Summen statt Verstummen
Dass Singen glücklich und gesund machen kann, ist hinlänglich erforscht. Ganz unabhängig von unserer Musikalität kann auch schon das Summen und Spielen mit der Stimme die Stimmung heben und das Immunsystem stärken. Wir atmen dabei intensiver, bringen Herz und Lunge in Rhythmus, fördern unsere innere Balance und sogar unsere soziale Kompetenz – selbst wenn wir ganz allein vor uns hin trällern.
Wo Risiken des Verstummens lauern
In lebendiger Erinnerung sind vielen von uns die Balkon-Gesänge während der Lockdowns. Sie haben uns vielleicht auch deshalb so berührt, weil wir in vielen Situationen in den letzten Monaten verstummt waren. Mit der Reduzierung sozialer Kontakte wuchs der passive Medien-Konsum. Mit-Sing-Konzerte fielen genauso aus wie Chorproben, der Smalltalk in der Büroküche genauso wie das lautstarke Singen im Fußballstadion. Online-Unterricht entwickelte sich vielerorts zum Frontalunterricht – bitte mit ausgeschalteten Mikrophonen – und auch so manches Team-Meeting verlor in der Online-Version an Lebendigkeit des vertrauten Live-Austauschs. Es fehlte das „Vom Himmel hoch…“ im überfüllten Weihnachtsgottesdienst ebenso wie das „Wie schön, dass Du geboren bist“ in der Kindergruppe, selbst „der Mai ist gekommen“ durfte in den Altenheimen noch nicht in vertrauter Gemeinschaft durch den Jahreskreis führen. Neben dem Text-Gedächtnis verkümmerten so über alle Generationen hinweg auch Stimme und Lungenfunktion durch unser Verstummen. Wie oft stockte uns der Atem bei schlechten Nachrichten, so dass wir begannen, immer mehr die Luft anzuhalten, so wie jedes Lebewesen in Schockstarre den Atem anhält. Auf Dauer beeinträchtigt das Verstummen nicht nur die Lungenfunktion. Auch Kehlkopf und Kiefer verspannen. Im extremen Fall führt dies zu chronischer Luftnot.
Lachen – die einfachste Atmungsbewegung
Typisch für eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) ist eine schwer behinderte Atmung, die in erster Linie von einer Verengung der Atemwege herrührt. Dabei tragen schon einfachste Atmungsbewegungen wie das Lachen, bei dem wir in mehreren, schnell hintereinander folgenden Stößen ausatmen, dazu bei, dass sich die Atemmuskulatur rhythmisch zusammenzieht und das Ausatmen um einiges länger wird als das Einatmen. Durch diesen mechanischen Einfluss auf die Lunge lässt sich die in der überblähten Lunge „gefangene“ Luft auch bei Lungenpatienten reduzieren, dies belegte eine Studie am Universitätsspital Basel mit einem Clown. Dabei ist die nachhaltig heilsame Lautstärke oder Intensität ganz individuell.
Gesunde Atmung durch Summen, Lautübungen, Chanten und Singen
Nicht nur kranke Menschen, auch die meisten (noch) gesunden Menschen atmen zu flach und nutzen nur einen Teil ihres Lungenvolumens. Bei allen Tönen, die wir von uns geben, atmen wir unwillkürlich tiefer und unterstützen so unsere Atmung, der Organismus wird mit zusätzlichem Sauerstoff versorgt. In vielen Studien wurden der positive Einfluss des Singens auf die Gehirnchemie und auf hormonellen Kreisläufe nachgewiesen, von der Reduktion des Stresshormons Adrenalin bis zur Produktion von Glücksbotenstoffen wie Serotonin und Noradrenalin. Musikforscher wie Adamek, Musiktherapeut wie Wolfgang Bossinger, und Mediziner wie Prof. Dr. M. Moser stimmen überein: die Atemtechnik beim Ausstoßen von beliebigen Lauten ist heilsam in jeder Beziehung. Egal, wie wir die Kehlkopfmuskeln aktivieren: Wenn wir tief aus der Kehle heraus summen, aktivieren wir diese Kehlkopf-Muskeln, bringen sie zum Schwingen und stimulieren dabei auch den Vagusnerv, der wiederum die Produktion und Ausschüttung der Glückshormone Serotonin, Beta-Endorphin und Oxytocin aktiviert.
Das ist die beste Nachricht auch für alle weniger musikalischen Menschen. Schon das intuitive vor sich hin Summen und einfache Laute wie „Mmm“, „Ohh“ oder Vokal-Konsonant-Lautkombinationen wie „Wow“ von sich zu geben, kann jeden ganz individuell aus der Verstummung holen. Schon einfache Vokaltöne sind herzkräftigend: so können allein durch den gleichmäßigen Laut „Aaaah“ die Schwingungen der Herzfrequenz gesteigert werden, eine gute Prävention gegen Schlaganfälle, die letztlich durch einen Mangel an Schwingungen im Herzen verursacht werden. Vokaltöne bewirken, dass wir tiefer und langsamer atmen, statt 16-20 Atemzüge pro Minute nur noch 2-6 intensive.
Einfach mal Aaaaah sagen – Tipps für Laut-Malereien aller Art
Beginnen wir also zum Beispiel den Tag, wenn wir die Augen aufschlagen und uns zu räkeln und zu strecken beginnen, mit einem „Aaaah“. Während der Morgentoilette lässt sich sicher ein Moment finden, vor uns hinzusummen, “mmmmm…“ Das funktioniert auch ohne Liedtext und oft sogar besser ohne Radio-Untermalung – und ist auch mit einfachen Lautübungen kombinierbar: Hu hu hu hu – hi hi hi hi – ho ho ho ho – ha ha ha ha – wer Laute wie diese von sich gibt, wird kein grimmiges Gesicht im Spiegel sehen, denn automatisch gehen die Mundwinkel nach oben. Und damit steigt auch die Laune wie von selbst. Auch ganz ohne explizite Atem-Übung, die Luftröhre wird freier und der Atem fließt wie von selbst.
Welche Lieblingskonsonanten wir bei diesen Stimmübungen mit welchen Lieblingsvokalen kombinieren, dabei sind unserer Phantasie keine Grenzen gesetzt. Erlaubt ist, was gerade in den Sinn bzw. auch dem Rachen kommt, und wir finden gemeinsame Summ-und Sing-Momente ebenso wie „ungehörte“ Allein-Momente, nicht nur am sonst „stillen“ Örtchen.. Ob am Schreibtisch, beim Essen zubereiten, auf dem Weg zur Bahn, im Auto oder auf dem Rad, beim Aufräumen, beim Putzen oder bei der Gymnastik – zu jeder Bewegung fallen uns Laute in den Schoß, wenn wir nicht verspannt unsere Ober- und Unterkiefer zusammenbeißen. Bei der Gartenarbeit oder beim Zubereiten vom Speisen sollen wohlwollende Laute sogar den Pflanzen und Lebensmitteln positive Schwingen übertragen.
Dies ist vergleichbar mit dem Chanten – dem jahrtausende alten Singen von Sanskrit-Mantren, bei dem auch die Klangstruktur der wiederkehrenden Verse selbst eine heilende Wirkung hat. Jeder kann sich aber auch selbst ein kleines Mantra ausdenken in seiner ihm vertrauten Sprache. Dafür eignen sich zum Beispiel kleine Affirmationssätze wie „Alles wird gut“, die in allen Betonungs- und Stimmlagen dem Atem und dem Herz Freude machen.
Egal ob wir summen oder singen, reguliert sich nicht nur der Atem- auch der Herz-Rhythmus und Blutdruck, stressbedingte unregelmäßige Ess- und Schlafgewohnheiten harmonisieren sich wieder, wenn der Körper wieder in harmonischen Rhythmus kommt. Bei allen sich bietenden Gelegenheiten und Lauten, die uns gerade in den Sinn kommen, können wir so unserer Stimme, Atem und Lunge etwas Gutes tun, in diesem Sinne: „Summ, summ, summmmm..“.
Kleines Trainingsprogramm für Stimme, Atem und Lunge:
Aufwärmen der Stimme: zum Beispiel ein Kinderlied summen oder ein Mantra wie OM, A-U-M oder SRI RAM JAI singen
- Zwerchfelltraining: Abwechselnd schnelles Wiederholen von p, t, k und f, s, sch
- Hecheln: Unverkrampft die Zunge rausstrecken und gsch, gsch, gsch wiederholen (als wollte man jemanden verscheuchen)
- Lippenflattern: Nachahmen eines Autos, Rasenmähers oder Hubschraubers
- Wer kann, versucht sich an einer Tonleiter mit dem Wort “Uh” und hält den Lautstärkepegel zwischen den Noten konstant.
- Erlaubt ist, was gefällt: Spielen Sie ungeniert mit Ihrer Stimme – Sie werden merken, wie viele Gelegenheiten sich dafür bieten.
Bildnachweis: Martina Guthmann