Die Kraft der Routinen

Das Wort „Routine“ klingt für Sie nach Alltagstrott, nach Langeweile und Schnarchfaktor? Zugegeben, wenn Gewohnheiten sich festfahren, können sie durchaus zum starren Korsett mutieren. Doch in achtsam gewählten Routinen steckt auch viel Potenzial. Wir betrachten die Tagesabläufe erfolgreicher Menschen, lernen, was Entscheidungsmüdigkeit ist und hören den Rat von Selbstmanagement-Experte Ivan Blatter. Von Elisabeth Menzel.

Wenn Sie bei der Video-Plattform YouTube die Suchbegriffe „Morgenroutine“ oder „Abendroutine“ eingeben, erhalten Sie mehr Treffer, als Sie sich je anschauen könnten. Auch bei Instagram ist das Stichwort „Routine“ ein Dauerbrenner. Da gibt es #morgenroutinemitkind, #-mithund, #-fürfortgeschrittene, #-fürerfolg und noch vieles mehr. In diesen Beiträgen teilen Menschen ihre Abläufe am Morgen oder am Abend. Millionen Zuschauer klicken diese Inhalte an. Woher kommt unsere Faszination für Routinen?

Damit wir uns nicht missverstehen: Es handelt sich hier keineswegs um ein Phänomen, das nur die Jugend betrifft. Gestandene Eltern teilen ihre häuslichen Abläufe, erfolgreiche Geschäftsleute ihre Arbeitsgewohnheiten und Fitnessbegeisterte ihre Trainingspläne. Es scheint kaum einen Lebensbereich zu geben, der nicht von guten Routinen profitieren könnte – von der Ernährung über die Wäsche, von der Gartenarbeit bis zur Finanzplanung. All diesen Unterhaltungsangeboten ist eins gemein: Sie lassen uns einen kurzen Blick auf das Leben anderer werfen und versprechen zudem einen Lerneffekt für den eigenen Alltag. Wir hoffen: Wenn wir nur die richtige Routine finden, geht auch uns bald alles mühelos von der Hand – von der täglichen Yoga-Übung bis hin zum Bettzeit-Machtkampf mit den Kids.

Mit Tagesplan zum Erfolg

Von erfolgreichen Menschen wissen wir, dass sie sich häufig an feste Routinen halten. Apple-Gründer Steve Jobs zum Beispiel stand jeden Morgen um 6 Uhr auf, zog täglich das gleiche Outfit an – einen schwarzen Rollkragenpullover und Blue Jeans –, frühstückte mit seinen Kindern Obst und Gemüse aus dem eigenen Garten und begann seinen Arbeitstag von daheim aus. Von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel heißt es, dass sie täglich bereits in aller Herrgottsfrühe ihre Sporteinheit absolviert. Um 5.30 Uhr gibt es Frühstück mit Ehemann Joachim Sauer, bevor der Arbeitstag mit der täglichen Lagebesprechung im Kanzleramt beginnt. Dem weltbekannten Fußballer Cristiano Ronaldo wird nicht nur ein straffes Trainings- und Ernährungsprogramm nachgesagt. Anscheinend gönnt er sich täglich auch bis zu drei Nickerchen zur Regeneration. Auch Facebook-Mitbegründer und -CEO Mark Zuckerberg liebt feste Abläufe. „Ich richte mein Leben gerne so klar ein, dass ich so wenige Entscheidungen wie möglich treffen muss“, soll Zuckerberg in einem Interview gesagt haben. Vermutlich weiß Zuckerberg um das Problem der Entscheidungsmüdigkeit.

Wer ständig wählen muss, ermüdet

Der Soziologe und Selbstmanagement-Experte Ivan Blatter aus Basel erklärt: „Wir entscheiden den ganzen lieben langen Tag. Häufig werden wir dann entscheidungsmüde.“ Denn: „Jede Entscheidung kostet Kraft – auch Willenskraft.“ Laut Blatter sei die Willenskraft wie ein Muskel. Man könne sie trainieren. „Und sie kann natürlich auch ermüden“, so der Schweizer. Deshalb widmet er dem Thema eine ganze Podcast-Folge (ivanblatter.com/entscheidungsmuede/).

Viele kleine Körnchen auf der Waage

Dass Steve Jobs immer dieselbe Art Kleidung trug, schonte also seinen Entscheidungsmuskel für die wirklich wichtigen Beschlüsse. Auch Zuckerberg folgt diesem Beispiel. Der Beststeller-Autor James Clear („Die 1%-Methode“) ist sich sicher, dass es eben diese kleinen Gewohnheiten und förderlichen Routinen sind, die den Unterschied machen: „Genau wie eine Münze Sie nicht reich macht, ist es unwahrscheinlich, dass eine einzige positive Veränderung, zum Beispiel eine Minute lang zu meditieren oder jeden Tag eine Seite zu lesen, einen spürbaren Unterschied bewirkt“, schreibt er. „Wenn Sie jedoch weitere kleine Änderungen folgen lassen, gerät die Waage des Lebens allmählich in Bewegung. Mit jeder Verbesserung wird ein Sandkorn auf die positive Seite der Waage gelegt, sodass sie sich langsam zu Ihren Gunsten neigt.“

Unsere Faszination für Routinen kommt also nicht von ungefähr. Und wenngleich es sicher erlaubt ist, mal über den Tellerrand zu schauen und bei anderen ein wenig zu spicken – ob es nun bei der besten Freundin ist oder beim Lieblings-YouTuber – sollten doch die eigenen Ziele und Lebensumstände im Mittelpunkt unserer Routinen stehen. #morgenroutinenurfürmich. QC60L05

Entscheiden

Tipps von Ivan Blatter 

Die besten Tipps gegen Entscheidungsmüdigkeit vom Selbstmanagement-­Experten Ivan Blatter:

  • Triff Entscheidungen am Vorabend.
  • Erledige die wichtigen Dinge zuerst.
  • Triff Commitments – oder anders ausgedrückt: Verpflichte dich guten Routinen.
  • Iss etwas vor wichtigen Entscheidungen, damit dein Blutzucker stabil bleibt.
  • Vereinfache dein Leben.

Bildnachweis: depositphotos.com

 

Die Autorin

Elisabeth Menzel sagt über sich selbst: „Ich bin von Beruf Geschichtenerzählerin“. Ihr großes Vorbild: die schwedische Kinderbuchautorin Astrid Lindgren. In Ravensburg studierte Menzel (Jahrgang 1981) Medien- und Kommunikationswirtschaft mit Schwerpunkt Journalismus. Ihr Volontariat und die ersten Jahre als Redakteurin absolvierte sie beim Südwestrundfunk (SWR) in Baden-Baden. Es folgten Stationen in Offenburg beim Kresse & Discher Medienverlag sowie 10 Jahre als Pressesprecherin und Texterin bei der WALA Heilmittel GmbH in Bad Boll. Inzwischen schreibt sie ihre Geschichten als freie Journalistin. Ihre liebsten Themen handeln von Wildkräutern, integrativer Medizin, von Umweltschutz, Nachhaltigkeit und biologischer Landwirtschaft.

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