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Es gab eine Flut von Leserbriefen – anders als meist in Deutschland unterstützten viele die Autorin.

Die Freiheit sich für oder gegen Gentechnik zu entscheiden

Wilhelm ist trotzdem optimistisch: „Je größer die Übermacht, desto wichtiger ist es, dass man überhaupt mal anfängt.“ So gesehen ist der kleine Zug, der sich von der „Flatbush Food Coop“ in Bewegung setzt, bereits ein Erfolg. „Chatterbox“ hat eine Sound-Anlage auf einem Lastenfahrrad montiert. Zu den Klängen von Jazz-Legende John Coltrane marschieren die Teilnehmer in knallgrünen T-Shirts mit drei Armlöchern und der Aufschrift „GMO Shirts sind leicht zu entdecken. GMO Lebensmittel nicht“. Es geht die Ocean Avenue entlang, vorbei an kleinen Läden, die „Superior Market“ heißen oder „Sunshine Jewelry“. Vorbei an Mietskasernen, an deren Eingängen Nachbarn stehen und schwatzen. „Very good!“ ruft ein Mann im schwarzen Poloshirt, nachdem er die Transparente studiert hat. Eine Frau in Jeans, die ihren Foxterrier spazieren führt, gibt hingegen offen zu, dass sie nicht versteht, worum es hier geht. Das ist eine Reaktion, die die Wanderer während ihrer gesamten Route begleiten wird: Wenige Passanten wissen auf Anhieb etwas mit dem Thema anzufangen. Doch fast alle nehmen die kleine Broschüre, in der die Initiative Fragen und Antworten zu GMOs zusammengestellt hat.

Von der ehemaligen Bioladen-Inhaberin aus München bis zum Handwerker aus Kalifornien: Die Wanderer sind eine internationale Gemeinschaft. Anthony aus der Kleinstadt Hoboken in New Jersey hat von dem Marsch im Radio gehört. Ihm geht es um Bürgerrechte: „Ich möchte die Freiheit haben, mich für oder gegen GMOs zu entscheiden. Dazu muss ich wissen, wo sie drin sind.“ Gesa aus Boston sagt, dass sie Diplom-Biologin sei und nicht grundsätzlich gegen Genmanipulation – hitzeresistentes Getreide in Ländern wie Somalia etwa hält sie für eine gute Idee. Doch nicht unter der Kontrolle von profitorientierten Konzernen wie Monsanto: „Das ist nicht in Ordnung.“ Und dann ist da noch Giulia, eine 23jährige Italienerin, deren Eltern einen Bio-Bauernhof betreiben. Sie ist aus Tirol angereist, um mitzulaufen. „Etwas muss man machen“, findet sie.

Konkurrenz durch Proteste gegen Wall-Street-Banker

Auch Joseph Wilhelm läuft mit, die kompletten 16 Tage. Kann er sein Unternehmen so lange alleine lassen, Rapunzel hat immerhin mehr als 300 Mitarbeiter? Wilhelm lacht. „Die haben schon Übung von den letzten beiden Märschen. Bei uns weiß nicht nur der Chef Bescheid.“
Einen kleinen Dämpfer erhält die Stimmung beim Eintreffen auf der Grand Army Plaza, wo die Auftaktkundgebung stattfinden soll: Nur wenige Menschen warten. Vielleicht liegt es ein wenig daran, dass zur gleichen Zeit Proteste gegen Wall-Street-Banker laufen, die sind bekannter als GMOs. Immerhin bleiben im Laufe der Kundgebung Dutzende von Passanten stehen, hören Wilhelm zu, der mit Zahlen und Fakten über die Situation in Europa informiert und lassen sich von den emotionalen Botschaften amerikanischer Aktivisten in Stimmung bringen. Tenor: „Wir wollen nicht länger Versuchskaninchen sein.“ Der Zeitplan ist längst aus den Fugen geraten, was die deutschen Teilnehmer ein wenig kribbelig macht. Die Amerikaner nehmen es gelassen. Noch so ein Unterschied.
Später ziehen die Demonstranten über die Brooklyn Bridge nach Manhattan, eskortiert von Polizisten, die von Chatterbox und seinen Freunden ebenfalls mit Broschüren ausgestattet werden. Ein Uniformierter läuft gar minutenlang im Zug mit und diskutiert angeregt mit der hübschen Giulia. „Er meinte, wir seien verrückt, dass wir bis nach Washington gehen wollen“, erzählt sie später lachend.
Der Marsch ist jedenfalls ein Abenteuer besonderer Art – führt durch Provinz-Metropolen und Kleinstädte, durch langweilige Vororte und hässliche Industriegebiete, meist am Straßenrand entlang, weil es außerhalb der Innenstädte keine Wege für Fußgänger gibt. „Die Frage an mich selbst, warum mache ich das eigentlich, kann unter solchen Bedingungen schon mal aufkommen“, schreibt Joseph Wilhelm am fünften Tag in sein Online-Tagebuch. Aber Giulia findet gerade das auch spannend: „Ich lerne Amerika von einer ganz anderen Seite kennen.“

Foto: Rapunzel Naturkost

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