Eine Stadt, auch eine dicht bebaute Stadt, ist längst Natur. Dieser Satz mag wie ein Widerspruch wirken, aber auch eine Stadt ist eingebettet in die komplexen Zusammenhänge der Natur. Dieser Ansatz der niederländischen Stadtplanerin Helga Fassbinder ist nur eine faszinierende Sichtweise auf die grünen Städte von morgen. Von Claudia Schwarzmaier.

Etwa 70 Prozent der Menschen werden laut UNO-Prognosen im Jahre 2050 weltweit in Städten leben. In Deutschland sind es bereits jetzt mehr als zwei Drittel, die in dicht besiedelten, städtischen Gebieten leben. Der Anforderungsdruck auf die Städte wächst, durch den Klimawandel steigt der Hitzestress, es kommt vermehrt zu Starkregen und darüber hinaus gefährden Schadstoffe in der Luft die Gesundheit. Die Lösung sehen viele Experten in Smart Cities. Schlaue Städte, bei denen durch die Digitalisierung vom Verkehr über die Dienstleistungen bis zum Verhältnis zwischen der Kommune und ihren Bürgern alles zunehmend vernetzt ist. Doch für die Gesundheit und Lebensqualität der Städter wird es entscheidend sein, ob es gelingt, die Stadtnatur zu stärken.

Grün fördert die Gesundheit

Immer mehr Studien bestätigen die positiven gesundheitlichen Effekte von einem grünen Umfeld auf die Menschen. Während die moderne Medizin in der Regel erst helfen kann, wenn man schon krank ist, kann Stadtnatur dafür sorgen, dass wir gar nicht erst krank werden. Nach einer aktuellen dänischen Studie gilt das besonders für Kinder. In einem grünen Umfeld aufgewachsene Kinder entwickeln im Laufe ihres Lebens seltener psychische Störungen. Der Biologe Clemens G. Arvay beschreibt in seinem lesenswerten Buch „Biophilia in der Stadt – Wie wir die Heilkraft der Natur in unsere Städte bringen“ viele weitere positive Aspekte der Natur auf die Entwicklung von Kindern und die Gesundheit der Erwachsenen.

Stadtnatur ist wertvoll

Doch eine grüne Stadt bietet noch viele weitere Vorteile. Grün kühlt, selbst kleinere Grünanlagen können die Temperaturen im Vergleich zur bebauten Umgebung um drei bis vier Grad senken. Gründächer, Vertikalgrün, Bäume und Sträucher tragen nicht nur zur Wasserrückhaltung bei Starkregen bei, sondern sie sind auch eine wirksame Waffe im Kampf gegen Abgase und Feinstaub. Für die heimische Tier- und Pflanzenwelt, wie Insekten und Vögel, sind städtische Grünräume extrem wichtig. Der Lebensraum Stadt birgt oft eine höhere Artenvielfalt als die freie Landschaft. Allein in München sind geschätzt 9.000 bis 20.000 verschiedene Tier- und Pflanzenarten beheimatet. Und natürlich bietet städtisches Grün einen Erholungs- und Ausgleichsraum, einen Ort für Begegnungen, Naturerfahrungsräume für Kinder und Jugendliche sowie vielfältige Möglichkeiten für sportliche Aktivitäten.

Revitalisierter Fluss und Dschungelstadt

Bei all diesen Vorteilen stellt sich die Frage, welche Ansätze es gibt, um die Stadtnatur zu stärken. Ein essentieller Faktor für mehr Grün in der Stadt ist Wasser. Nicht nur zur Bewässerung der Grünräume. Wasser, das durch ein unregelmäßiges Flussbett fließen kann oder kleine Wasserfälle bildet, reichert die Stadtluft mit gesundheitsschützenden Anionen an, die das Immunsystem stärken. Immer mehr Städte entdecken die Vorteile intakter Flussökosysteme. Von Seoul, über Santa Fee bis hin zu Leipzig und München – überall trägt die Revitalisierung der Flüsse zu neuen Grün- und Erholungsflächen bei. Weitere wirksame Mittel für mehr Grün in dicht bebauten Städten sind Dachbegrünung und Vertikalgrün. Dabei ist die Vertikalbegrünung seit jeher etwas Alltägliches. Glyzinien, Efeu oder Wilder Wein klettern an Regenrohren und Holzrosten vieler alter Gemäuer empor. Einen Schritt weiter hinsichtlich Vertikalbegrünung geht die sogenannte Baubotanik. Der Münchner Professor für Landschaftsarchitektur Ferdinand Ludwig will beim Häuserbau Natur und Technik kombinieren, indem er Bäume und Pflanzen mit den Gebäudefassaden verschmelzen lässt. Der italienische Architekt Stefano Boeri, der durch seine vertikalen Wälder berühmt geworden ist, denkt in ganz anderen Dimensionen. Derzeit beschäftigt er sich mit der Dschungel-Stadt Liuzhou in Süd-China. In dieser Stadt soll alles grün werden. Nicht nur Parks, Gärten und Straßen werden mit Bäumen bestückt, die Gebäude selbst werden konsequent bepflanzt. Einen analogen Ansatz verfolgt das Konzept von Biotope City der eingangs erwähnten Stadtplanerin Helga Fassbinder, das derzeit in Wien durch den Bau eines Biotope-City-Quartiers umgesetzt wird. Doch jeder kann etwas beitragen: Grün in der Stadt beginnt mit jedem blühenden und begrünten Balkon. Pflanzt man dann noch Bienen-und Insektenfreundliche Blumen, ist ein erster Schritt schon getan. QC52W01

Biotope City
In Wien entstehen derzeit 900 Wohnungen nach der Idee der niederländischen Stadtplanerin Helga Fassbinder. Biotope City steht für eine Stadt, die Natur ein- und nicht ausschließt. Das Konzept geht davon aus, dass das Ausmaß an Verstädterung angesichts der damit einhergehenden Umweltfolgen unter dem Klimawandel zu einer neuen Strategie der Kooperation von Stadt und Natur führen muss. Es gilt die Mechanismen der Natur – der Selbstregene­ration – zu nutzen. Erreicht werden soll das in dem Wiener-Quartier u.a. mit begrünten Fassaden und Dächern, natürlichen Wiesen und begrünten Balkonen. Helga Fassbinder erklärt: „Wir werden Nistplätze für Vögel in den Hausfassaden schaffen und auf Insekten Rücksicht nehmen.“ Ziel des Konzeptes ist auch, dem urbanen Menschen erfahrbar zu machen, dass er Teil einer umfassenden Natur ist, für die er Verantwortung trägt.
www.biotope-city.com

Buch-Tipp

Biophilia in der Stadt
Wie wir die Heilkraft der Natur in unsere Städte bringen.

Der Biologe Clemens G. Arvay beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen Mensch und Natur. Bereits in seinem Bestseller „Der Biophilia-Effekt“ hat er die gesundheitsfördernde und heilsame Wirkung, die die Natur auf uns Menschen hat, beschrieben. In seinem neuesten Buch zeigt Clemens G. Arvay auf, wie und warum sich naturnah gestaltete Großstädte positiv auf die Gesundheit des Einzelnen und auf das gesamtgesellschaftliche Wohlbefinden auswirken. Darüber hinaus gibt er viele praktische Tipps, wie man als Stadtbewohner schon jetzt die Heilkraft der Natur nutzen kann.

Goldmann Verlag,
351 Seiten,
ISBN 978-3-442-31482-9 Preis: 22 Euro

Bildnachweis: Titelbild: Boeri Studioi – das Bosco Verticale – der Vertikale Wald von Stefan Boeri in Mailand

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