Bewegung und Spiritualität

Was unterscheidet das achtsame Bewegen vom sportlichen Wandern? Wie bereichern spirituelle Impulse auf der Wegstrecke den gesamten Lebensweg ? Geht das besser alleine oder in einer Gruppe?

Acht Frauen, die sich vorher nicht kannten, kommen zu einer spirituellen Wanderung zusammen. Den Alltag, das eigene Umfeld hinter sich lassen, den Rucksack mit dem schnüren, was wirklich wichtig ist, sich in den Zug zu setzen, am Treffpunkt auf die zusammengewürfelte Gruppe zu treffen, das Abenteuer beginnt.

SICH AUF NEUES TERRAIN WAGEN

Unser Ausgangspunkt ist Pegnitz und der Radius der mehrtägigen Tour durch einen kleinen Teil der frän- kischen Schweiz erscheint mir zunächst recht klein. Das Weitwandern Pilgern ist mir nicht neu, neu ist aber – und nicht nur für mich – dabei in der Gruppe, von einer Theologin geführt zu werden. Wird Dir das nicht zu kirchenlastig? Und warum fährt man von Oberbayern denn extra dahin zum Wandern? Ist dafür gerade überhaupt Zeit? Die Skeptikerin in mir bringt mich nicht von meiner Intuition ab, dass diese spirituelle Wanderung jetzt genau das ist, was ich brauche. Und wir alle, die wir uns auf dieses Erlebnis einlassen, werden belohnt werden, mit beeindruckenden Felsformationen, stillen Wegen, zauberhaften Wäldern und Wiesen, geheimnisumwobenen Burgen, erholsamen Pausenplätzchen auf versteckten Lichtungen und gemütlichen Dörfern und zahlreichen wertvollen spirituellen Impulsen.

Diese 15 km pro Tag fühlen sich so viel länger an als meine doppelte Jogging-Strecke. Während für andere aus der Gruppe die Kilometer-Zahl die Challenge darstellt, spüre ich meine persönliche Challenge, bei jedem spirituellen Impuls meine „Kondition“ in spiritueller Achtsamkeit zu steigern, Impulse, die von außen kommen, die mich im Innersten bereichern werden. Dabei trägt mich die Gruppe genauso, als wenn das Knie schmerzt, das Getränk ausgeht oder eine Blase am Fuß gelaufen ist.

Kaum sind wir einige 100 m vom Start-Bahnhof entfernt in der Vorstellungsrunde auf der Wiese versammelt, bricht es aus einer Teilnehmerin heraus, was sie mit an Sorgen und Gedanken auf diese Pilgerstrecke mitnimmt. Ihre schonungslose Offenheit geht allen ans Herz und öffnet die Herzen aller. Alles Oberflächliche fällt ab: Da ist das Gefühl: Hier kannst Du vertrauen, hier kannst Du loslassen. Wie von selbst ergeben sich immer neue bereichernde Gesprächskonstellationen auf dem Weg – und es finden sich gerade auch in der Individualität jeder einzelnen die Berührungspunkte – Themen in Familie, Beruf, Gesundheit und Lebenssinn – „Genau mit dieser Gruppe wollte ich pilgern“, eine Teilnehmerin wird mir am Ende aus dem Herzen sprechen. Die gegenseitige Rücksichtnahme in der Gruppe fühlt sich nach Geborgenheit an, die anderen annehmen, so wie sie sind – das bedeutet auch, sich selbst besser aushalten zu können – eine weitere Lektion fürs Leben.

An diesem Heilkraut wäre ich vorbeigegangen, auf diesen Gedanken wäre ich nicht gekommen, dieses Gedicht hätte ich nie kennengelernt, dieses architektonische Element übersehen, diesen Moment des Innehaltens nicht erlebt, und die Stärke unserer Pilgerwanderführerin zeigt sich genau in ihrer Intuition, wie sie – mit dem Wissen über Gegend und dem immer genau passenden Gedankenimpuls – Wegführung und Tagesplanung auf unsere Bedürfnisse abstimmt. Und wenn wir auf den vergleichsweise wenig ausgetretenen Pfaden auf Bauern am Wegesrand oder Einheimische treffen, so haben die Kontakte ebenso wertvolle Substanz.

DANKBARKEIT IM ANGESICHT DER SCHÖPFUNG

Auf dem Weg zu sein, Unerwartetes zuzulassen, zu vertrauen – diese innere Haltung hilft ihr auch im Alltag daheim. Kurz vor Mittag treffen wir auf eine frei zugängliche Streuobstwiese, ein Schlaraffenland für Liebhaber alter Apfelsorten. Die saftigen Früchte berei- chern unsere Brotzeit, unter dem von der Sonne beschienen Blattwerk der Bäume findet jede von uns ein Plätzchen zum Innehalten. So fühlt sich das Paradies auf Erden an voller Geschenke des Himmels. Solche Erlebnisse schenken auch die Zuversicht. Alles kommt zum richtigen Zeitpunkt, wie es kommen soll. Eine höhere Kraft schützt uns, versorgt uns, wenn wir ins Vertrauen gehen und wei- ter gehen auf unserem Weg, der uns immer wieder überraschen wird. Im sonnendurchfluteten Buchenwald halten wir inne und bekommen – wie an vielen anderen Stellen der Pilgerwanderung einen „Impuls“ von unserem spirituellen Guide. Als wir uns der mächtigen Basilica in Gössweinstein nähern, fühlen wir uns dann wie eine kleine Prozession der Dankbarkeit. In allen Religionen verwurzelt ist das Ritual, sich zu Fuß, also wandernd kraftvollen heiligen Orten zu nähern. Die Natur genauso wie von Menschen geschaffene Kraftplätze verbinden uns mit der Ewigkeit, schenken uns Vertrauen in das Gute, dem Leben dienende. Die körperliche Bewegung hat nachweislich heilsamen Einfluss auf unsere Seele. Oder – wie es Elizabeth von Arnim formulierte – für diese Art des Wanderns: Wandern ist die vollkommenste Art der Fortbewegung, wenn man das wahre Leben entdecken will. Es ist der Weg in die Freiheit. i QC71L03

 

BUCH-TIPP:

DAS GEHEIMNISDES PILGERNS Anleitung zum christlichen Unterwegssein Miriam Penkhues, Verlag Echter, 1. Auflage 2023
ISBN 978-3-429-05852-4 152 Seiten inklusive heraus- nehmbarem Begleitheft 24,90 Euro

Gott ist immer im Gepäck – Die Frankfurterin Miriam Penkhues hat ein Buch übers Pilgern geschrieben. Wie geht „richtiges Pilgern“? Was unterscheidet Pilgern vom Wandern? Wie bete ich auf dem Weg? Wie gehe ich mit meinen Grenzen um? Mit dieser Anleitung zum christlichen Unterwegssein antworten zwei Pilger- spezialistinnen auf viele Fragen, die sich Pilger und Pilgerinnen stellen.

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