Singen tut gut

Singen konnten nach Ansicht vieler Forscher die Vorfahren von Homo sapiens schon, bevor sie sprechen konnten. Dies würde auch erklären, warum die menschliche Stimme viel mehr kann, als beim Sprechen nötig ist. So ist sie in der Lage, Töne zu er- zeugen, die drei Oktaven abdecken – obwohl für die Sprache lediglich eine Quinte, also etwas mehr als die Hälfte einer Oktave, ausreichen würde. Unsere Stimmbänder umfassen damit einen Tonumfang, der ein ganzes Orchester vom Kontrabass bis zur Piccoloflöte umfasst. Das Potenzial zu singen hat übrigens fast jeder Mensch auf dieser Welt, denn nur extrem wenige Menschen haben eine angebo- rene Tontaubheit, mit der man keine Melodien erkennen und wiedergeben kann.

WARUM IST SINGEN SO GESUND?

Doch warum ist Singen so gesund? Singen ist für den Körper so anstrengend wie Dehnübungen oder leichter Sport. 10 bis 15 Minuten bewusst und laut singen reichen aus, um das Herz-Kreislauf-System in Schwung zu bringen. Die vielleicht wichtigste Sache beim Singen ist das Atmen.

Im Durchschnitt atmen wir beim Singen öfter als im Ruhezustand, deshalb wird unser Körper beim Singen mit mehr Sauerstoff versorgt. Dabei wird der Stoffwechsel angekurbelt, der Blutdruck stabilisiert sich, Organe und Gehirn werden besser durchblutet und die Konzentrationsfähigkeit steigt.

Beim Singen werden auch unsere Abwehrkräfte gestärkt. Dies belegt unter anderem eine Studie des Instituts für Musikpädagogik der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Der Musikwissenschaftler Prof. Dr. Gunter Kreutz untersuchte zusammen mit Psychologen und Medizinern Speichelproben von Kirchenchormitgliedern. Nach der Chorprobe war die Anzahl der zum Immunsystem des Körpers gehörenden Immunglobuline A stark gestiegen. Wenn die Chormitglieder dagegen die Musik nur vom Band hörten, blieb die Anzahl der Antikörper unverändert. Dass Singen die Stimmung verbessert und glücklich macht, wurde in mehreren Untersuchungen nachgewiesen.

Singen kann als natürliches Antidepressivum bezeichnet werden. Studien mit professionellen Sängern lassen darauf schließen, dass Menschen, die oft und viel singen, entspannter sind und sich insgesamt besser fühlen. Zum Beispiel haben schwedische Forscher herausgefunden, dass das „Kuschelhormon“ Oxytocin während des Singens vermehrt ausgeschüttet wird. Oxytocin wird beispielsweise auch beim Stillen, bei der Geburt oder beim Geschlechtsverkehr freigesetzt und ist dafür da, Bindungen zu stärken, Vertrauen zu fördern, Angst zu reduzieren und Entspannung zu erhöhen. Auch andere Glückshormone werden beim Singen vermehrt ausgeschüttet: Endorphine, Serotonin, Dopamin steigern unser Wohlbefinden und stimmen uns fröhlich. Zusätzlich wird beim Singen die Zirbeldrüse stimuliert und Melatonin ausgeschüttet. Melatonin bewirkt besseren Schlaf, Krebsprophylaxe und hat einen tumorhemmenden Effekt.

GEMEINSAM IST ES NOCH SCHÖNER

Zu all diesen positiven Effekten kommt beim gemeinsamen Singen in einer Gruppe oder einem Chor noch die soziale Bindung. Forschungen un- ter der Leitung des Psychologen Nick Stewart von der Universität Bath zufolge erfahren Menschen, die im Chor singen, ein stärkeres Gefühl der Zusammengehörigkeit und der Zugehörigkeit zu einem gemeinschaftlichen Projekt als Menschen, die an anderweitigen sozialen Aktivitäten teilnehmen. Prof. Dr. Gunter Kreutz hat in einem Interview vor kurzem gesagt: „Tatsächlich ist die größte Stärke des Singens, dass sie ein Gruppengefühl auslöst. Wir fühlen uns mehr in der Gemeinschaft, mehr zusammen. Und ich glaube, in der heutigen Zeit mit multiplen Krisen wünschen sich die Menschen eigentlich nichts mehr, als dass sie beieinander sind, dass sie zusammenstehen“.

SINGEN IN DEN ALLTAG ZURÜCK HOLEN

Weltweit ist für viele Völker heute noch das gemeinsame Singen und Tanzen elementar wichtig für das Gemeinschaftsleben. In der „westlichen“ Gesellschaft dagegen werden Musik und Gesang mehr und mehr konsumiert. Das eigene Singen und Musizieren treten in den Hintergrund.

Der Pionier der Singforschung und des heil- samen Singens Dr. Karl Adamek und Gründer des Vereins Il Canto del Mondo sieht sogar die Gefahr, dass die Lebensart des einfachen Singens des Menschen verloren gehen könnte.

Da das Singen aber wissenschaftlich nachgewiesen so viele Schätze für den Einzelnen und die Gesellschaft birgt, lohnt es sich, das Singen in den Alltag der Menschen zurückzuholen. Dazu passt ein schöner Ausspruch vom berühmten Geiger und Dirigenten Yehudin Menuhin: „Das Singen ist zuerst der innere Tanz des Atems, der Seele, aber es kann auch unsere Körper aus jeglicher Erstarrung ins Tanzen befreien und uns den Rhythmus des Lebens lehren.“ Wenn Sie nun Lust bekommen haben mehr zu singen, so haben wir weiter unten ein paar Tipps für Sie zusammengestellt.

i QC72L02 Von Claudia Schwarzmaier

Grafiken: Antje Theres Kral, mit freundlicher Genehmigung des 8grad Verlags

INTERESSANTE LINKS

Singen kann man an vielen Orten. Singen als Friedensbrücke zwischen den Völkern, das ist die Grundidee des Vereins Il Canto del Mondo. Il canto del Mondo. Der Verein wurde auf Initiative des Musikpsychologen Dr. Karl Adamek unter der Schirmherrschaft von Lord Yehudi Menuhin gegründet. www.il-canto-del-mondo.de

Einen guten Überblick über Projekte und Aktivitäten von Chören für Kinder erhält man auf der Seite der Deutschen Chorjugend. www.deutsche-chorjugend.de

Eine interessante Initiative, um die Heilkraft des Singens zu unterstützen, sind die Singenden Krankenhäuser.
www.singende-krankenhaeuser.de/home.htm

TIPPS FÜR DIE LUST AM SINGEN

 Über die Kraft der Musik  und des Summens haben wir schon oft in Quell berichtet.
Machen Sie Atemübungen vor dem Spiegel beispielsweise Lippenflattern – einmal tief Luft holen und wie ein Pferd schnauben. Das wirkt befreiend und entspannend. Egal ob beim Staubsaugen, Abwaschen oder wenn Sie auf dem Sofa liegen – wählen Sie Ihren Lieblingssong aus, drehen Sie die Lautstärke hoch und singen Sie nach Lust und Laune mit. Schiefe Töne sind dabei egal. Ob zu Geburtstagen, zu Weihnachten, zu Hochzeiten oder anderen besonderen Anlässen. Stimmen Sie ein Lied an, in der Regel steigen andere mit ein. Kinder singen für ihr Leben gerne. Warum also nicht mit den Kleinen zusammen ein Lied anstimmen? Und schließlich wie wäre es mit einem Chor in Ihrer Nähe ? Ob Gospel, Pop oder Volkslieder, am besten sind Gruppen, bei denen es nicht in erster Linie um Leistung geht, sondern der Spaß im Vordergrund steht.

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Summen statt Verstummen