Die Kraft der Knospen
Johannisbeere gegen Husten und Schnupfen, Silberlinde bei Stress und Schlafstörungen: Haben Pflanzenknospen besondere Heilkräfte? Wir spüren den Geheimnissen der Gemmotherapie nach. Wie sieht die Knospe eines Baumes oder Strauches eigentlich aus der Nähe aus? Sie ist ein kleines Wunderwerk! Ob glänzend, leicht klebrig oder flaumig behaart – immer steckt sie voller Lebenskraft und voller Versprechen auf den nahenden Frühling. Sie wirkt prall, frisch und steht unter Spannung, wie kurz vor einer Explosion. Schon bald wird sie sich öffnen und neue Blätter oder Blüten entfalten. Pflanzliche Vitalkräfte für die Gesundheit Gemmotherapie macht sich diese pflanzlichen Vitalkräfte zu Nutze. Der Begriff geht auf das lateinische Wort „gemma“ zurück, was „Knospe“ bedeutet. Als Therapierichtung gehört die Gemmotherapie zur Pflanzenheilkunde. Die verwendeten Arzneien entstehen aus frischen Pflanzenknospen, -sprossen und -triebspitzen, zumeist von Bäumen und Sträuchern. Das Knospengewebe – zum Zeitpunkt der Ernte im Stadium der Vermehrung befindlich – soll besonders reich an pflanzlichen Wachstumsfaktoren und Nährstoffen wie Aminosäuren, Vitaminen und Proteinen sein. Befürworter der Gemmotherapie glauben, dass sich durch die Knospenpräparate die körpereigenen Selbstheilungskräfte stimulieren lassen. Außerdem soll Gemmotherapie bei der Entgiftung helfen, das Immunsystem, die Atemwege, Magen und Darm sowie die Geweberegeneration unterstützen. Kritiker bemängeln, die Wirksamkeit von Gemmotherapie sei nicht ausreichend durch Studien belegt – ein Vorwurf, mit dem sich viele Disziplinen der Natur- und Erfahrungsheilkunde konfrontiert sehen. Wachsendes Interesse in ganz Europa Der Brüsseler Naturheilkundler Dr. Pol Henry (1918 bis 1988) entwickelte die „Knospenmedizin“ etwa ab den 1960er-Jahren mit ersten intensiven Forschungsarbeiten. Er hatte zuvor Medizin an den Universitäten Brüssel und Gent studiert und an der Universität zu Leuven promoviert. Durch zahlreiche Untersuchungen gelang ihm der Nachweis, dass teilungsaktives, embryonalpflanzliches Gewebe in der Lage ist, angegriffene menschliche Zellen zu regenerieren und Heilungsprozesse einzuleiten. Seit der Aufnahme von Henrys Methodik ins Europäische Arzneibuch (Pharmacopoeia Europaea) im Jahr 2011 wächst das Interesse an der Gemmotherapie in ganz Mitteleuropa. Pharmazeutisches Herstellverfahren Für die Herstellung gemmotherapeutischer Arzneimittel kommt ein spezielles Mazerationsverfahren zum Einsatz: Nach biologischem Anbau und Ernte zum passenden Zeitpunkt – wenn im Frühjahr die Wirkstoffkonzentration der Knospen besonders hoch ist – wird das Pflanzenmaterial mit einer Mischung aus Wasser, Alkohol und Glyzerin angesetzt. Nach festgelegten Ruhezeiten, die variieren können, wird der Auszug filtriert und für das fertige Arzneimittel im Verhältnis 1:9 verdünnt. Gemmopräparate kommen meist als Sprühlösungen in den Handel. Die Mundschleimhaut nimmt die Wirkstoffe besonders gut auf. QC71E05 Wichtige Gemmopräparate Schwarze Johannisbeere (Ribes nigrum): entzündungshemmend und abwehrstärkend, außerdem antiallergisch – unter anderem bei Erkältungen mit Husten, Schnupfen und Halsschmerzen sowie bei Allergien wie Heuschnupfen. Hängebirke (Betula pendula): entwicklungsfördernd, entspannend und rhythmisierend – etwa bei Wachstumsschmerzen, Schulkopfschmerzen, ADHS und Konzentrationsschwäche. Heckenrose (Rosa canina): immunstärkend und antiviral – hilfreich bei Infektanfälligkeit und Erkältungen, bei wiederkehrenden Entzündungen im HNO-Bereich, aber auch bei Kopfschmerzen und Migräne. Wacholder (Juniperus communis): entgiftend und ausleitend – stärkt Leber und Niere, beruhigt das Verdauungssystem. Feige (Ficus carica): angstlösend, antidepressiv und beruhigend – bei Unruhe, Angst, Depressionen und Stress. Brombeere (Rubus fruticosus): anregend für den Knochenaufbau und regenerierend für das Lungengewebe – bei Osteoporose und Arthrose, bei chronischer Bronchitis und Asthma. Edelkastanie (Castanea sativa): entstauend – unterstützt das Lymph- und Venensystem bei Ödemen, müden Beinen und Krampfadern. Himbeere (Rubus idaeus): krampflösend, entspannend, schmerzstillend – hilfreich bei Frauenbeschwerden wie schmerzhafter Menstruation, PMS und in den Wechseljahren. Silberlinde (Tilia tomentosa): beruhigend, angstlösend und nervenstärkend – bei Ein- und Durchschlafstörungen, Stress, Nervosität und innerer Unruhe.
Elisabeth Menzel studierte Medien- und Kommunikationswirtschaft in Ravensburg. Ihr Volontariat und erste Jahre als Redakteurin verbrachte sie beim Südwestrundfunk (SWR). Es folgten Stationen als Print-Redakteurin und Pressesprecherin. Inzwischen arbeitet sie als freie Journalistin und schreibt am liebsten über gesunde Ernährung, Umweltschutz, Nachhaltigkeit und biologische Landwirtschaft.
Buch-Tipp
Die Heilkraft der Pflanzenknospen Gemmotherapie entdecken und anwenden Cornelia Stern Trias ISBN 978-3-8304-8207-9 96 Seiten, 14,99 Euro ZUM WEITERLESEN www.gemmo.de