Kerzen-Orte

 

Es gibt wohl nur wenige Orte auf der Welt, in denen das Kerzenanzünden so perfekt zelebriert wird, wie im südfranzösischen Wallfahrtort Lourdes: Dort zünden jedes Jahr Millionen von Menschen Kerzen in den so genannten Licht-Kapellen an – mit Blick auf die Grotte, in der im Jahr 1858 dem Mädchen Bernadette die Jungfrau Maria erschien. „In Lourdes entzündet man Kerzen, um der Jungfrau Maria ein Anliegen anzuvertrauen. Die brennende, sich verzehrende Flamme verlängert unser Gebet,“ so ist auf der Internetseite des Wallfahrtsortes zu lesen. 

Rund um die Uhr kümmern sich die so genannten „Feutiers“ (Kerzenpfleger) der Wallfahrtsstätte um die Kerzen und das nicht nur in den Licht-Kapellen, sondern auch innerhalb der Grotte, wo Tag und Nacht im Kandelaber die Kerzen leuchten. Man muss aber gar nicht vor Ort sein, um sein Kerzen-Anliegen zum Leuchten zu bringen. Denn auch im Internet lässt sich das Aufstellen von Kerzen mit personalisiertem Gebetsanliegen buchen. Dort gibt es auch personalisierte Großkerzen mit einem Gewicht von bis zu 70 Kilogramm zu bestellen. „Lassen Sie eine Kerze mit ihren Gebetsanliegen aufstellen und entzünden“, so wirbt der Wallfahrtsort. 

Das Bespiel Lourdes zeigt überdeutlich: Es gibt fürs Kerzenanzünden einen großen Bedarf. „Tatsächlich fällt auch in der Wissenschaft auf, dass trotz der sinkenden Zahl an Gläubigen beziehungsweise denjenigen, die sich der Kirche zugehörig fühlen, die Tradition sehr populär ist, in einer Kirche eine Kerze anzuzünden“, sagt Isabella Bruckner, Lehrstuhlinhaberin für Christliches Denken und spirituelle Praxis an der Päpstlichen Hochschule Sant‘ Anselmo in Rom. Weshalb das so ist, erklärt Bruckner folgendermaßen: Einerseits sind es die Traditionellen, die das Kerzenanzünden in ihren Kindertagen gelernt haben. Andererseits äußern Menschen mit dem Kerzenanzünden ihre eigene, individuelle Spiritualität, abseits der traditionellen Glaubenspraxis. 

Empfindung der Erhellung

Ein Ort, an dem sich die eigene, individuelle Spiritualität der Kerzenanzünder beobachten lässt, ist Liebfrauen in Frankfurt am Main. Der Innenhof des Liebfrauenklosters – nur rund fünfzig Meter von der Haupteinkaufsstraße Zeil entfernt – trägt den Namen „Ort der Stille“. Dort halten Menschen in der hektischen Großstadt für einen Moment inne und zünden vor der Muttergottes-Figur eine Kerze an. Bruder Bernd Kober, Rektor der Liebfrauenkirche und Kapuziner beobachtet: „Die Menschen schätzen hier vor allem die Anonymität dieser Geste und des Gebets. Sie können an diesem Ort ihrem Leben Ausdruck geben – den schönen und schmerzlichen Seiten des Lebens.“ Spiritualitäts-Expertin Isabella Bruckner hat für diese spirituelle Geste folgende Worte: „Beim Entzünden einer Kerze erlebt der Mensch eine Empfindung der Erhellung – etwa Trost, Dankbarkeit und Hoffnung. Diese menschliche Grunderfahrung macht der Mensch unabhängig von seiner kulturellen und religiösen Prägung.“

Unzählige Kerzen-Orte

Orte, an denen man sich dem Gefühl der Erhellung hingeben kann, gibt es unzählige: Den Rekord am Kerzenanzünden hält hierzulande wohl der Kölner Dom. In der Kathedrale am Rhein wurden vor der Corona-Zeit jährlich rund zwei Millionen Kerzen entzündet. Dass die Zahlen nach dem Ende der Corona-Zeit „wieder stetig ansteigen“, berichtet auch Bruder Bernd aus Liebfrauen. Dort bringen täglich rund 1.000 Menschen ein Lichtlein zum Brennen. Im österreichischen Feldkirch beobachtet Bruder Karl Martin Gort, Leiter der dortigen Kapuzinergemeinschaft: „Das Bedürfnis der Menschen, Kerzen anzuzünden, ist gewaltig und zeitlos ungebrochen.“ Für ihn ist das Kerzenanzünden das „Herstellen einer Verbindung zu Gott“.

Letztlich muss es aber gar kein „Hot-Spot“ des Kerzenanzündens sein, um sich durch diese Geste zu zentrieren und seine Wünsche zu formulieren. In jeder Kirche gibt es einen Platz, der für das Kerzenanzünden vorgesehen ist. Und manchmal bringt dieser Drang, eine Kerze zum Leuchten zu bringen, uns auch einem vorher unbeachteten Ort näher – etwa in der alten Wallfahrtskirche Maria Ramersdorf in München, an der man meist  auf dem Weg zur Autobahn achtlos vorbeifährt. 

Hoffnung

„Wer bittet, dem wird gegeben“

Das Versprechen aus dem Matthäus-Evangelium st eine Motivation des Kerzenanzündens. 

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