Wildkräuter im Winter

In der kalten Jahreszeit ruht die Natur. Gärten und Felder sind abgeerntet, die Laubbäume haben ihre Blätter verloren. Eine Zeit der inneren Einkehr und Regeneration beginnt. Doch eine kleine Truppe grüner Kämpfer trotzt unerschrocken sogar Eis und Schnee. Eine Geschichte über Wildkräuter, die uns mitten im Winter frisches Grün und Vitamine schenken. Von Elisabeth Menzel. Meine allererste Begegnung mit Wildkräutern erlebte ich an einem eiskalten Winternachmittag. Die Luft war frisch und klar, der Himmel blau, aber wir froren ein wenig, trotz warmer Funktionsjacken. Als wir uns in der Nähe von Baden-Baden am Rande eines biologisch bewirtschafteten Weinberges trafen, fragte ich mich, ob in dieser bitteren Kälte überhaupt etwas wachsen könne? Die kleine Wanderung mit Naturlehrer Jürgen Recktenwald sollte mich schon bald eines Besseren belehren. Vorratskammer der Natur Der Winter gilt allgemein als Zeit, in der wir von unseren Vorräten zehren müssen. Eine gut gefüllte Speisekammer war noch zu Zeiten unserer Großeltern überlebenswichtig. Heute gibt es riesige Supermärkte und globalen Handel. Fast alles ist jederzeit verfügbar, sogar Erdbeeren im Dezember. Wir leben scheinbar in Überfluss und Fülle, doch der moderne Lebenswandel hat seinen Preis: ausgelaugte Böden durch intensive Landwirtschaft und Monokulturen sowie Lebensmittel, die nicht mehr ausreichend Vitamine und Mineralstoffe enthalten. Dabei müssten wir eigentlich gar nicht zu aus Übersee angereisten Früchten greifen, um auch im Winter unsere Nährstoffspeicher zu füllen. Die Alternative wächst direkt vor unserer Haustür! Kräuter sind wahre Vitaminbomben „Tagtäglich laufen wir über wertvolle Nahrung, ohne sie wahrzunehmen“, erklärt Jürgen Recktenwald mit leisem Bedauern. Damit das nicht so bleibt, hat sich der gebürtige Saarländer mit Leib und Seele den Themen Wildkräuter und Naturnahrung verschrieben. Jedes Jahr bildet er in seiner Naturschule in Baden-Baden Kräuter­leute aus. Er hält auch Vorträge, Seminare, veranstaltet Kuren und Schnuppernachmittage wie die Winterwanderung, bei der ich ihn kennenlernen durfte. „Warum den Blick in die Ferne schweifen lassen und nach Wundermitteln suchen, anstatt die Gesundheit in unserer heimischen Natur zu finden?“, fragt Recktenwald. Untersuchungen zeigen, dass Wildkräuter unserem Kulturgemüse im Hinblick auf Vitamine, Spurenelemente und Mineralstoffe weit überlegen sind. Standortvorlieben berücksichtigen Doch zurück zu unserer Wanderung im Schnee. Man muss sich zwar ein bisschen auskennen. Doch wer zum Beispiel weiß, dass die Bachbunge gerne am und im Wasser wächst, findet sie auch im Winter. Sie ist das erste Kraut, das wir am heutigen Nachmittag entdecken. Unbeeindruckt vom halb zugefrorenen Bach wächst sie hellgrün und unbekümmert am seichten Wasserrand. Zwischen den Bäumen am Ufer finden wir frische Taubnesseln – ganze Teppiche sogar, nachdem wir mit einem Reisigzweig vorsichtig den Schnee weggefegt haben. Bestandsschonend und mit Augenmaß ernten „Wir nehmen trotz dieser Fülle immer nur so viel mit, wie wir tatsächlich brauchen und ernten niemals eine Stelle völlig kahl“, empfiehlt der Naturlehrer. Als wir weiter in Richtung der Weinstöcke schlendern, finden wir Schaumkräuter, wilden Schnittlauch, Gundermann, zarte Löwenzahnrosetten, Spitzwegerich und Gänseblümchenblätter, Labkraut, junge Brennnesselspitzen, Brombeersprossen und Pfennigkraut.  Am Ende unserer Wanderung lässt der prallgefüllte Korb keinen Gedanken an winterlichen Mangel aufkommen. „Sogar im Winter bei Frost und Schnee können wir uns aus der Natur ernähren“, konstatiert Jürgen Recktenwald lächelnd. „So hat es die Schöpfung für uns vorgesehen.“ www.naturlehrer.de QC62E06

Wildkräuter

Sammeltipps für den Winter


Trocken Sie feuchte Finger nach dem Pflücken mit einem Papiertuch ab, bevor Sie die Handschuhe wieder überstreifen. Nasse Finger kühlen schnell aus.


Bringen Sie heißen Tee in einer Thermosflasche mit. Der wärmt Sie zwischendurch auf.


Sammeln Sie die Kräuter in einen Korb, den Sie mit sauberen Küchentüchern oder alten Bettlaken ausgelegt haben.


Sammeln Sie nur Pflanzen, die Sie ganz sicher bestimmen können.


Ernten Sie nur, was Sie rasch verbrauchen können und lassen Sie vor Ort mindestens zwei Drittel des Pflanzenbestandes stehen.


Sammeln Sie nicht an stark befahrenen Straßen, Hundewegen oder am Rand von konventionell bewirtschafteten Flächen.


Für manche Kräuter (z. B. Löwenzahn) ist es sinnvoll, eine Schere oder ein Messer zu benutzen, um die Pflanze nicht unnötig zu schädigen.


Wurzeln bitte immer erst nach der Vegetationsperiode der jeweiligen Pflanze sammeln.


Frische Wildkräuter machen sich wunderbar in einem frischen, grünen Salat. Kombinieren Sie Ihre kostbare Ernte am besten mit anderen pflanzlichen Lebensmitteln wie Kartoffeln, Hirse, Linsen oder ein wenig hochwertigem Vollkornbrot.

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13. November 2021