Vielfalt im Gemüsegarten

Retten wir unser Gemüse, indem wir die alten Sorten neu entdecken. 

Die Bedrohung der Biodiversität ist in aller Munde. Nashorn, Eisbär, brennende Regenwälder – dass wir das Artensterben stoppen müssen, ist uns zunehmend bewusst.

Das stille Sterben in unseren eigenen Gärten dagegen findet direkt vor unseren Augen und doch im Verborgenen statt. Und es betrifft in erschreckendem Maß auch unsere heimische Nutzpflanzenvielfalt, sozusagen unser täglich Brot. Ein Verlust, der die heimische Landwirtschaft betrifft, aber leider auch ein globaler Trend ist.

Mehr als 75 Prozent der Kulturpflanzen sind uns in den letzten Jahrzehnten verloren gegangen – und täglich sterben weitere aus. Es ist eine fatale Entwicklung, bilden Kulturpflanzen doch die Basis unserer Ernährung und somit unseres Lebens.

Vielfältige Ursachen

Die Ursachen dieses Schwundes sind vielfältig: Da wären zum Einen wir Bürger. Rundum gut mit Lebensmitteln versorgt, ist hier niemand mehr auf Nahrungsanbau im eigenen Garten angewiesen. Das ist noch gar nicht lange der Fall – noch in der DDR setzte man örtlich auf staatlich geförderte Schrebergartenprogramme, auch, um Versorgungsengpässe abzufedern. Viele dieser Gartenanlagen wurden nach der Wende leider rückgebaut, kaum jemand hat noch Zeit und Muße für den Gemüsegarten hinterm Haus. Den Bezug zur Natur und damit zum Ursprung unserer Lebensmittel haben wir längst verloren. Die guten alten Gemüsesorten, die uns über Jahrhunderte hinweg zuverlässig begleiteten, die zwischen Nachbarn getauscht und noch von meiner Großmutter im Garten kultiviert wurden – sie sind längst in Vergessenheit geraten.

Zugleich bewirkt der strukturelle Wandel einen ebensolchen Trend in der Landwirtschaft. Legte der Bauer einst einen Teil der Ernte für die Aussaat im nächsten Jahr zurück und erhielt so seine bewährten Sorten, wird Saatgut im modernen landwirtschaftlichen Betrieb eingekauft – meist moderne Hybridsaaten, die nicht selbstständig nachgezogen werden können. Die Vielfalt schwindet, die Abhängigkeit von wenigen Saatgutkonzernen steigt. Und die Agrarriesen streben danach, ihren Markt auszubauen. Unter Druck geraten kleinbäuerliche Strukturen weltweit, die noch mit eigenem, lokalem Saatgut autonom funktionieren und die Bevölkerung regional gut versorgen. Verstärkt wird das Problem durch die, seit den 1990er Jahren rasant zunehmende, gentechnische Veränderung und die zunehmende Patentierung von Pflanzen beziehungsweise Gensequenzen. Züchter erhalten für neue Sorten Lizenzgebühren, das ist legitim – so lange nicht Gene und Eigenschaften traditioneller Sorten unter Patentschutz gestellt und Bauern und Bevölkerung ihrer ureigenen Ressourcen beraubt werden.

Die Politik tut ihr übriges dazu, das Problem zu verschärfen. Das Gegenteil von „gut“ ist eben auch hier oft „gut gemeint“. Ein Beispiel: Das Saatgutverkehrsgesetz kommt in der Praxis oft einem faktischen Verbot alter Sorten gleich. Denn auch Erhaltersorten (nach der Erhaltungssortenverordnung zugelassene Sorten) müssen ein arbeits- und kostenintensives Zulassungsverfahren durchlaufen, was für kleine Bestände kaum zu leisten ist. Gärtner, die Samen ihrer Gemüse trotzdem weitergeben, bewegen sich in einer gesetzlichen Grauzone. Und käme zusätzlich die von der EU geplante Registrierungspflicht für kleine Erhalter mit zusätzlichen, teuren Auflagen, würden viele ihr Engagement wohl ganz aufgeben müssen. 

Höchste Zeit zu handeln!

Retten wir unser Gemüse, entdecken wir die alten Sorten neu! Wir haben es in der Hand, regional und saisonal dort einzukaufen, wo man die Vielfalt alter Sorten schätzt und pflegt. Und vielleicht gibt es sogar in Ihrer Nähe schon eine solidarische Landwirtschaft (Solawi), die mit samenfesten Sorten arbeitet? Oder beginnen wir im eigenen Garten: Warum nicht ein Gemüsebeet statt Zierrasen und Schotterstilleben? 

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Selbst nachhaltig anbauen

1. Betrachten Sie Ihre Gemüse­vorlieben und Ihren Garten:

Was esse ich gerne und welche Voraussetzungen bietet mein Garten? Der kleine sonnenexponierte Südbalkon? Mediterrane Kräuter und Tomaten werden ihn lieben! Feuchte, schattige Nordseite am Haus? Kein Problem, versuchen Sie´s mal mit Mangold, Kohlrabi oder Salaten.

2. Samenfestes Saat- und Pflanzgut 

Achten Sie beim Kauf auf samenfestes Saatgut. Man bekommt es bei heimischen Herstellern, die noch Wert auf Sortenerhalt und -weiterentwicklung lokaler Gemüse legen. Wie bei der Bingenheimer Saatgut AG. Sie widmet sich neben dem Erhalt der alten Sorten auch der Weiterzucht. Außerdem kümmert sie sich um die Zulassung neuer Sorten auf Grundlage alter samenfester Sorten.

3. Ein Pflanzplan ist hilfreich

Kann man Tomaten getrost jahrelang aufs selbe Beet setzen, so mag der Wirsing auf keinen Fall dahin, wo letztes Jahr schon der Blumenkohl stand. Und nicht nur die Nachfolge, auch die Nachbarschaft hat so ihre Tücken: Während Gurken und Dill liebend gerne nebeneinanderstehen möchten, können sich Erbsen und Zwiebeln nicht ausstehen. Hilfreiche Tabellen zur Planung findet man im Netz. Bewährt hat sich eine vierjährige Fruchtfolge, die auch die Bodenfruchtbarkeit berücksichtigt. Möchten Sie die jeweiligen Gemüse gleichzeitig haben, hilft eine Teilung des Beetes in vier Bereiche.

4. Nachhaltig: eigene Samengewinnung

Die eigene Samengewinnung ist einfach, wenn man die Eigenheiten der einzelnen Pflanzen beachtet. Manche Gemüse bilden im gleichen Jahr Samen aus, andere blühen erst im zweiten Jahr oder später. Manche Samen bleiben viele Jahre keimfähig, andere sollten zeitnah wieder in die Erde. Einige vertragen keinen Frost, andere brauchen zum Keimen eine Kältephase.

5. Verkreuzungen vermeiden 

Möchte man mehrere Sorten desselben Gemüses im Garten nachhaltig kultivieren, sollte man darauf achten, dass diese sich nicht kreuzen können. Der Mais beispielsweise ist sehr kreuzungsfreudig. Durch Windbestäubung wird der Samen weit verblasen, daher sollten zwei Sorten im Anbau wenigstens drei Kilometer Abstand haben. Will man trotzdem verschiedene Maissorten im Garten kultivieren, hilft ein Trick: Zeitversetzt angebaut befruchtet der Pollen nur die jeweils eigene Sorte. Einfacher sind Bohnen oder Tomaten, die sich nicht gern kreuzen. So kann man gut mehrere Sorten gleichzeitig im Garten erhalten. Auch die Keimung erfordert individuelle Bedingungen.

6. Am Allerwichtigsten: 

Sortenerhalt ist ein heeres Ziel, aber die alten Sorten leben durch Nutzung. Sie wollen vor allem gegessen, genossen und auch weiterverbreitet werden!

Quellen und weiterführende Informationen


Rote Liste der gefährdeten einheimischen Nutzpflanzen in Deutschland pgrdeu.genres.de/on-farm-bewirtschaftung/rote-liste-nutzpflanzen/

Informations- und Koordinationszentrum für Biologische Vielfalt (IBV) der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung genres.de/das-ibv/

www.bingenheimersaatgut.de Saatgut im online shop oder per Katalog

www.nutzpflanzen­vielfalt.de    Verein zum Erhalt der Nutzpflanzenvielfalt mit großem online-­Bestellkatalog

Die Autorin

Anna Gladis ist Dipl. Geographin und  Naturparkführerin im Naturpark Taunus. In ihrer freien Zeit widmet sie sich dem Erhalt alter Obst- und Gemüse­sorten im Garten und auf den eigenen Wiesen im Taunus.

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Beitrag Vielfalt bewahren

3. Februar 2022