Wie wirkt Akupunktur?

Quell im Gespräch mit Prof. Dr. Irnich, dem Vorstand der deutschen Ärztegesellschaft für Akupunktur e.V., über Prinzipien, Wirkungsweisen, Einsatzgebiete, verschiedene Methoden der Akupunktur und die Vorteile einer integrativen Medizin. 

Quell: Wie lange wird schon gezielt gepikst, um die Gesundung zu fördern?

Prof. Dr. med. Dominik Irnich:  Die Geschichte der Akupunktur reicht bis in die Steinzeit. Höhlenmalereien in der Mongolei zeigen Szenen, wie Irritationen mit Nadeln vorgenommen werden. Die systematische Akupunktur hat ihre Wurzeln vor etwa 2.000 Jahren in China. Aus dieser Zeit stammt auch ein Standardwerk, das heute noch die Grundlage für Akupunktur-Ärzte ist. 

Quell: Wann und wie gelangte die Akupunktur in den westlichen Kulturraum? 

Prof. Dr. med. Dominik Irnich: Im 18. und 19. Jahrhundert gelangte das Konzept der Akupunktur in den Westen. Es waren Handlungsreisende und Diplomaten, die ihre Erfahrungen mit Akupunkturbehandlungen von Indochina nach Europa brachten. Bereits 1951 gründete ein deutscher Arzt, der das Konzept der Akupunktur in China kennengelernt hatte, dann unseren Verband.

Quell: Was sind die Prinzipien und Wirkweisen der Akupunktur?

Prof. Dr. med. Dominik Irnich: Einfach gesagt könnte man sagen, dass mit Hilfe von sehr dünnen Nadeln  Reaktions- beziehungsweise Reflexpunkte gezielt gereizt werden.  Dahinter steckt aber weitaus mehr: Die Akupunktur baut auf den theoretischen Grundlagen der traditionellen chinesischen Medizin auf. Da erfolgt keine Aufteilung in Organe, die Akupunktur interessiert sich für den gesamten Menschen in seiner subjektiven Verfassung. 

Mit dem gezielten Pieks sollen die Leitbahnen oder Meridiane durchgängig gemacht werden, das Qi und Blut reguliert werden, das Gleichgewicht von Yin und Yang wieder hergestellt und alles in Fluss gebracht werden. Das bedeutet, dass Blockaden aufgelöst werden können, das energetische Gleichgewicht wieder hergestellt wird und Beschwerden sich auflösen. Es geht um Ganzheitlichkeit, um das Innen und Außen, um Körper und Emotion und subjektive Erfahrung. Jeder Mensch ist ein Individuum, das anders behandelt werden muss. Die TCM bietet dafür interessante Modelle, vergleichbar mit denen in der Psychosomatik, die es ja erst seit den 1970er Jahren gibt.

Quell: In welchen Bereichen hat sich die Akupunktur am meisten durchgesetzt?

Prof. Dr. med. Dominik Irnich: Das ist sicherlich in der Anästhesie und Schmerztherapie der Fall. So erstatten die privaten Kassen die Akupunktur in allen schmerztherapeutischen Einsatzbereichen. Zwei Drittel aller Patienten wünschen sich die Akupunktur als komplementärmedizinische Behandlungsmethode. Und 80 Prozent der mit Akupunktur behandelnden Ärzte würden diese gerne noch in mehr Fällen einsetzen, als sie es bislang tun können, beispielsweise auch bei Allergien und Depressionen.

Quell: Gibt es Studien, die die Wirksamkeit der Akupunktur belegen? 

Prof. Dr. med. Dominik Irnich: Da gibt es zahlreiche Studien. Beispielsweise eine Studie, die belegt, dass  beim Einsatz von Akupunktur nachweislich weniger Schmerzmittel gebraucht werden. Dabei handelte es sich um Doppel-Blind-Studien, die mit Placebo-Medikamenten auf der einen und mit Schein-Akupunktur auf der anderen Seite verifiziert werden konnten. Akupunktur als ein Teilbereich der Traditionellen Chinesischen Medizin ist ein wunderbares Beispiel für das Gelingen von integrativer Medizin.

Quell: Integrative Medizin, was bedeutet das ? 

Prof. Dr. med. Dominik Irnich: Die integrative Medizin verbindet konventionelle ärztliche Medizin und ärztliche Komplementärmedizin zu einem sinnvollen Gesamtkonzept. Ziel ist es, die individuell beste Therapie für den Patienten zu finden und Nebenwirkungen soweit wie möglich zu reduzieren. Da passt die Akupunktur perfekt.

Quell: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Ohr- und Körper-Akupunktur? 

Prof. Dr. med. Dominik Irnich: Die Ohr-Akupunktur beruht auf dem Konzept der Embryo-Form in der sensiblen Ohrmuschel. Schon im alten Ägypten wurden Reize am Ohr gesetzt. Die reflektorischen Beziehungen zwischen Ohr und Körper lassen sich durch die drei großen Nervensysteme, das periphere Nervensystem, den Sympathikus und den Parasympathikus, die die Ohrmuschel durchziehen, erklären. Erstmals 1957 von dem französischen Arzt Paul Nogier systematisch dokumentiert und in der Zeitschrift der DAEGFA publiziert, wurde das Konzept dann erst von der chinesischen Schule adaptiert. Die Ohr-Akkupunktur zeigt gute Kurzzeit-Erfolge auf. Aber die Körperakupunktur ist sicherlich effektiver und länger wirksam. Ein guter Akupunkteur kann beides.

Quell: Und was ist der Unterschied zwischen Einmal- und Dauernadeln? 

Prof. Dr. med. Dominik Irnich: Einmalnadeln halte ich für besser, diese setzen einen Reiz, der eine Reaktion hervorruft. Bei Dauernadeln besteht die Gefahr, dass durch den Dauerreiz eine lokale Irritation erfolgen kann.

Quell: Wie geht ein guter Akupunktur-Arzt vor?

Prof. Dr. med. Dominik Irnich: Zunächst sollte bei allen Beschwerdebildern eine Diagnose nach westlicher Medizin stehen, um nichts zu übersehen, was durch technische Geräte heute möglich ist. Dann erfolgt die Überweisung an einen guten Akupunktur-Arzt, der sich auf Basis der Wissenschaft ausrichtet und an den Bedingungen des Patienten orientiert. Ein guter Akupunktur-Arzt beginnt mit einer Anamnese, ihn interessiert der Patient, dessen Leben in seiner Ganzheitlichkeit. Meist treten schon nach der ersten Behandlung Verbesserungen auf. Man spricht vom so genannten Sofort-Effekt. Bei chronischen Beschwerden reichen in der Regel 10-12 Behandlungen. Sollte sich bis zur 10. Sitzung keine Veränderung bemerkbar machen, dann ist es möglich, dass der Mensch auf die Methode nicht anschlägt, was aber sehr selten vorkommt, wenn man sich in qualifizierten Händen befindet.

Quell: Wie findet man seinen Akupunktur-Arzt?

Prof. Dr. med. Dominik Irnich: Es gibt geschätzt 20.000 bis 30.000 ausgebildete Akupunktur-Ärzte in Deutschland, wobei sich viele auf bestimmte Anwendungsbereiche spezialisiert haben. Hinzukommen 10.000 bis 15.000 HeilpraktikerInnen, die anderen Qualitäts-Sicherungen unterliegen. Einen Schulmediziner, der die Akupunktur im Sinne der integrativen Medizin einsetzt, lässt sich über den Postleitzahl-Finder auf der Homepage der DAEGFA finden.

Quell: Ihre Mutmach-Message? 

Prof. Dr. med. Dominik Irnich: Zum Glück geht es dem Großteil der Ärzte immer noch um den Menschen und Akupunktur kann viel Gutes bewirken. 

Akupunktur in Deutschland

Prof. Dr. med. Dominik Irnich, Leiter der Interdisziplinären Schmerzambulanz/Klinik für Anästhesiologie am Klinikum der LMU  ist 1. Vorsitzender der deutschen Ärztegesellschaft für Akupunktur e.V. (DÄGfA).

Seit 1951 engagiert sich der Verband für Praxis, Lehre und Forschung in der Akupunktur. Rund 8.300 durch den Verein ausgebildete Ärzte stehen für Kompetenz und Erfahrung in Akupunktur und Chinesischer Medizin. 

www.daegfa.de;  mit Postleitzahl-Suchfunktion für Akupunkturärzte: www.daegfa.de/Themen/Patienteninfo/Akupunkturaerzte

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7. Februar 2022