Ver-wandelte Alpen

Was schwindender Permafrost, zurückgehende Gletscher, unberechenbare Untergrundwasser und sonstige Naturgefahren für den Bergsportler bedeuten. Eine Reportage von Martina Guthmann.

Der Deutsche Alpenverein (DAV) sorgt sich um jeden Bergwanderer, der die mit dem Klimawandel einhergehenden Gefahren unterschätzt und arbeitet an zukunftstragenden Konzepten für Hüttenwirte und Einheimische.

ZURÜCKGEHENDE GLETSCHER – TIEFERE SCHLUCHTEN

Blühende Wiesen, Zirbenwaldduft, Kühe und Schafe beim Weiden – unsere zweitägige Bergtour von Ober- gurgl Richtung Längentalferner Alm über das Ramol- haus zurück nach Obergurgl startet unter besten Be- dingungen. Bergidylle pur -oberflächlich betrachtet. Doch im Inneren brodelt sich was zusammen, auf das uns Experten wie Dr. Tobias Hipp, Geologe und Klimawandelforscher im DAV, hinweisen.

Er erklärt, warum die Erderwärmung in den Alpen besonders gefährliche Folgen hat: Durch die stetige Verschiebung der Permafrostgrenze, die Nullgrad- Grenze ist seit den 1960er-Jahren um 500 Höhenme- ter nach oben gewandert ¬ tritt das Schmelzwasser der abtauenden Gletscher in die Felsspalten ein.

Gefriert das eingedrungene Wasser dann wieder in den kälteren Monaten, sprengt es das Gestein, das beim Wiederauftauen seinen Halt verliert. Stein- schlag tritt dadurch in neuer Dimension und Häu- figkeit auf.

Auf den rundgeschliffenen Steinen im moränenarti- gen Untergrund will mir die Trittsicherheit nicht gelingen und auch ich bringe einige Steine ins Rollen. Durch den weggeschmolzenen Gletscher wird der Übergang durch das Tal zur anderen Seite viel län- ger und auch steiler, bei einem Steilheitsgrad eines Hangs von 40 Grad werden die Kiesel der inaktiven Blockgletscher sich nicht mehr halten und auch über die Wege kullern, diese schwer oder unbegeh- bar machen. Plötzlich auftretender Starkregen kann die letzte noch stabilisierende Erde ausschwem- men. Gut vorstellbar, wie so ein ganzer Hang ins Rutschen kommen kann.

UNBERECHENBARE UNTERGRUNDWASSER
BEI GLEICHZEITIG WACHSENDER WASSERKNAPPHEIT

Nun beginnt es oberhalb der 2.800 m leicht zu reg- nen, schnell werden in dieser Höhenlage die Finger klamm. Es geht durch sulzig-matschige Schneefel- der bis zum höchsten Punkt der Tour. Das wegen in- stabilem Untergrund verwaiste Hochwilde-Haus ist ein Mahnmal für den Rückgang des Permafrosts. Die riesengroßen vom Gletscher formvollendet glattge- schliffenen, jetzt freiliegenden Steine, über die wir auf der anderen Seite abwärts steigen, sind durch den Regen wie frisch geputzt in ihren nuancierenden Ocker-Tönen. Sie sind wunderschön anzuschauen, bieten aber auch kaum eine Gelegenheit, mit Stock oder Schuh Halt zu finden. Der Regenwasser-Film macht den Abgang zur Rutschpartie, bei der auch ge- übte Bergsteiger auf dem Hosenboden landen.

Auch wenn es sich bei dieser Exkursion wegen des Regens nicht so anfühlt, ist es doch sichtbar an den schmaleren Wasserfällen und nicht mehr befüllten und sprudelnden Bergbrunnen: Durch das Ausblei- ben regelmäßiger Niederschläge wird das Wasser am Berg knapp. So ist davon auszugehen, dass mangels Schnee der Sommerabfluss an Wasser bis 2050 noch- mals um 55 bis 60 Prozent zurückgehen wird, bis En- de dieses Jahrhunderts um 70 bis 75 Prozent. Viele Hütten haben aufgrund der brisanten Lage längst ih- re Duschen wieder abgeschafft und mahnen zu spar- samen Umgang mit dem wertvollen Nass.

ERHÖHTE RISIKEN FÜR DEN BERGSPORT

Tiefer und tiefer führt der Steig in die Gletscherschlucht, Stahltritte und Griffe im Fels weisen den Weg. Da wünscht man sich bisweilen längere Beine zu haben oder sich zurück beamen zu können in die einfacher zu gehenden Gefilde zu Beginn der Berg- tour. Doch ein Zurück ist aufgrund der Zeitplanung jetzt keine Alternative mehr. Gut, dass ich hier nicht allein bin, selbst unser Bergführer verliert für einen kurzen Moment die Orientierung. Im Nebel taucht die Piccard-Brücke auf, die 2017 gebaut wurde, um dem Bergwanderer den unwegsamen, noch weitere 82 Meter tiefer liegenden, spitz zulaufenden Talbo- den zu ersparen. Ironie des Schicksals: Um die als Folge des Klimawandels notwendig gewordene Stahlkonstruktion auf einer Höhe von 2.465 Meter Höhe errichten zu können, waren etliche klima- schädliche Helikopterflüge mit gewaltigen CO2- Emissionen erforderlich. Aber für die Hütten, die nur so durch Tagestouristen erreichbar bleiben, ist die die 142 Meter lange und gerade einmal 70 Zentimeter breite Brücke existentiell.

WACHSENDE KOSTEN FÜR DEN DAV

In Anbetracht des rasant fortschreitenden Klima- wandels müssen Investitionen gut überlegt sein. Allein bis 2050 wird das Eisvolumen in den Alpen noch um bis zu 65 Prozent zurück gehen, bis Ende dieses Jahrhunderts werden die Alpen eisfrei sein – mit all den oben skizzierten Klimafolgen. Der DAV ist in einem schier unlösbaren Dilemma, er möchte den Menschen die Bergwelt als Sehnsuchtsort be- wahren und den Hüttenwirten das Einkommen si- chern. Doch gerade im hochalpinen Bereich steigen die Kosten für die Pflege und Instandhaltung von Wegen und Hütten.

 

DAV – MITGLIEDSCHAFT MACHT MEHRFACH SINN:

• günstige, je nach Hütte bei öffentlicher Anreise sogar kostenlose Unterkunft,

• Wichtige Notruf-Nummern auf der Mitglieds-Karte,

• Beitrag zum Klimaschutz, denn der DAV engagiert sich im Rahmen seines Ziels „Klimaneutralität bis 2030“ auch für klimafreundliche Maßnahmen in der gesamten Berg-Infrastruktur – von Bergbussen bis zur Energieversorgung auf Hütten.

Was jeder tun kann:

• Mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen. Beispiel: Die Anreise München- Garmisch-Partenkirchen bedeutet mit dem PKW 42,1 kg CO2e pro Person, mit dem Bus 9,6 kg CO2e pro Person.

• Auf der Hütte genügsam mit Wasser sein, Müll wieder selbst mit ins Tal nehmen.

• Klimafreundliches Engagement (zum Beispiel „So schmecken die Berge“, „Bergsteigerdörfer“) unterstützen.

 

Die Autorin Martina Guthmann Quell-Reiseexpertin und zugleich zertifizierte Natur-und Landschaftsführerin (ANL), hat an einer vom DAV organisierten Exkursion
teilgenommen und berichtet von ihren Erfahrungen.

 

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