Der steigende Wasserverbrauch führt weltweit immer mehr zu einer Verknappung der globalen Süßwasservorräte. Konflikte um knappe Wasserressourcen sind vorprogrammiert, denn Wasser ist Voraussetzung für jegliche menschliche Entwicklung. Mit dem zunehmenden Wassermangel in vielen Ländern der Welt wird das Eis Grönlands zu einer alternativen Wasserressource. Von Dr. Jürgen Kern.

Die Eiskappe Grönlands ist bis zu drei Kilometer dick und die zweitgrößte Eisfläche nach der Antarktis. Diese gigantische Eismenge bedeckt heute 95 Prozent der Insel und ein großer Teil dieses gefrorenen Süßwassers gleitet langsam als Gletscher hinab zum Meer. Dort brechen die Eisberge an der Küste ab, schwimmen in den Atlantik und schmelzen. Mehrere hundert Milliarden Tonnen Eis und damit riesige Mengen an kostbarem Trinkwasser fließen so jährlich ungenutzt ins Meer. Einen einzigen Eisberg zu nutzen würde Millionen Kubikmeter Frischwasser für eine ganze Region verfügbar machen.

Eisberg im Schlepptau
Schon vor 40 Jahren kam der französische Ingenieur Georges Mougin auf die Idee, man könnte die Eisberge als Trinkwasserreserve nutzen. Er beobachtete per Schiff und Heißluftballon wie Eisberge in Grönland aus Gletschern geboren werden und nach Süden driften. Der Ingenieur hatte eine kühne Vision: Er möchte einen Eisberg dorthin schleppen, wo Menschen Trinkwasser dringend benötigen. Einen Eisberg ins Schlepptau zu nehmen, bedeutet letztlich nichts anderes als den Ort zu verändern, an dem er schmelzen wird.
1977 fand in den USA die erste Internationale Konferenz zur Ausbeutung von Eisbergen statt. Man war damals fest davon überzeugt, dass innerhalb der nächsten drei bis vier Jahre Eisberge in alle Regionen der Welt verschifft werden können. Doch das Projekt scheiterte aus technischen und finanziellen Gründen.

Von Neufundland zu den Kanarischen Inseln
Im Jahr 2002 startete Georges Mougin wieder mit einem neuen Konzept. Mit Unterstützung eines erfahrenen Teams aus Gletscherforschern, Meteorologen und Meeresforschern begann er exakt zu analysieren, wie realistisch die Idee ist, Trinkwasser aus Eisbergen zu gewinnen. Mougin testete die Möglichkeit eines Eisberg-Transports von Neufundland zu den Kanarischen Inseln im Computermodell.
Auf den Kanarischen Inseln ist Trinkwasser sehr knapp oder von nicht sehr guter Qualität. Ein Großteil des Trinkwassers dort kommt aus Meerwasser-Entsalzungsanlagen. Leider führen der enorme Energieverbrauch und die entstehenden Abwässer zu immer größer werdenden Umweltproblemen. In der Computersimulation konnte der Eisberg nach vier Monaten sein Ziel, die Kanarischen Inseln erreichen.
Um das Abschmelzen auf dem Weg nach Süden so gering wie möglich zu halten, müsste der Eisberg in einem wasserdichten Textilmantel verpackt werden. Dieser isolierende Schutz soll sich um den unteren Teil des Eisbergs schmiegen, wo der Wasserverlust durch das Schmelzen am größten ist. Zum Abschleppen eignet sich vor allem ein Tafeleisberg, benannt nach seiner flachen Oberfläche.

Kontrolliertes Treiben mit der Natur
Doch das Abschleppen eines sieben Millionen Tonnen schweren Eisbergs ist aus ökologischen und ökonomischen Gründen nicht sinnvoll. Es ist bekannt, dass jedes Jahr vor der Küste Neufundlands Millionen Dollar ausgegeben werden, um Ölplattformen vor Eisbergen zu schützen. Dafür werden starke Schlepper eingesetzt, um die Richtung von Eisbergen um ein paar Grad zu verändern und so die Gefahr einer Kollision abzuwenden. Man weiß dadurch, dass  mehr als fünf Schlepper nötig wären, um sieben Millionen Tonnen Eis abzuschleppen. Und das hätte verheerende Auswirkungen auf die Energiebilanz und damit die Kosten der gesamten Unternehmung. Aber ein direktes Abschleppen ist auch gar nicht nötig. Ein Schlepper könnte den Eisberg lediglich lenken. Die Natur wird einen großen Teil der Arbeit machen. Kontrolliertes Treiben nutzt die Strömungen, den Wind und die Wellen soweit als möglich aus, statt gegen sie anzukämpfen.
Noch sind es Simulationen, aber nach diesen Berechnungen sollte so eine Reise mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 1,5 Stundenkilometern zwischen Neufundland und den Kanaren rund 140 Tage dauern und von den sieben Millionen Tonnen Eis würden immerhin noch vier Millionen Tonnen übrig bleiben. Damit wäre eine Versorgung von rund 70.000 Menschen für ein ganzes Jahr gewährleistet. Der Transport würde rund 4.000 Tonnen Treibstoff verbrauchen, also einen Liter auf 1.000 Liter Trinkwasser.
Der theoretische Beweis ist erbracht. Was fehlt sind Investoren, die eine solche Reise ermöglichen. Die Prognosen, dass 2025 schon mehr als 50 Länder Trinkwasserprobleme haben werden, sind auf jeden Fall ein gewichtiger Grund weiter zu forschen. Schon heute sind 1,2 Milliarden Menschen davon betroffen und täglich sterben zehntausende Menschen an Wassermangel.

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