Gemeinschaft leben: Die wirkungsvollste Strategie für Gesundheit und Lebensglück ist der Aufbau und die Pflege von Beziehungen. Allerdings genügen dafür nicht möglichst viele Freunde auf Facebook oder Twitter. Beziehungen wollen im realen Leben gepflegt werden.

Hunderte von wissenschaftlichen Studien zum Thema Lebenszufriedenheit hat der amerikanische Sozialwissenschaftler und Psychologe David Niven ausgewertet, um „Die 100 Geheimnisse glücklicher Menschen“ für sein gleichnamiges Buch zu entschlüsseln. Der Aufbau und die Pflege von Beziehungen ist dabei eine der wirkungsvollsten Strategien. Die Wissenschaftler Z. Magan, M. Birebaum und D. Perey kommen zu ähnlichen Ergebnissen: Danach haben Menschen, die sich anderen Menschen nahe fühlen, eine viermal größere Chance mit sich im Einklang zu sein. Auch interessant: Mehr als zwei Drittel des persönlichen Glücks hängen von der Anzahl der Freunde, der Nähe zu Freunden und Familie sowie von den Beziehungen zu Arbeitskollegen sowie Nachbarn ab. Das fanden die Amerikaner C. Murray und M.J. Peacock in ihren Forschungen heraus. Die Freunde müssen dabei aber schon aus Fleisch und Blut sein; Online-Freunde bringen nichts fürs Wohlbefinden. Eine im Jahr 2013 veröffentlichte Studie kanadischer Forscher kommt zu dem Schluss: Für das persönliche Wohlbefinden eines Menschen spielt die Größe seines Netzwerkes in den Online-Medien keine Rolle. Wohl aber die Anzahl der Freunde im realen Leben: Sie ist positiv korreliert mit dem subjektiven Wohlbefinden. Wenn sich die Anzahl der Freunde im realen Leben verdoppeln, bringt das fürs Wohlbefinden so viel, als ob das Gehalt um 50 Prozent steigen würde.

Geld schadet den Beziehungen

Es ist paradox: Gerade in den Ländern, in denen das Bruttoinlandsprodukt stetig steigt, nimmt die Lebenszufriedenheit immer mehr ab. Man bezeichnet dieses Phänomen auch als Easterlin-Paradox, nach seinem Entdecker Richard Easterlin, einem Wirtschafts- wissenschaftler an der University of Southern California in Los Angeles. Der Psychologe und Wissenschaftsredakteur Bas Kast beschäftigt sich in seinem Buch „Ich weiß nicht, was ich wollen soll“, mit diesem Phänomen und schreibt: „Das Wohlstandsparadox wird noch paradoxer durch die Beobachtung, dass offenbar ausgerechnet wir privilegierten Menschen in den reichen Nationen mit psychischen Problemen zu kämpfen haben.“ Forscher der Weltgesundheitsorganisation WHO haben kürzlich die Häufigkeit von 18 psychischen Störungen in sieben Entwicklungsländern und sieben der wohlhabendsten Nationen der Welt ermittelt und dabei herausgefunden: Die Menschen in den reichen Ländern litten häufiger unter psychischen Störungen. Der Wissenschaftsredakteur Bas Kas vermutet, dass Wohlstand auf Kosten intimer Beziehungen geht. Nach seiner Analyse führen Geld und Reichtum tendenziell zur Auflösung alter, traditioneller Gemeinschaften, enger Familienbande und verlässlicher Freundschaften und damit zu Einsamkeit und Isolation. „In unserer Wohlstandsgesellschaft haben wir fast alles im Überfluss, nur eins nicht – zwischenmenschliche Nähe“, formuliert er überspitzt.

Online-Medien – Strategie gegen die Einsamkeit?

Als eine Strategie gegen die Einsamkeit interpretiert die klinische Psychologin Sherry Turkle die exzessive Nutzung der sozialen Medien in der heutigen Zeit. In ihrem Buch „Verloren unter 100 Freunden“ beschreibt sie, wie das hemmungslose Abtauchen in Blogs, Chats oder Kontaktforen das Leben junger Menschen verändert: Sie schicken lieber eine SMS als miteinander zu sprechen. Auch in Deutschland werden die sozialen Medien intensiv genutzt und ersetzen zunehmend persönliche Gespräche. „Wir sind einsam, aber wir fürchten uns vor Nähe“, analysiert Sherry Turkle den Siegeszug sozialer Medien. Denn das Netz bietet „Kontakt ohne Intimität, Gemeinschaft ohne Risiko, Nähe mit ausreichendem Sicherheitsabstand.“ Computergestützte Verbindungen suggerieren uns, unter Freunden zu sein, ohne die Anforderung einer Freundschaft erfüllen zu müssen. „Wenn ich mir anhöre, was sich hinter diesem Umbruch verbirgt, höre ich bei vielen Menschen die Erschöpfung von der Schwierigkeit des Zusammenlebens mit anderen heraus. Um unseren menschlichen Schwachstellen auszuweichen, wenden wir uns lieber dem Roboter zu“, so schreibt die Psychologin. Dinge, die in „Echtzeit“ geschehen, kosten immer mehr Menschen zu viel Zeit. „Die Bande, die wir im Internet knüpfen, sind letztlich nicht die Bande, die uns aneinander binden“, so schreibt Sherry Turkle. „Denn eine Gemeinschaft zeichnet sich durch physische Nähe, gemeinsame Interessen, echte Konsequenzen und gemeinsame Verantwortung aus.“ Dabei entwickeln auch schwache Bande, sofern sie in der physischen Wirklichkeit stattfinden, eine erstaunliche Kraft. Das zeigt eine Studie aus dem Jahr 2014. Die Forscher beschreiben darin beispielsweise, dass sich Studenten an den Tagen, an denen sie mehr Kommilitonen als üblich trafen, glücklicher fühlten. Auch der Austausch mit Nebendarstellern unseres sozialen Netzwerks wirkt sich positiv auf unser Wohlbefinden aus. Es macht also einen Unterschied, sich von einer freundlichen Verkäuferin beraten zu lassen, als anonym im Internet zu bestellen.

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Andrea Tichy
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Quelle Foto: Fotalia, bernardbodo