Die wohl nachhaltigste und intensivste Art des Reisens ist das Pilgern, etwa auf dem Franziskusweg von Florenz in Richtung Rom. Wer eine Ahnung davon bekommen möchte, woher die Liebe zur Natur bei Franziskus rührt, der sollte sich auf diesen Weg machen. Von Andrea Tichy

37L02-PilgernEs dämmert, es ist etwa 4 Uhr morgens und ich werde geweckt von einem überschwänglichen Vogel-Konzert. Solch ein „Singen, Musizieren, Pfeifen, Zwitschern und Tirilieren“ habe ich mein Lebtag noch nie gehört, obwohl mir seit meinen Kindertagen das Lied „Alle Vögel sind schon da“ derartige Frühlings-Freuden verspricht. Ob es sich bei der Vogelschar um Amsel, Drossel, Fink oder Star handelt, vermag ich auch nicht zu beurteilen, zu unterentwickelt ist meine Fähigkeit, Vogelstimmen zu unterscheiden.
Ich räkle mich in meinem Bett im Hotel „Bosco Verde“ in dem ausgestorbenen Touristenort Badia Prataglia. Ich lasse die vergangenen vier Tage Revue passieren: Mit dem Nachtzug waren meine Reisegefährtin Martina und ich nach Florenz angereist. Ausgangspunkt unserer Tour war Santa Croce, die größte franziskanische Kirche weltweit, bei der wir allerdings erst mal vor verschlossenen Türen standen. Sollte es uns nicht vergönnt sein, die wunderbaren Fresken von Giotto zu sehen? Am Namenstag des heiligen Antonius von Padua war diese Kirche für Besucher geschlossen, allerdings öffnete uns der Pilgerausweis die Türen zum Gottesdienst um 10 Uhr. Ganz vorne in den Kirchbänken durften wir dem hingebungsvollen Gesang einer Florentinerin lauschen und konnten mit Muße die berühmten Fresken betrachten. Auch einen Stempel und viele gute Wünsche vonseiten der Pfarrer und der Sängerin bekamen wir mit auf den Weg.

Ein Pfad voller Prüfungen
Am Abend unseres ersten Wandertages erwartete uns in Pontassieve ein kulinarischer Höhepunkt: Abendessen im Slow Food-Restaurant „Toscani da Sempre“, das wir zufälligerweise entdeckt hatten. „15 Minuten vom Zentrum von Florenz“ entfernt lese ich später auf seiner Internet-Seite. Wir brauchten dafür von Florenz aus mehr als sechs Stunden, mit unseren Rucksäcken auf dem Buckel und der Schwüle in den Knochen, die uns mehr als erwartet zu schaffen machte. Dass der Wirt Stefano Frassineti eine besondere Autorität in Sachen Genießen ist, erkannten wir gleich auf den ersten Blick und wurden nicht enttäuscht: Der überbackene Schafs-Frischkäse mit Pilzen überzeugte ebenso wie das Bier einer regionalen Brauerei. Gestärkt von diesem unerwarteten Hochgenuss mit regionalen Produkten waren wir über Consuma und Stia hierher gewandert und hatten an jedem unserer Wandertage überraschende Begegnungen, Erlebnisse und Herausforderungen: Ein Gewitter mit Starkregen im Wald (dem wir mit unseren Regenschirmen trotzen konnten). Walderdbeeren, duftend und in Fülle, ballspielende Nonnen, die sich mit diesem einfachen Vergnügen ihre Mittagszeit versüßten.
37L01-Heiliger-Wald„Was, Ihr wollt bis La Verna gehen?“ fragen uns die Wirte vom Hotel Bosco Verde ein wenig mitleidig. Das Zufußgehen steht in Italien nicht besonders hoch im Kurs. Das merkt man an den wenigen Wanderern, denen wir auf dem Franziskusweg begegnen (auf der gesamten ersten einwöchigen Etappe von Florenz nach Sansepolcro sind es insgesamt neun). Man merkt es aber auch an den nachlässigen Markierungen, weswegen wir uns auch das eine oder andere Mal verirrten. Der Franziskusweg ist auch für erfahrene Wanderer eine Herausforderung der besonderen Art: die Wege sind steil, steinig, nach Regen glitschig und oft unwegsam (in dem von uns benutzten Führer wird sogar geraten, eine Gartenschere in den Rucksack zu packen, um die Pfade von stacheligen Rosen-, Brombeer- oder Wacholder-Büschen fürs Weitergehen frei zu schneiden). Auch kann es vorkommen, dass sich dem Wanderer wilde Hunde interessiert nähern. (Mit einem kleinen Gerät, das Töne in sehr hohen Frequenzen aussendet, lassen sich Hunde auf sicherem Abstand halten. Das funktioniert tatsächlich, wir hatten Gelegenheit, das auszuprobieren.)

Belohnungen durch intensive Erlebnisse
Für alle diese  Prüfungen wird der Wanderer jedoch durch unerwartete Highlights belohnt. Auf der ersten Etappe gehört dazu unbedingt La Verna. Für die franziskanische Spiritualität ist dies ein besonderer Ort, denn hierher zog sich der Heilige vor rund 800 Jahren immer wieder zurück. Viele Geschichten ranken sich um La Verna, etwa dass sich Vögel versammelt haben sollen, um Franziskus bei seiner ersten Ankunft durch Gesang und Flügelschlagen zu begrüßen. Auch heute noch ist die Annäherung an La Verna ein außergewöhnliches Erlebnis. Etwa eine Stunde vor der Klosteranlage geht es durch den „heiligen Wald“ voller Eichen, deren Stämme auf besondere Weise bemoost sind. Dazwischen finden sich riesige Steine, die ebenfalls alle ein grünes Moos-Kleid tragen und Höhlen, die zu Spekulationen anregen. Obwohl schon seit acht Stunden auf den Beinen, wird man in diesem Wald nicht müde, zu staunen und am Ende folgt fast Genick-Starre, als auf einem mächtigen Felsen das Kloster von La Verna auftaucht. Es gibt viel zu sehen in dieser Anlage – die Kapelle der Vögel, das sogenannte „Bett des Franziskus“ (eine feuchte und kalte Grotte, in der der Heilige angeblich schlief) oder die Kapelle der heiligen Wundmale, an dem Ort, wo Franziskus im Jahr 1224 die Wundmale Christi empfing.
37L02-Zielort-San-Sepolcro-2In La Verna treffen wir auch auf Monika, eine Stuttgarterin, die zu meiner großen Bewunderung alleine auf dem Weg nach Assisi ist. Sie erzählt uns in solch glühenden Farben von der Gastfreundschaft La Vernas, dass wir spontan entscheiden, unser vorgebuchtes Zimmer in der nahegelegenen Ortschaft fahren zu lassen und die Nacht hier an diesem heiligen Ort zu verbringen. Es gibt tatsächlich für jede von uns ein Einzelzimmer mit Dusche und wir schaffen es, rechtzeitig um halb acht zum gemeinsamen Abendessen zu erscheinen: Im Speisesaal herrscht anregendes Gemurmel und wir nehmen bei Monika Platz an einem Dreiertisch, wo bereits eine Flasche Rotwein auf uns wartet. Es gibt köstliche Gemüse-Suppe, Artischocken, Spargel und Hähnchen und Vegetarierin Martina freut sich über die Qualität des Gemüses und die Möglichkeit, sich von den Servie-rern nur das vorlegen zu lassen, was man auch wirklich essen möchte.

Ein Kurs im Wundern
37L02-Zielort-San-SepolcroSpäter lernen wir auch noch Sepp aus Bad Tölz kennen, der von seiner Haustür aus in Richtung Rom gestartet ist und einen Holländer, der mit dem gleichen Ziel von der Nähe von Amsterdam startete. Diese beiden Langstrecken-Wanderer werden wir später immer mal wieder treffen und an unserem letzten Abend in Sansepolcro versammelt sich zufällig im Restaurant an der Hauptstraße die Mehrheit der Personen, die wir beim Wandern trafen. Wir erzählen uns Anekdoten und Erlebnisse von früheren Touren und schnell wird klar: Das Pilgern gehört zu den intensivsten Möglichkeiten zu reisen. Wunder eingeschlossen: Denn dass wir in einem Geflecht von möglichen Wegen an einer Wegkreuzung auf die anderen Pilger aus La Verna stoßen, ist ebenso unwahrscheinlich wie wunderbar. Für Martina und mich steht jedenfalls fest: Nächstes Jahr werden wir weiterpilgern. Dann von Sansepolcro nach Assisi.

Fotos: Andrea Tichy

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Laudato si – Die Umwelt-Enzyklika des Papstes
„Laudato si“ – der berühmte Lobpreis des Sonnengesangs von Franz von Assisi prägt den Titel der Umwelt-Enzyklika des Papstes. Darin geht es um soziale, ökologische und politische Zusammenhänge, die alle Menschen weltweit betreffen. Wohl selten war ein päpstliches Schreiben so aktuell und brisant.
Herder Verlag | 288 Seiten
ISBN-13: 978-3451350009
Preis: 14,99 Euro

Reiseliteratur
Es gibt mehrere Pilgerführer für den Franziskusweg und sie unterscheiden sich in den Routen, die sie beschreiben. Nach unserer Einschätzung ist der Franziskusweg Pilgerführer von Simone und Anton Ochsenkühn besonders empfehlenswert. Seine detailreichen Wegbeschreibungen helfen Pilgern, sicher auf ihren Pfaden zu wandern und am Ende zum Ziel zu kommen. Außerdem enthält jede Etappe Empfehlungen zu Unterkünften.
Franziskusweg Pilgerführer:
Unterwegs mit dem heiligen Franziskus von Florenz über Assisi nach Rom
Autoren: Simone und Anton Ochsenkühn
amac-buch Verlag | 256 Seiten
ISBN-13: 978-3954310203
Preis: 19,90 Euro

Pilgerausweis
Der Pilgerausweis öffnet verschlossene Kirchentüren und die Herzen von Menschen. Wir haben ihn bei der Buchung des ersten Abschnitts des Franziskuswegs von der Agentur pura bekommen, aber er lässt sich auch anders beschaffen, etwa beim Verein
„Compagnia del Cammino”.
Die Vorlage der Urkunde berechtigt den Pilger dazu, in den Pilgerherbergen zu übernachten und in den Genuss von Sonderpreisen zu gelangen.
www.camminodiassisi.it/DE/modulo-richiesta-credenziale.html

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