Prinzip Hoffnung

Ein anderes Leben ist möglich. Davon ist Johannes Hartl zutiefst überzeugt. Kaum ein anderer Zeitgenosse lebt den Traum vom anderen Leben so konsequent wie er. Der Philosoph und Theologe hat vor zehn Jahren in Augsburg ein Gebetshaus gegründet, in dem seither rund um die Uhr gebetet wird. Dort läuft alles ganz anders, als wir es bislang gewohnt sind: Quer über alle Konfessionsgrenzen sind dort alle Menschen willkommen, die sich nach Spiritualität sehnen. Anders als die kirchlichen Institutionen hat das Gebetshaus keinen Business-Plan oder ist an feste Geldflüsse gebunden, sondern es finanziert sich nur aus freiwilligen Spenden. Und das funktioniert. Mit diesem festen Glauben an eine gute Zukunft hat Johannes Hartl bewiesen, dass damit schier unvorstellbare Projekte möglich werden. Er ist das lebendige Beispiel dafür, dass Glauben Berge versetzt.  Kürzlich hat Johannes Hartl ein neues Buch veröffentlicht. Es ist für ihn das erste Buch seit fünf Jahren und wieder hat er darin große Hoffnungen gesetzt. „Mein Traum wäre, dass es gleich in den ersten Tagen in die Bestsellerliste kommt und dadurch von vielen neuen Leuten wahrgenommen wird“, so schreibt er in seinem Newsletter. Auch dieser Traum ging in Erfüllung. Am 14. September erschienen, kam „Eden Culture“ innerhalb einer Woche auf die Bestseller-Liste von amazon. Kurze Zeit später wurde es auch ein Spiegel-Bestseller.  Die Hoffnungsperspektive, die Johannes Hartl darin aufzeigt, trifft wohl einen Nerv in der Gesellschaft. „Denn wo ich hinsehe, fällt mir überwiegend Pessimismus auf“, so beschreibt er seine Beobachtung. In seinem neuen Buch unternimmt er den Versuch, eine „Ökologie des menschlichen Herzens“ zu entwickeln. Denn „während die Ökologie des Planeten in aller Munde ist (zu Recht!), wird von der Ökologie des Menschen nur wenig gesprochen. Im Gegenteil: der Mensch wird zunehmend eher als Schädling betrachtet …“  Drei Prinzipien sind es, die Hartl als die „Nährstoffe unseres Lebens“ erkennt: Verbundenheit, Sinn und das Schöne.  Damit befindet er sich in guter Gesellschaft mit anderen, die über die Voraussetzung eines hoffnungsvollen Lebens nachgedacht haben. In einer „Ära der Krise“, wie das Zukunftsinstitut formuliert, bedarf es einer ganz besonderen Geisteshaltung, um mutig den derzeitigen und künftigen Herausforderungen begegnen zu können. 

Mit anderen Menschen verbunden

Wie sehr wir Beziehungen brauchen, zeigt eine im Jahr 2010 veröffentlichte Metaanalyse. Diese stellte den Zusammenhang zwischen Beziehungsqualität und Sterblichkeit in 148 Studien mit mehr als 300.000 befragten Personen dar. Demnach beeinflussen zwischenmenschliche Beziehungen die körperliche Gesundheit in ähnlichem Maße wie Ernährung, Sport oder Alkohol. Einsamkeit ist etwa so gefährlich wie 15 Zigaretten am Tag und doppelt so gefährlich wie Fettleibigkeit. „Lieblosigkeit macht krank“, so lautet ein Titel des neuesten Buches des deutschen Hirnforschers Gerald Hüther zum selben Thema. Die Bindungsforscher Klaus und Karin Grossmann kommen in Langzeitstudien zu dem Schluß: „Ob das Gefüge psychischer Sicherheit das eigene Leben dominiert, hängt weitgehend davon ab, ob die Bereitschaft und die Möglichkeit zu sicheren Bindungen bestehen. Bindung und Verbundenheit sind die Grundlage emotionaler Gesundheit.“ Was Johannes Hartl Verbundenheit nennt, das hat in der neuen Studie des Zukunftsinstituts einen anderen Namen. Die Frankfurter Forscher nennen es: „Resonanz“. In der ihnen eigenen Sprache stellen die Zukunftsforscher die These auf: „Resonanz wird zur Leitmaxime des spätmodernen Individuums. Mit dem Peak der spätkapitalistischen Konsumgesellschaft geht eine mentale Revolution einher. Auf die Ära der Selbstoptimierung folgt die Epoche der Resonanz. Individuelle Resilienz kann nur gelingen, wenn der Mensch sich wieder als soziales Wesen begreift.“ Ein Interview mit Prof. Dr. Michael Lehofer untermauert die alles entscheidende Kraft der Verbundenheit. Darin bestätigt der Grazer Psychologe und Psychoanalytiker: „Der größte Resilienzfaktor ist soziale Unterstützung, die als Liebe erlebt werden kann. Liebe – im Sinne einer tiefen Verbundenheit – führt dazu, dass Stress gedämpft wird. Ein balancierter Stresslevel hilft nicht nur, Situationen besser zu verarbeiten, sondern auch, Lösungen für Probleme zu entwickeln.“

Gelebte Sinnorientierung

„In den kommenden Jahrzehnten wird die Frage nach dem Sinn und Zweck des Arbeitens und Konsumierens immer mehr ins Zentrum rücken. Mitarbeitende und Konsumierende erwarten Arbeitgeber, Produkte und Dienstleistungen, die ihre Lebensqualität steigern und echte gesellschaftliche und ökologische Mehrwerte schaffen. Unternehmen müssen sich und ihre Angebote konsequent auf diese Sinn-Parameter prüfen“, so analysiert das Zukunftsinstitut.  In seinem Hauptwerk „Das Prinzip Hoffnung“ beschäftigte sich der Philosoph Ernst Bloch während seiner Zeit des Exils (zwischen 1938 und 1947) mit der Frage nach dem Sinn. „Wer sind wir? Wo kommen wir her? Wohin gehen wir? Was erwarten wir? Was erwartet uns?“ Viele Menschen sind verwirrt und wissen keine Antwort auf diese Fragen. Sie leben im Zustand der Angst. Wird diese Angst konkreter, so wird daraus Furcht. Berücksichtigt man Zeit und Umstände, in denen das Buch geschrieben wurde, so war die Furcht weltweit groß und die Hoffnung gering. Es mutete utopisch an, von Hoffnung zu sprechen. Gegen diese konkrete Furcht setzte Bloch das Hoffen, das erlernbar und lebbar ist. Das Hoffen bedeutet aber nicht, sich Tagträumen hinzugeben, vor denen niemand gefeit ist. Diese Tagträume sind eher Flucht vor dem Alltag mit all seinen Problemen. Es gilt vielmehr, sich gegen Probleme aufzulehnen. Das Auflehnen gegen Probleme bezeichnet Bloch als den Kern des Hoffen, es ist eine Arbeit gegen die Lebensangst. Gerade dieses ins Handeln kommen, sich zu engagieren hilft nach Analyse des Zukunftsinstituts dabei, aus Ohnmachtgefühlen heraus zu kommen. Die Wirkung des eigenen Handelns zu spüren, stärkt die persönliche Resilienz – so wie jede umweltbewusste Handlung die Resilienz des Planeten erhöht. Das Prinzip Hoffnung gilt übrigens nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Gesellschaft und die Politik.  Johannes Hartl findet für die Notwendigkeit der Sinn- orientierung folgende Worte: „Das, was den Menschen einbettet in das „größere Ganze“, was seinem Leben insgesamt die Deutung verleiht, nennt man Sinn“. Und er fragt: „Was genau zeichnet Sinn aus? Warum ist er eine ‚Herzensressource‘, die der Mensch so dringend braucht wie ein Garten den guten Boden? Und inwiefern sind wir gerade dabei, diesen Boden gründlich zu vergiften?“ Er benennt dabei aktuelle Probleme, die dazu führen können, dass das Empfinden völliger Sinnlosigkeit die moderne Kultur in vielen Bereichen durchdringt. Eines dieser Probleme ist die Kultur der Ablenkung. „Während die Speicherkapazitäten der Rechenzentren von Google schier unendlich groß werden und die Uploadgeschwindigkeit immer höher, bleibt unsere Aufmerksamkeitsspanne begrenzt“. Im Zeitalter der permanenten Informationsüberflutung lernt unser Gehirn systematisch eine schnelle, oberflächliche Auseinandersetzung. Auf der Jagd nach schnellen Informationen bleibt die tiefer gehende Auseinandersetzung notwendig auf der Strecke. Was das alles mit Sinn zu tun hat, erklärt Johannes Hartl folgendermaßen: „Sinn ist nicht nur Information“. Der Philosoph ist davon überzeugt, dass in Zukunft nicht einfach nur die Rechenleistung und die Menge an Daten entscheiden, sondern die Personen und Gruppen, die imstande sind, sich darin zurecht zu finden und Entscheidungen zu treffen, die wirklich tragfähig sind. Das hat aber mit einer Wertung zu tun. Wertung braucht wiederum Werte, nach denen aussortiert wird. „Und wir empfinden das als sinnorientiert, was sich an Werten ausrichtet.“

Unverzweckte Schönheit

„Für ein Jahr voller Beklemmung, Einschränkungen und Verzicht gibt es nur ein Gegengift: Schönheit und Kunst, Freundschaft und Liebe. Das Gute bleibt, der Rest wird sich regeln“. Diese Zeilen schrieb der Frankfurter Mode-Designer Albrecht Ollendiek in seinem letztjährigen Weihnachtsaussand. Um für Schönheit in seinem Umfeld zu sorgen, braucht man jedoch kein Modeschöpfer zu sein. Jeder kann sich in seinem Lebensbereich für mehr Schönheit einsetzen. Ob das nun die geputzten Fenster sind oder die Blumen auf dem Balkon. Um zu erklären, warum die Schönheit für Menschen so wichtig ist, greift Johannes Hartl zurück auf die Bibel, die er aus dem Effeff kennt: „Im Buch Genesis beginnt die Geschichte des Menschen eben nicht in einer Fabrik, nicht in einer Lagerhalle, nicht auf einem Schlachtfeld, nicht in einer Wüste, auch nicht in der Wildnis, sondern in einem Garten. In einem Garten, dessen Namen Eden schon das bedeutet, was ihn auszeichnet: ‚Lust, Wohlgefallen, Schönheit‘. Schönheit, so könnte man die Geschichte deuten, ist der natürliche Lebensraum des Menschen. Schönheit ist tatsächlich ein Ort, den man nicht mehr verlassen möchte.“ Für Johannes Hartl ist die ursprüngliche Erfahrung des Schönen untrennbar verbunden mit dem, was es heißt, ein Mensch zu sein und unter Menschen zu leben. „In alledem unterscheiden sie sich massiv von Tieren. Indem Menschen eben nicht nur fressen, sondern den Tisch decken, indem sie nicht nur kopulieren, sondern Vermählung feiern, indem sie ihre Toten mit Gesang und Schmuck begleiten – genau darin zeigen sie, dass sie Menschen sind.“ Kulturelle Ausprägungen sind verschieden, doch grundsätzlich ist das Schöne immer mehr als das unmittelbar Notwendige. Merkmale des Schönen sind: Individualität, Großzügigkeit, Ordnung, Abwechslung, Wertschätzung, Harmonie und Liebe zum Detail. 

Vertrauen als Fundament 

Was bringt Verbundenheit, Sinn und Schönheit hervor? Wie kann die Welt so gestaltet werden, dass sie menschlich bleibt?“ stellt Johannes Hartl am Ende seines Buches die Frage. Alle in seinem Buch vorgestellten Ideen der Philosophie- und Kunstgeschichte, alle technischen Innovationen, kulturellen Entwicklungen und Ideologien entspringen der Sehnsucht nach einer besseren Welt. Sie alle versuchen die Frage zu beantworten, wie wir eigentlich leben wollen. „Doch es sind alles Lösungen, die äußerlich bleiben“, so ist Johannes Hartl überzeugt. Für ihn liegt das Grundproblem des Menschen darin, „dass er sich zwar nach Verbundenheit, Sinn und Schönheit sehnt, sich aber in einem Akt des Misstrauens von der Quelle all dessen abgeschnitten hat. Aus dieser tiefen Spaltung heraus hat er ein Lebenskonzept entwickelt, das immer wieder neue Spaltung, neue Sinnlosigkeit und die Zerstörung des Schönen hervorbringt.“ Das persönliche Erfolgsrezept von Johannes Hartl beruht auf Vertrauen. „Vertrauen in die gute Kraft, die dem Leben dient.“ Er selbst nennt diese Kraft „heiliger Geist“. Seine erstaunlichen Erfolge hat Johannes Hartl nach eigenem Bekunden diesem Vertrauen zu verdanken. Für ihn ist es das „Fundament lebensfördernder Kultur.“ QC62L01

Buch-Tipp

Johannes Hartl

Eden Culture 

Ökologie des Herzens für ein neues Morgen

Verlag: Herder
ISBN 978-3-451-03308-7
304 Seiten, 24 Euro

Buch-tipp

Zukunftsinstitut

Viele Krisen – eine Antwort – Resilienz 

Die neue Trendstudie des Zukunftsinstituts „Zukunftskraft Resilienz – Gewappnet für die Zeit der Krisen“ untersucht die neuen Resilienzprinzipien im Kontext einer global vernetzten Welt und zeigt auf, wie eine dynamische Bewältigung der Krisen gelingen kann.

Verlag: Zukunftsinstitut GmbH
ISBN 978-3-945647-84-4

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