Hundert Prozent „Bio“ ist in Gefahr: Zahlreiche Ackergifte aus der konventionellen Landwirtschaft verbreiten sich flächendeckend. Damit wird ein rückstandsfreier Bio-Anbau immer schwieriger.

Immer häufiger müssen Bio-Bauern feststellen, dass ihre Produkte mit konventionellen Pestiziden belastet sind – und das selbst an Orten, die kilometerweit von konventionell bewirtschafteten Flächen entfernt sind. Diesem Phänomen wollte das Bündnis für enkeltaugliche Landwirtschaft auf die Spur kommen. Auf der Biofach-Messe im Februar in Nürnberg präsentierte das Bündnis die erste umfassende Studie zur Pestizid-Verbreitung durch die Luft. Die Ergebnisse waren ernüchternd und müssen nach Einschätzung der Beteiligten Konsequenzen haben: Ob landwirtschaftliche Region, Naturschutzgebiet oder Großstadt – an allen 47 untersuchten Standorten wurde eine Pestizid-Belastung nachgewiesen. Insgesamt 107 Substanzen in unterschiedlichen Kombinationen fanden die Forscher des unabhängigen Forschungsbüros TIEM integrierte Umweltüberwachung, die vom Bündnis für enkeltaugliche Landwirtschaft mit der Studie beauftragt waren. Trauriger Spitzenreiter ist, wie nach Pilotstudien bereits erwartet, das Ackergift Pendimethalin. Auf Platz zwei folgt überraschend DDT, ein Wirkstoff, dessen Einsatz in Deutschland seit Jahrzehnten verboten ist. An mehr als der Hälfte aller Standorte wurde zudem Glyphosat nachgewiesen. Das ist ein besonders brisantes Ergebnis, denn bei Glyphosat galt eine Verfrachtung über die Luft bisher als ausgeschlossen. „Wenn sich Pestizidrückstände bis in die letzten Winkel des Landes und der Welt ausbreiten, dann gefährdet das nicht nur den ökologischen Landbau. Es beschädigt den guten Ruf der Land- und Lebensmittelwirtschaft insgesamt und untergräbt das Vertrauen der Bürger in Wirtschaft und Behörden“, konstatiert Heike Kirsten, Vorstand des Bündnisses enkeltaugliche Landwirtschaft und Marketing-Leiterin von Rapunzel Naturkost. Ihr Unternehmen zeigt schon lange Flagge, um dem Verlust der Artenvielfalt insbesondere bei Insekten, durch den Einsatz von Herbiziden und Insektiziden entgegenzuwirken. Deshalb engagiert sich Rapunzel im Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft und bei der Aktion Ackergifte? Nein danke! „Wir haben nur diese eine Welt: Das bedeutet höchste Verantwortung, die Erde so zu bewirtschaften, dass sie auch für nachfolgende Generationen lebenswert erhalten bleibt“, sagt Heike Kirsten.

Eine Million Quadratmeter Vielfalt

Auch bei St. Leonhards, einem weiteren der 17 Bündnispartner, fühlt man sich dem Erhalt von Mutter Erde verpflichtet und setzt im eigenen Einflussbereich die Forderungen für eine enkeltaugliche Landwirtschaft so gut es geht, um. So bemüht sich Familie Abfalter immer weiter darum, Grünflächen zu pachten oder zu kaufen, um diese auf Bio umzustellen und nach traditionellen Methoden ohne Chemie zu bewirtschaften. Die Wiesen werden nur zweimal jährlich gemäht und nicht sechs Mal wie in der konventionellen Grünlandbewirtschaftung. Auf den Abfalter’schen Wiesen haben Pflanzen noch Zeit, sich zu entwickeln und Insekten finden dort Nahrung. Eine Million Quadratmeter Vielfalt ist auf diese Weise alleine durch das Engagement von St. Leonhards entstanden. „Biologische Vielfalt ist unsere Lebensgrundlage“, begründet Roswitha Abfalter das Engagment ihrer Unternehmerfamilie, deren Wurzeln in der Landwirtschaft liegen.

Gegen die Verharmlosung von Ackergiften

Widerstand formiert sich an immer mehr Orten. Im südtiroler Vinschgau – in Europas größtem Apfelanbaugebiet – sammelten freiwillige Helfer in Kooperation mit dem Münchner Umweltinstitut über sieben Monate hinweg Daten um herauszufinden, welche Stoffe wann und wie weit durch die Luft verbreitet werden. In ihrer Untersuchung „Vom Winde verweht“ kommen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis: Es gibt im Vinschgau von Mitte März bis mindestens Ende August eine Dauerbelastung mit Pestiziden. Und es befinden sich immer unterschiedliche Mittel gleichzeitig in der Luft, die sich in ihrer Wirkung gegenseitig beeinflussen können. Auch in Deutschland ist das Umweltinstitut in Sachen Pestizidrückstände aktiv. Im März 2019 startete zusammen mit dem Bündnis für enkeltaugliche Landwirtschaft ein groß großangelegtes Messprojekt mit 200 Messpunkten. Gemäß dem Motto: „Wo der Staat versagt, messen wir nach“.

Fotalia | Kyrychukvitaliy

Bäume lügen nicht

Kann es sein, dass sich Glyphosat – anders als es die Industrie behauptet – auf dem Luftweg bis in die Städte hinein verbreitet? Um diese Frage zu beantworten, untersuchte das Institut TIEM Integrierte Umweltüberwachung im Auftrag des Bündnisses für enkeltaugliche Landwirtschaft im Jahr 2018 Baumrinde auf ihre Belastung durch Ackergifte. Mit Hilfe eines genau definierten Verfahrens wurde jeweils eine dünne Schicht aus der äußeren Rinde von mehreren Bäumen an einem Standort entnommen und in aufwendigen Verfahren auf mehr als 500 Pestizidwirkstoffe untersucht. Baumrinde gilt wissenschaftlich als nahezu idealer Bio-Akkumulator. Bedingt durch die Verwitterung hat Baumrinde, ähnlich wie Aktivkohle, eine große, innere Oberfläche und akkumuliert sowohl gas- als auch partikelgebundene Substanzen. In den Proben fanden sich mehr als 100 Wirkstoffe, die in die Rinde gelangt sein mussten. Standorte mit hoher Winderosion waren stärker betroffen.

Bündnis für enkeltaugliche Landwirtschaft
Ende November 2017 – einen Tag, nachdem der damalige Landwirtschaftsminister der Verlängerung der Zulassung von Glyphosat in der EU zugestimmt hatte, beschlossen Bio-Unternehmer die Gründung des Bündnisses für eine enkeltaugliche Landwirtschaft. Sie stehen für 100-prozent Bio und einige von ihnen zählen zu den Gründungsmüttern und -vätern der Bio-Bewegung. Ihre Betriebe geben vielen Tausend Menschen sinnvolle Arbeit, sichern die Existenz Tausender bäuerlicher Bio-Höfe und versorgen Millionen von ökologisch bewussten Konsumenten mit hochwertigen Bio-­Produkten für ein gutes, gesundes Leben. Gemeinsam mit der Organisation Landwende e.V. und der Schweisfurth Stiftung setzen sich die Unternehmen für eine enkeltaugliche Landwirtschaft ein.

www.enkeltauglich.bio

Festival: Wir haben es satt
Speziell Jugendlichen bietet das Beats und Bohne-Festival auf einem Bauernhof im hessischen Bad Vilbel vier Tage mit spannenden Arbeitsgruppen und Aktivwerkstätten, Film- und Theatervorführungen, Bands und vielem mehr. Organisiert wird das Jugendfestival von der Initiative „Wir haben es satt“.Gefördert und unterstützt wird es von Unternehmen, die auch Mitglied im Bündnis für enkeltaugliche Landwirtschaft sind. Etwa von Rapunzel oder St. Leonhards.

Wo?
Auf dem Dottenfelder Hof in Bad Vilbel, nahe Frankfurt am Main.

Wann?
20.–23. Juni 2019
Das Festival-Ticket ist ab 50 Euro zu haben. Darin enthalten ist die Teilnahme an allen Veranstaltungen, Camping auf dem Gelände sowie Vollverpflegung.

www.wir-haben-es-satt.de

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Bildnachweis: Titelbild Thomas Straub

 

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