Pacing – Ein Schritt, ein Strich, ein Atemzug
Eine (ungewollte) Auszeit kann auch gute Seiten haben. Das haben wir alle in den vergangenen Monaten erlebt. Doch nun beginnen die Räder sich langsam wieder zu drehen. Mit „Pacing“ können wir den Anforderungen des turbulenten Alltags gelassener begegnen.
Annas Leben ist anstrengend. Sie beklagt sich zwar selten. Aber ihr gehetzter Blick verrät, wenn ihr mal wieder alles zu viel wird. Anna trägt mehrere Hüte auf dem Kopf. Sie muss verschiedenen Rollen gleichzeitig spielen: Da sind ihre drei kleinen Kinder. Der Älteste soll nach dem Sommer in die Schule kommen. Da ist ihr Job als Laborantin, in dem sie früher eine Führungsposition bekleidete. Doch das ist vorbei – das Unternehmen duldet keine Teilzeit-Chefs. Da ist ihr Ehemann, dem sie eine gute Partnerin sein möchte. Und da sind Freunde und Familie, die wenigstens ab und zu auch ein bisschen was von Anna haben wollen. Das Karussell dreht sich endlos. Für sich selbst kann die junge Frau nur selten Zeit abzwacken.
Sind wir nicht alle ein bisschen Anna? Die moderne Welt in ihrer Vielfalt bewegt sich immer schneller, wird immer kurzlebiger, stellt immer höhere Ansprüche. Wir sehnen uns nach Auszeiten, nach Atempausen, wollen dem Hamsterrad entfliehen. Ansätze gibt es genügend. Manche sind sehr radikal – von minimalistischem Konsumverzicht bis hin zum völligen Ausstieg aus der Gesellschaft. Das Konzept des „Pacing“ geht einen anderen Weg. Es nimmt die Umstände, wie sie nun mal sind, teilt aber die Kräfte anders – besser –
ein. In der englischen Sprache bedeutet
„to pace“ soviel wie „schreiten“ oder „gemessenen Schrittes gehen“. Unter „Pacing“ versteht man unter anderem „Schrittsteuerung“. Hier gesellt sich also ein kontrollierendes Element hinzu. Es geht nicht darum, zu rennen oder zu eilen. Es geht um gemessene Schritte, um bewusstes Steuern.
Mir persönlich ist das Thema „Pacing“ erstmals in der Schmerztherapie begegnet. In diesem Zusammenhang lernen Patienten, in schmerzarmen oder -freien Zeiten für die richtig üblen Tage vorzusorgen. Es geht um das Haushalten mit den eigenen Kräften – ja, um Krisenvorsorge. Im Alltag kann das Verschiedenes bedeuten. Zum Beispiel immer einen ausreichenden Vorrat an Lebensmitteln daheim zu haben, falls man mal wieder ein paar Tage schmerzbedingt ausfällt und nicht einkaufen kann. Vorzukochen und mehrere Portionen einzufrieren. Täglich eine Maschine Wäsche zu waschen. Nie die Tabletten ausgehen zu lassen.
Auch Sportler praktizieren „Pacing“. Ob Fußballer oder Leichtathlet – sie alle müssen sich ihre Kräfte einteilen. Ein Langstreckenläufer darf seine Power nicht bereits auf den ersten Metern verballern. Sonst fehlen ihm Reserven im Endspurt. Ein Trainer überlegt vor allem während wichtigen Turnieren sehr strategisch, welchen seiner Spieler er in welchem Match einsetzt und wessen Kräfte er für die folgende Begegnung schont.
Denke nie an dieganze Straße auf einmal!
Das für mich schönste Beispiel für den bewussten Umgang mit der eigenen Kraft formulierte Beppo Straßenkehrer aus Michael Endes Klassiker „Momo“: „Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; Das kann man niemals schaffen, denkt man. Und dann fängt man an, sich zu eilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedes Mal, wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt. Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst zu tun und zum Schluss ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen. Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss immer nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein.“
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Praxistipps für den Alltag
Zurück zu Anna aus dem Beitrag: Wie könnte sich die junge Mutter aus unserem Beispiel – und auch Sie, liebe Leserin und lieber Leser – das Leben erleichtern? Die Zauberworte heißen „vereinfachen, vorausplanen, zusammenfassen und vorsorgen“.
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Den Hausputz in kleine Etappen teilen und nach Putzplan arbeiten: Zum Beispiel montags das Bad schrubben, dienstags abstauben, mittwochs staubsaugen, am Donnerstag nass wischen, freitags den Kühlschrank reinigen.
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Einmal pro Woche die Mahlzeiten planen, eine Übersicht schreiben und ganz gezielt dafür einkaufen gehen. Tipp: Die Pläne aufbewahren und nach ein paar Wochen schamlos wiederholen.
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Täglich eine Maschine Wäsche anwerfen, damit erst gar keine Berge entstehen.
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Vorratskochen einführen: Es gibt viele Gerichte, die sich gut einfrieren lassen, zum Beispiel Chili con Carne, Gulasch, generell Eintöpfe und Suppen, Lasagne etc. Kochen Sie solche Rezepte in doppelter oder dreifacher Menge und frieren Sie ein! An Chaos-Tagen bedienen Sie sich einfach aus dem Eis-Vorrat und sparen wertvolle Zeit.
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Fassen Sie gleichartige Tätigkeiten zusammen – erledigen Sie etwa alle anstehenden Telefonate „en bloc“.
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Entrümpeln Sie! Schaffen Sie Platz in Ihrem Heim und geben Sie jedem Ding einen festen Ort, an den es nach Benutzung sofort wieder zurückkehrt.
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Räumen Sie auch in Ihrem Oberstübchen auf. Verabschieden Sie sich von überzogenen Erwartungen, von gesellschaftlichen Konventionen und zu hohen Ansprüchen. Leben Sie nach Ihren eigenen Regeln und Werten. Schaffen Sie Zeit und Platz, für das, was Ihnen wichtig ist.
Buch-tipps
Bianka Bleier und
Birgit Schilling
Besser einfach, einfach besser – Das Haushalts-Survival-Buch
R. Brockhaus Verlag im SCM-Verlag, 2008
ISBN 978-3775152044
144 Seiten, 12,95 Euro
Kevin G. Thompson und Carl Foster
Pacing: Mit der richtigen Strategie optimale Leistungen erbringen
Verlag: Spomedis, 2016
ISBN 978-3955900984
256 Seiten, antiquarisch
Michael Ende
Momo
Thienemann-Verlag
ISBN 978-3522
Die Autorin
Elisabeth Menzel sagt über sich selbst: „Ich bin von Beruf Geschichtenerzählerin“. Ihr großes Vorbild: die schwedische Kinderbuchautorin Astrid Lindgren. In Ravensburg studierte Menzel (Jahrgang 1981) Medien- und Kommunikationswirtschaft mit Schwerpunkt Journalismus. Ihr Volontariat und die ersten Jahre als Redakteurin absolvierte sie beim Südwestrundfunk (SWR) in Baden-Baden. Es folgten Stationen in Offenburg beim Kresse & Discher Medienverlag sowie 10 Jahre als Pressesprecherin und Texterin bei der WALA Heilmittel GmbH in Bad Boll. Inzwischen schreibt sie ihre Geschichten als freie Journalistin. Ihre liebsten Themen handeln von Wildkräutern, integrativer Medizin, von Umweltschutz, Nachhaltigkeit und biologischer Landwirtschaft.
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