„Mehr Licht!“. Mit seinem allerletzten Satz formulierte Dichterfürst Goethe das, was die Medizin in ihren Anfängen als universelles Heilmittel erkannt hatte: Das Licht der Sonne. Das gesundheitsfördernde Potenzial der Sonne nutzten die Menschen schon vor Jahrtausenden als Heilmittel. In seinem Buch „Sonnen ohne Schattenseiten“ beschreibt der Autor Richard Hobday, wie die moderne Medizin aus der Sonnenanbetung entstand. So waren die ersten geschichtlich erwähnten Mediziner die Hohepriester eines ägyptischen Sonnenkults und die ältesten medizinischen Texte aus Ägypten empfehlen den Menschen, sich der Sonne auszusetzen. Als Vater der Heliotherapie – der Sonnenbehandlung – gilt der griechische Geschichtsschreiber Herodot. Er empfahl Sonnenlicht bei vielen Krankheiten und zur Erhaltung der Gesundheit. „Lethargische Menschen müssen ans Licht und den Sonnenstrahlen ausgesetzt werden, denn ihre Krankheit ist Trübsinn“, formulierte Areatus, einer der berühmtesten Ärzte im Altertum.

Trübsinn und SAD

Was im Altertum Trübsinn genannt wurde, das ist auch heutzutage ein weit verbreitetes Phänomen: Rund ein Drittel der deutschen Erwachsenen leiden nach Zahlen der DAK im Laufe eines Jahres in mehr oder weniger starker Form unter Niedergeschlagenheit. Zu den Auslösern zählen neben Stress auch Lichtmangel. Die „Saisonal abhängige Depression“ (oder auch „Seasonal Affective Disorder, kurz: SAD) beginnt meist im Dezember, wenn die Tage kürzer werden, und kann bis April dauern. Die schlimmsten Monate sind der Januar und der Februar. Wissenschaftler gehen davon aus, dass vor allem Menschen mit einer unterdurchschnittlich lichtsensitiven Netzhaut von SAD betroffen sind. Die Augen dieser Menschen übertragen nicht genug Licht ins Zentralnervensystem.

Lichtmangel auch im Sommer

Doch Sonnenmangel macht den Menschen nicht nur im Winter zu schaffen. Gerade in modernen Industriegesellschaften verbringen wir einen verschwindend geringen Teil des Tages draußen. Wir fahren mit dem Auto oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit und wieder nach Hause und verbringen den Rest des Tages erschöpft auf der Coach und vor dem Fernseher. Die Gebäude, in denen wir uns häufig aufhalten, zwingen uns dazu, losgelöst von der Jahres- und Tageszeit zu leben. Nur wenige Büros, Fabriken und Einkaufszentren lassen genug Tageslicht ins Innere. Und so leben immer mehr Menschen auch tagsüber in künstlicher Dunkelheit. Denn eine künstliche Raumbeleuchtung bringt es nur auf einen Bruchteil der Stärke des Lichts unter freiem Himmel. Elektrisches Licht in Gebäuden liefert zwischen 50 und 500 Lux, die Sonne hingegen bringt es um die Mittagszeit im Sommer auf rund 100.000 Lux, im Winter bei bedecktem Himmel immerhin noch auf rund 3.500 Lux. In ihrem Buch „Lichtbaden“ berichtet das Autorenpaar Ulrich und Annelie Bauhofer von einer Patientin mit diffusen Beschwerden, die an einem trüben Tag Anfang Februar die Praxis von Dr. Ulrich Bauhofer aufsuchte, mit der Vermutung, an einer Depression zu leiden. Tatsächlich diagnostizierte Dr. Bauhofer eine Winterdepression und riet ihr, ein Befindlichkeitstagebuch zu führen. Das Protokoll beförderte dann den Umstand zutage, den sich die Patientin überhaupt nicht bewusst gemacht hatte: Sie arbeitete den ganzen Tag in geschlossenen Räumen. „Auch mittags hatte sie praktisch nie Zeit, an die Luft und in ihrem Fall noch wichtiger ans Licht zu gehen“. Auf die Empfehlung von Dr. Bauhofer hin stellte die Patientin ihr Leben um. Die Patientin, die als Unternehmensberaterin arbeitet, achtete fortan streng darauf, jeden Tag mittags nach dem Essen an die Luft zu gehen, selbst im Winter. Auch wenn sie nachdenken musste oder sich nach anstrengenden Konferenzen erholen wollte, ging sie nach draußen und verlegte Zweier-Gespräche mit Mitarbeitern in den Park. Mit ihren Verhaltensweisen hat sie mittlerweile in ihrem Umfeld viele Nachahmer gefunden.

Die Sonne als Taktgeber

Der Grund, warum das natürliche Sonnenlicht so essenziell für die Lebensenergie der Menschen ist: Der Tages- und Nachtrhythmus der Sonne reguliert viele wichtige hormonelle und biochemische Körperabläufe. Er ist unser äußerer Zeitmesser und sorgt dafür, dass unsere innere Uhr richtig tickt. Die 24 Stunden des Tages teilen sich auf in Zeiten des Lichts und der Dunkelheit. Ohne diese Hinweise kommt der Rhythmus des Körpers aus dem Takt. Die Dualität von Licht und Dunkelheit spielt für die Produktion unserer Hormone eine wichtige Rolle. Wenn dieser Takt verändert wird, dann hat das Auswirkungen auf deren Balance.
Sonnenlicht beeinflusst das hormonelle Gleichgewicht auf zwei Arten: Hormone werden bei Sonnenlicht zum einen direkt auf der Haut produziert (etwa Sexualhormone oder Vitamin D). Zum anderen spielt das Auge eine wichtige Rolle: Wenn Licht ins Auge gelangt und die Netzhaut stimuliert, laufen Nervenimpulse zu einer Drüse im Gehirn, dem Hypothalamus. Dieser schüttet Serotonin aus, ein Hormon, das unsere Stimmungen, unseren Schlafrhythmus, die Körpertemperatur, Verdauung und unsere Libido maßgeblich steuert. Eine niedrige Serotonin-Konzentration geht mit Angstzuständen und Depression einher. Zu den Aufgaben von Serotonin gehört auch, die Ausschüttung von Melatonin zu hemmen. Wenn es dunkel wird, geht die Serotonin-Produktion zurück und die Zirbeldrüse beginnt, Melatonin in den Blutstrom auszuschütten. Melatonin fördert den Schlaf, indem es die Gehirnaktivität reduziert. In ihrem Buch „Lichtbaden“ formuliert das Autorenpaar Bauhofer: „Das Tageslicht von vormittags bis nachmittags hat genug Blaulichtanteil, um die Melatoninausschüttung der Zirbeldrüse so zu drosseln, dass wir die höchste Energiestufe erreichen können. Deshalb ist es so wichtig, bewusst und regelmäßig ins Freie zu gehen. Wenn mit Sonnenuntergang Licht und Helligkeit abnehmen, nimmt die Melatoninausschüttung zu, und damit setzt eine entspannende Wirkung ein.“ Sonnenlicht hat also auf den ganzen Körper der Menschen wichtige positive Einflüsse. Der Wissenschaftler Dr. Fritz Hollrich zieht aus seinen Forschungsarbeiten den Schluss: „Natürliches Licht ist für den Menschen ein Lebenselixier wie Wasser und Luft. Als solches sollte es den Menschen täglich möglichst viele Stunden begleiten, je nachdem, wie die Jahreszeit dies gestattet.“ In die gleiche Richtung argumentiert der Mediziner und Autor Dr. Zane Kime: „Natürliches, weißes Sonnenlicht ist die Art von Licht, unter der wir arbeiten und spielen sollten“, so schreibt er in seinem Buch „Sonnenlicht und Gesundheit“.

Augen: Einlass-Pforten fürs Sonnenlicht
Die Augen sind äußerst komplexe Organe: So wie eine Fotolinse ist das menschliche Auge dazu in der Lage, das Spektrum des Sonnenlichts in die verschiedenen Farbspektren aufzuspalten. Die verschiedenen Lichtspektren werden in der Epiphyse des Gehirns chemisch verschlüsselt und an die Organe und Systeme des Körpers weiter gegeben. „Lichtmangel in einigen Organen und Systemen des Körpers kann zu Krankheiten führen“, ist der Autor und Heilpraktiker Andreas Moritz überzeugt.

Gefahrenquelle Kunstlicht

Im natürlichen Sonnenlicht verschiebt sich je nach Tageszeit die Verteilung des Farbspektrums: Am Morgen hat das Licht einen hohen Blauanteil, der uns wach macht, am Abend überwiegt der Rotanteil, der den Körper aufs Runterschalten vorbereitet. Durch den Gebrauch von Computern, Smartphones, aber auch LED-Lampen nimmt der künstliche Blaulicht-Anteil drastisch zu. Tagsüber wirkt das ähnlich wie das natürliche Sonnenlicht, nachts aber signalisiert das blaue Licht dieser Geräte und Lampen unserem Organismus, es sei Tag. Unser Körper kann nicht mehr zwischen Tag und Nacht unterscheiden, alle Prozesse, die den Menschen auf die Schlafphase vorbereiten, werden gestört. Dr. Ulrich Bauhofer zieht in seinem Buch „Lichtbaden“ das Fazit: „Langfristig und schleichend kann das gravierende Gesundheitsfolgen auslösen“. Dieses Phänomen hat mittlerweile sogar einen Namen: „Blue Hazard“ oder „Blue Light Hazard“ wird die Gefährdung durch Blaulicht im Englischen genannt. Denn das künstliches Blaulicht kann nicht nur unseren Organismus durcheinander bringen, sondern auch die Netzhaut des Auges gefährden: Der Stress für die Netzhaut kann dazu führen, dass Sehzellen zerstört werden. Dazu kommt das Flackern von Bildschirmen, das Kopfschmerzen, Augenschmerzen, eingeschränkte Sehleistung oder verminderte Leistungsfähigkeit auslösen kann.

Buch-Tipps

Die besten Dinge kosten nichts
Sieben wirksame Verhaltensweisen, die uns gesünder, glücklicher und gelassener machen. Eine dieser Verhaltens­weisen ist „Sonne tanken“.

Quell Edition, 184 Seiten; ISBN 978-3-9815402-4-6, Preis: 17,90 Euro; im Quell-Shop bestellen
QC32L02

 

Lichtbaden

Dr. med. Ulrich Bauhofer, Annelie Bauhofer

So steigert natürliches Licht unsere Lebensenergie und schützt vor Krankheiten

Südwest Verlag,
216 Seiten; ISBN 978-3-517-09775-6; Preis: 20 Euro

QC51F05

Bildnachweis: Titelbild; Monika Frei-Herrmann

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