Gäbe es ein Medikament wie dieses, es würde als Wundermittel gepriesen: Vielen Krankheiten kann es vorbeugen helfen und vorsichtig verabreicht kann es jedermann nutzen. Die Rede ist von der Sonne. Schon wenige Minuten Sonne tanken sind effektiver als Vitamin-Tabletten.

Lebenselixier Sonne: Wohl kaum etwas vermag uns so sehr aus der Reserve zu locken, wie die Sonne. Das können wir in unseren sonnenarmen Breiten gut beobachten. Sobald sich ein Sonnenstrahl am Himmel zeigt, bevölkern sich schlagartig Straßencafés oder Biergärten. Selbst im Winter sitzen die Menschen in Decken gehüllt draußen und genießen jeden Sonnenstrahl. Legt der Frühling dann richtig los, haben alle plötzlich ein Lächeln auf dem Gesicht. Das Stimmungsbarometer steigt kollektiv mit jedem Sonnentag. Nicht nur das: Sonnenlicht setzt im Körper eine ganze Reihe gesundheitsfördernder Effekte in Gang: Es fördert die Durchblutung und den Muskelaufbau und macht körperlich fit. Nach Sonnenbaden sinkt hoher Blutdruck, bei Diabetikern geht der Blutzucker zurück, Stress-Situationen können besser bewältigt werden. Sonnenbaden bringt den Körper dazu, verstärkt das Glückshormon Serotonin auszuschütten; auch die Produktion des Anti-Aging-Hormons Melatonin und des Sexualhormons Testosteron wird durch Sonnenlicht angekurbelt. Wenn die Haut UVB-Strahlung ausgesetzt wird, bildet sie das für die Gesundheit notwendige Vitamin D. Dieses ist im Körper an einer Vielzahl biologischer Abläufe beteiligt. Inzwischen weiß die Wissenschaft, dass Vitamin D nicht nur für den Knochen- und Kalziumstoffwechsel wichtig ist, sondern auch für die Regulation des Immunsystems und das Zellwachstum.

Die Gesundheitsrisiken von Vitamin D-Mangel
Der britische Wissenschafts-Journalist Oliver Gillie klagt: „Aus Panik vor Hautkrebs vermeiden wir Sonnenlicht und sterben nun zu Tausenden an Krankheiten, die mit Vitamin D-Mangel einhergehen.“ Auf der kalifornischen Internet-Seite www.vitamindcouncil.org bestätigen Experten: „Rund 100 Krankheiten sind mit einem niedrigen Spiegel an Vitamin D verbunden.“ Unter den dort aufgeführten Krankheiten befinden sich beispielsweise 19 Arten von Krebs. Und tatsächlich beschäftigt derzeit kein anderes Vitamin die Wissenschaft so sehr wie Vitamin D, das eigentlich gar kein Vitamin, sondern eine Hormonvorstufe ist. Im Gegensatz zu einem echten Vitamin kann es der Körper selbst herstellen. Dafür braucht der Organismus Sonnenlicht. Das sogenannte „Sonnenhormon“ wird in der Haut gebildet, von der Leber umgebaut, von der Niere aktiviert und an das Blut abgegeben.Ein Vitamin D-Mangel kann den ganzen Körper erfassen und hat unterschiedliche Erscheinungsformen. Zu den Beschwerden zählen Müdigkeit, verlangsamtes Denken, Depressionen, Muskelschwäche und -krämpfe, Schmerzen in den Knien und im Rücken, Schlafstörungen, Hautprobleme, erhöhte Anfälligkeit für Infekte und bakterielle Infektionen, Knochenbrüche, Überfunktion der Schilddrüse, Osteoporose und schmerzhafte Knochenerweichung.

Wiederentdecktes Wundermittel
Das Sonnenlicht ist für die Vitamin D-Versorgung des Körpers von zentraler Bedeutung: 80 bis 90 Prozent davon produziert der Körper unter Sonneneinstrahlung selbst. Nur 10 bis 20 Prozent holt er sich über die  Nahrung. Vor allem in fettem Fisch, Milch und Milchprodukten, Eiern und Pilzen ist Vitamin D in größeren Dosen enthalten. Diese Einschätzung teilen namhafte Wissenschaftler in einer Stellungnahme der  Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) im Auftrag der Bundesregierung. Mit Hilfe des UVB-reichen Lichts kann der Körper den überwiegenden Teil seines Bedarfs an Vitamin D selbst herstellen, es in seinen Fettzellen speichern und in der dunklen Jahreszeit abrufen. – Wenn er es denn im Sommer in ausreichender Menge gebildet hat. Der britische Wissenschaftsautor Oliver Gillie prognostiziert: „Im nächsten Jahrzehnt könnte Vitamin D als Wundermittel wiederentdeckt werden.“ Denn bewusstes Sonnen könnte den Gesundheitssystemen weltweit eine Menge Geld sparen. So werden in den USA die Kosten für Krankheiten, die mit Vitamin D-Mangel zusammenhängen, jährlich auf rund 50 Milliarden Dollar geschätzt. Auch in Deutschland ließen sich durch die sonneninduzierte Vitamin D-Produktion riesige Summen einsparen. Beispiel Knochenbrüche: Die Verletzungskosten aufgrund von Stürzen belaufen sich jährlich schätzungsweise auf Summen zwischen 2,1 und 3,8 Milliarden Euro. Ein nicht unbeträchtlicher Teil dieser Kosten ließe sich vermutlich über eine ausreichende Vitamin D-Versorgung einsparen.

Versorgungslücke in Deutschland
„Deutschland ist Vitamin D-Mangel-Land“ sagt Prof. Jörg Reichrath, Professor für Dermatologie an der Universität des Saarlandes. Verschiedene deutschlandweite Studien des Robert Koch-Instituts geben erste Hinweise auf den Zusammenhang von Alter, Lebensgewohnheiten und Vitamin D-Versorgung. Im Winter hatten 31 Prozent der älteren Frauen zwischen 65 und 79 Jahren einen schweren Mangel an Vitamin D; im Sommer waren es nur 23 Prozent. Besonders stark von Vitamin D-Mangel sind Frauen mit Migrationshintergrund betroffen, die ihren gesamten Körper verhüllen. In einer Studie mit 2.500 Patienten nach dem sonnenlosen Winter 2012/2013 ermittelte der Essener Nuklearmediziner Detlef Moka bei 65 Prozent der Patienten mit Migrationshintergrund einen Vitamin D-Mangel. Die Ursachen für Vitamin D-Mangel liegen vor allem im Lebensstil begründet. Die meisten Menschen verbringen den Tag größtenteils in geschlossenen Räumen. Auch wenn sie am sonnigen Fenster sitzen: Glas lässt nur einen geringen Prozentsatz der für die Synthese wichtigen UVB-Strahlen passieren. Dazu kommt die geringe UVB-Strahlungsintensität in nördlichen Breiten während der Wintermonate. Von November bis einschließlich Februar geht die Vitamin D-Produktion auf nahezu Null. Vitamin D wird in einem nennenswerten Umfang durch Sonnenbestrahlung erst dann erzeugt, wenn die Sonne zu 45 Grad oder mehr über dem Horizont steht. In Nordamerika und Europa ist dies im Sommer zwischen 11 Uhr mittags und 3 Uhr nachmittags der Fall. Im Sommer genügt auch in Deutschland eine kurze und begrenzte Sonnenlichtexposition, um eine ausreichende Vitamin D-Synthese zu erzielen.

Vitamin D und Sonnenbrand
„Es gibt keine Vitamin D-Synthese ohne DNA-Schädigung in der Haut“, bringt Dr. Rüdiger Greinert, Leiter der Abteilung Molekulare Zellbiologie am Dermatologischen Zentrum Buxtehude, das Dilemma auf den Punkt. Denn die UV-Spektren, die zur Vorstufe des Vitamin D führen, aber auch zu Bräunung, Sonnenbrand oder sogar Hautkrebs überlappen nahezu. Und so lässt die Angst vor dem Hautkrebs viele Menschen vor dem Vitamin D-förderlichen Sonnenbaden zurückschrecken. Zumal viele Aufklärungs-Kampagnen in den letzten Jahrzehnten darauf abzielten, den Körper und das Gesicht durch Kleidung und Sunblocker völlig von UV-Strahlung abzuschotten. Der englische Wissenschaftsautor Oliver Gillie schimpft: Die australische Kampagne „Slip! Slop! Slap! Wrap!“ – Cremt Euch ein, zieht euch gut an, setzt Brille und Sonnenhut auf – die in den 1980er in Australien zu einem völlig anderen Umgang mit der Sonne sorgte, habe den Umgang mit der Sonne auch im nördlichen Europa drastisch verändert. Während intensiver Sonnenschutz der hellhäutigen Menschen im sonnenreichen Australien durchaus Sinn macht, ist die Situation im lichtärmeren Mittel- und Nordeuropa aber eine völlig andere. Ausgelöst wurden diese Kampagnen durch das Ozonloch, das in den 1990er Jahren in manchen Regionen wie Australien die haut-, augen und erbgutschädigende UV-Strahlung deutlich ansteigen ließ. So ist beispielsweise in Bayern der Ozongehalt in den letzten 40 Jahren um etwa zehn Prozent gesunken, während die ultraviolette Strahlung durchschnittlich um etwa 15 Prozent stärker wurde. Sehr niedrige Ozonwerte, wie sie in den 1990er Jahren in unseren Breiten gemessen wurden, sind laut Aussage des Bayerischen Landesamtes für Umwelt jedoch selten geworden. Der größte Anstieg der Strahlung erfolgt regelmäßig im Frühjahr, also gerade in der Jahreszeit, in der Menschen und Pflanzen sonnenungewohnt und damit besonders UV-empfindlich sind. Es ist also wichtig, die Haut durch regelmäßiges, kurzes Sonnenbaden im Frühjahr an die Sonne zu gewöhnen. Von exzessivem Sonnenbaden raten alle Experten ab. Sonne ist eben wie ein Medikament einzusetzen, bei dem gilt: die Dosis macht’s.

Sonne tanken: nicht länger als 30 Minuten

In seinem Buch „Sonnenlicht – das größte Gesundheitsgeheimnis“ rät der Autor Thomas Klein: Möglichst große Hautflächen der Sonne aussetzen. Regelmäßiges Sonnenbaden, besser oft und maßvoll, als selten und lange. Im Frühjahr und Herbst jeden Sonnenstrahl nutzen. Selbst kurze Sonnenbäder sind von Nutzen. Die Haut sollte dabei nackt und ohne Sonnencreme der Strahlung ausgesetzt werden. Denn  Sonnencreme bremst die Vitamin D-Produktion. So können Sonnenschutzmittel mit Lichtschutzfaktor 15 die Bildung von Vitamin D um bis zu 99,5 Prozent reduzieren. Die Apotheker Burkhard Sieper und Michael Eisenmann empfehlen in ihrem Ratgeber „Fit in die Kiste“ möglichst keinen Sonnenschutz zu verwenden, sondern einen körpereigenen Sonnenschutz aufzubauen. Denn die Haut selbst schützt sich vor intensiver Sonnenstrahlung durch die Einlagerung von Melanin in die oberen Hautschichten und durch Verdickung der Hornhaut. Hellhäutige Europäer können durch regelmäßiges und richtig dosiertes Sonnenbaden nach  drei bis vier Wochen einen hauteigenen Lichtschutzfaktor von 40 erreichen. Die Länge des zu empfehlenden Sonnenbads ist dabei von Mensch zu Mensch unterschiedlich und hängt ab vom Ort, von der Tages- und Jahreszeit. Ein junger Mensch kann wesentlich mehr und schneller Vitamin D über die Haut bilden als ein älterer. Eine blasse Haut bildet in der Sonne Vitamin D sechsmal schneller als eine dunkle Haut. Mittags ist das Sonne-Tanken im Hinblick auf die UVB-Produktion effektiver als in den Morgen- und Abendstunden. Nach maximal 30 Minuten hat die Haut aber genug UVB-Strahlen für die Vitamin D-Produktion aufgenommen. Der Körper stoppt dann Umwandlung und Einlagerung. Es lohnt also nicht, das Risiko eines Sonnenbrandes und damit erhöhtes Hautkrebsrisiko einzugehen.

Heilmittel Sonne
Effektiver als Vitamin-Tabletten.  Im Sommer genügt auch in Deutschland eine kurze und begrenzte Sonnenlichtexposition, um eine ausreichende Vitamin D-Synthese zu erzielen. Sonnenbaden, das eine gerade sichtbare Hautrötung hervorruft, entspricht nach Experten-Schätzungen in etwa der Einnahme von 250 bis 635 Mikrogramm Vitamin D (10.000 bis 25.000 IE). Das ist mehr als 12-mal so viel, wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung für die Zufuhr über Vitamin D-Tabletten für ältere Menschen empfiehlt (20 Mikrogramm oder 800 IE). Sonnenbaden ist also höchst effektiv und lässt sich in seiner Wirksamkeit über das Schlucken von Vitamin D-Tabletten nur schwer ausgleichen.

Extreme: Die Stärke der UVB-Strahlung
Die Stärke der UVB-Strahlung hängt auch von der Umgebung ab. Frischer Schnee reflektiert bis zu 85 Prozent der UVB-Strahlung, Altschnee etwa 50 Prozent. Deshalb reagiert die Haut beim Skifahren auch so schnell auf die Sonne und das ist der Grund, warum man in dieser Extremsituation die Haut durchaus mit Sonnencreme schützen sollte. Trockener, weißer Sand übrigens reflektiert etwa 17 Prozent der UVB- Strahlung, nasser Sand rund 9 Prozent.

Vitamin D schützt – Das Hautkrebs-Risiko in Deutschland
Intensives Sonnen wird in den letzten Jahren unmittelbar mit Hautkrebs in Verbindung gebracht. Am gefährlichen schwarzen Hautkrebs erkranken in Deutschland jährlich rund 24.000 Personen, aber die Ursache von schwarzem Hautkrebs ist nicht ganz klar. Unregelmäßiges und exzessives Sonnenbaden – etwa im Urlaub – scheint das Risiko zu erhöhen. Regelmäßiges und moderates Sonne-Tanken scheint vor Hautkrebs zu schützen. Es sieht so aus, dass Vitamin D vor schwarzem Hautkrebs schützt.

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