Der nächste Tag wird – auch wenn wir ihn als relativ leichten gut beschilderten und relativ kurze Etappe erwarten, wieder sowohl körperlich als auch geistig anspruchsvoll werden. Genau diese Erfordernis, sich flexibel auf alle Überraschungen und kleinen Unwegbarkeiten des Tages einzustellen, fühle ich mich Tag für Tag und mit jedem Schritt mehr im Jetzt und bei mir.

Die zu Hause zurückgelassenen Alltags-Baustellen, die auch wie ein Rucksack auf den Schultern lasten können, fühlen sich gleichzeitig weniger präsent und belastend.

Im Jetzt geht es darum,einen Schritt vor den anderen zu setzen und dabei auf den Weg und das Ziel zu achten. Das klingt zunächst banal, ist aber tagesfüllend, anspruchsvoll und befriedigend zugleich und auf diesem Franziskus-Weg, auf dem es der weise Franz von Assisi permanent begleitet, erweitert es den Horizont für das, was wir wirklich brauchen, nämlich zu sich selbst zu finden. Zurück zum Profanen: nämlich den Weg zu finden: Bislang gibt es keinen Reiseführer auf dem Markt, der die Weg-Strecke  idiotensicher beschreibt und die Beschilderung am Wegesrand bisweilen mehr als bescheiden um nicht zu sagen hochgradig verwirrend sein kann. Am dieser Stelle sei erwähnt, dass sich Verlegerinnen und Journalistinnen hier nicht leichter oder schwerer tun als Ärztinnen Psychotherapeutinnen Politikerinnen, ehemalige Pfadfinderinnen, des italienischen perfekt mächtige Kunsthistorikerinnen und von Spanien bis Oslo routinierte Pilgerinnen: angesichts des Weges verwirrt und verirrt waren alle unsere Weggefährtinnen. Und dass derartige Orientierungs-Schwierigkeiten nicht dem weiblichen Geschlecht zuzuschreiben sind, beweist der einzige Mann, ein ehemaliger Berufssoldat, dem wir bei der Weg-Suche behilflich sein konnten. Vorsicht sei auch dabei geboten, Einheimische nach Wanderwegen zu fragen, nicht weil sie nicht hilfsbereit wären. Doch die Appenin-Bewohner sind in der Regel stolz auf Straßenverbindungen in ihrer Region und kennen so auch in erster Linie die Strecken mit dem Auto perfekt. Ungläubig bzw. sich selbst vergleichsweise ungläubig fühlend, fragen sie gerne nach dem individuellen Motiv dafür, ein solches „Pilger-Opfer“ an den heiligen Franz von Assisi zu bringen. Das Pilgern um des Pilgerns willens scheint ihnen fremd und umso hilfsbereiter bieten sie auch jedem Verirrten und Erschöpften ihren letzten Platz auch im kleinsten Fiat an. Die Strecke von Bocca Serriola nach Pietralunga habe ich landschaftlich wunderschön und voller Natur-Genüsse in Erinnerung. Gerade auch die kleinen Umwege waren reizvoll und voller schöner Erlebnisse und Bekanntschaften. Vor dem Ortseingang von Pietralunga liegt unser Quartier für die Nacht. La Cerqua. Ein ehemaliges Benediktiner-Kloster, jetzt ein Biobauernhof, der sich der Gruppe der BioHotels angeschlossen hat. Erhitzt lockt uns der kalte Pool – gerade noch rechtzeitig vor den aufkommenden Gewitterwolken, die die Luft schnell abkühlen und uns frieren. Obwohl der Hof direkt am Franziskus-Weg liegt, scheinen in La Cerqua noch wenige Gäste nur mit Rucksack einzuchecken. Auf dem Parkplatz entdecken wir große Autos aus deutschen und italienischen Großstädten, beim Abendessen fühlen wir uns unter Romantikern und Gourmets insofern deplaziert, als wir – erfüllt von der romantischen Sinnes- und Natur-Genüssen des Tages – eigentlich diesen ganzen Luxus gar nicht brauchen.Ein schönes Bad, ein bequemes Bett und der Blick aus dem Fenster auf die vom Mond beschiene Landschaft lassen uns zufrieden einschlafen.

 

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Zur Fortführung unseres Weges von Sansepolcro  über Montecasale nach Lama:

https://www.quellonline.de/persoenliche-eindruecke-vom-franziskus-weg/

https://www.quellonline.de/von-montecasale-bis-lama-eindruecke-vom-franziskusweg/

https://www.quellonline.de/von-lama-nach-bocca-serriola-persoenliche-eindruecke-vom-franziskusweg/

 

Waren Sie selbst auch schon auf Pilgerschaft und möchten uns über Ihre Erlebnisse berichten. Schreiben Sie uns gerne ! martina.guthmann@quell-online.de