In einer hochmodernen Fabrik in den USA baut Siemens Rotorblätter für Windanlagen. Umweltschutz kann Arbeitsplätze schaffen, das demonstrieren die Deutschen mit ihrer Rotorenfertigung und Präsident Obama fand diese Botschaft so wichtig, dass er das Unternehmen besuchte. Von Quell-Autorin Christine Mattauch.

Wer nach Fort Madison fährt, braucht vor allem eins: Geduld. Die Kleinstadt in Iowa liegt selbst nach Maßstäben des Mittleren Westens in einer Gegend, in der sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen: In vier Stunden geht es von St. Louis über den Highway 61 Richtung Norden. Anfangs Motels und Kettenrestaurants am Straßenrand, dann nur noch Farmen und Felder. Fort Madison liegt direkt am Mississippi, es ist ein kleiner Ort mit rund 11.000 Einwohnern. Viel zu bieten hat er nicht – den Nachbau eines historischen Forts von 1808, einen Schaufelraddampfer und einen „Cigar Store“, der aussieht, als sei die Zeit seit den Pioniertagen stehen geblieben: Neben Tabak werden Angelruten und Tresore verkauft und – Waffen. An einem Ständer hängt ein stattliches Angebot von Jagdgewehren, bevorzugte Marken: Beretta und Bernelli.
Ausgerechnet in dieser Einöde hat sich ein deutscher Konzern niedergelassen: In einer hochmodernen Fabrik baut Siemens seit 2007 Rotorblätter für Windanlagen. Unversehens ist die verschlafene Kleinstadt dadurch ein wichtiger Standort geworden – für den Konzern und für Amerika, wo in Sachen Ökologie allmählich ein Umdenken einsetzt. Umweltschutz kann Arbeitsplätze schaffen, das demonstrieren die Deutschen mit ihrer Rotorenfabrik und Präsident Barack Obama fand diese Botschaft so wichtig, dass er das Unternehmen besuchte und sich erklären ließ, wie die Produktion von Windkraftanlagen funktioniert.

Sanft geschwungene weiße Flügel
Das, in der Tat, ist sehenswert. Wie träge Wale liegen die 49 Meter langen, sanft geschwungenen weißen Flügel auf dem staubigen Hof des Werksgeländes. Mehr als 2.200 werden pro Jahr angefertigt, in riesigen Hallen – das Gelände ist insgesamt 5,5 Hektar groß. Auf den ersten Blick erinnern die Anlagen an Webstühle, an denen lange Stoffbahnen befestigt sind. Doch das täuscht. Tatsächlich fixieren Arbeiter dünne Fiberglasplatten an einem lang gestreckten Kern aus Balsaholz, wie eine Spule, die mit Garn umwickelt wird. Je nach Rotor-Abschnitt sind es 12 bis 46 Lagen, die die Arbeiter mit großen Eisenstäben glätten. Nach und nach entsteht auf diese Weise ein Rohling. Er kommt in eine Gussform, wird vakuumgepresst und mit Kunstharzkleber durchtränkt.
Ist der Körper getrocknet, wird der Holzkern entfernt und der Rohling erhält den letzten Schliff: Die Arbeiter schneiden Befestigungslöcher. Sie vermessen die Krümmung, entfernen Unebenheiten und verschmelzen kleine Schäden im Fiberglas. „Wenn alles fertig ist, können Sie weder sehen noch fühlen, dass irgendwo ein Kratzer war“, sagt Produktionsleiter Tony McDowell. Letzter Produktionsabschnitt ist die Malerhalle, in der die Rotoren ihre endgültige Farbe erhalten, meist weiß oder grau. Dann werden die elf Tonnen schweren Flügel per Güterzug an Windfarmen in Kansas, Texas und Oklahoma geliefert.
20 Jahre Garantie gibt Siemens auf seine Rotoren, „die längste Gewährleistung der Branche“, sagt McDowell. Die meisten Wettbewerber produzieren zwei Schalen und schweißen sie zusammen – mit der Naht als Schwachstelle. Das Guss-Verfahren von Siemens verringert das Risiko, dass in den Flügel Wasser eindringt und Rost entsteht.

Erfolg zieht Erfolg nach sich
Einer der Arbeiter am Flügelrohling ist Ollie Cobb, ein fröhlicher Schwarzer. Kompliziert sei seine Arbeit nicht, „aber ich muss mich konzentrieren, es muss alles präzise sein“. Der 34jährige stammt aus Arkansas, zog 1997 nach Iowa und war bei Hearth and Home angestellt, einem Hersteller von Kaminöfen. Nachdem sein Arbeitsplatz dort gestrichen wurde, schlug sich Cobb mit Gelegenheitsarbeiten durch: „Ich nahm jeden Job, den ich kriegen konnte.“ Seit Juli 2008 ist er bei Siemens und froh darüber – auch weil er seiner Frau, die ebenfalls arbeitslos war, nun eine Ausbildung zur Krankenschwester finanzieren kann. Anders als in Deutschland gibt es in Amerika kaum staatlich geförderte Umschulungen oder Weiterbildungen – ein Grund für die hohe Arbeitslosigkeit. In Lee County, wo Fort Madison liegt, sind acht Prozent der Bevölkerung ohne Job, 2,5 Prozent mehr als im Durchschnitt des Bundesstaats. Bevor sich Siemens ansiedelte, hatte eine Fabrik nach der anderen dicht gemacht. „Wir waren in einer Abwärtsspirale gefangen“, sagt Bürgermeister Steve Ireland, „es war psychologisch unglaublich wichtig, dass Siemens kam.“ Der Konzern ist jetzt der größte Arbeitgeber am Ort. Mehr als 700 Leute haben die Deutschen eingestellt, zwei Drittel waren zuvor arbeitslos. Deshalb hat die Stadt die 70-Millionen-Investition subventioniert, auch die Regierung in Washington und der Bundesstaat Iowa gaben Zuschüsse. Im Gegenzug schulte Siemens die neuen Mitarbeiter, zum Teil in der Schwesterfabrik in Dänemark. „Die Mehrheit der Leute hatten keinerlei Vorkenntnisse. Wir haben sie eingestellt, wenn die Arbeitsmoral stimmte“, sagt Personalmanagerin Mindy Miles. An Auswahl mangelte es dem Unternehmen nicht – auf jede offene Stelle kamen durchschnittlich sechs Bewerbungen.
Für den Bürgermeister ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Standort-entscheidung von Siemens weitere Unternehmen in die Stadt bringt: „Erfolg zieht Erfolg nach sich.“ Freilich stehen auch heute noch in der Innenstadt von Fort Madison viele Geschäfte leer und es ist ein Glück, dass es den „Cigar Store“ gibt, sonst wüsste man nicht, wo abends hingehen. Inhaber Bill Faeth, ein Mann mit struppigem Vollbart und blauer Latzhose, schenkt nämlich auch Bier aus, an einer langen hölzernen Theke. Besonders redselig ist er nicht. Aber dann fällt das Stichwort Rotorenfabrik, und der alte Mann taut auf: „Meine Enkeltochter arbeitet dort!“ Und er erzählt, was für eine tolle Sache Windenergie ist. Die Zeit ist doch nicht stehen geblieben im Cigar Store.
Foto: Christine Mattauch

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