Zum Tod von Wolf Schneider

Am 11.11.2022 ist der große Journalist  Wolf Schneider im Alter von 97 Jahren gestorben. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir diese Zeilen von Quell-Chefredakteurin Andrea Tichy, die sie ihrem Lehrer anlässlich seines 90. Geburtstags in einer Festschrift gewidmet hat.

Genervt von Bio-Würstchen

Die Bio-Bratwurst war im Jahr 1988 eine Innovation der sich entwickelnden Öko-Szene. Und so ermutigte mich Wolf Schneider, diese Entdeckung zum Thema meiner Reportage zu machen. Er stellte sogar in Aussicht, den Beitrag in der Morgenpost unterzubringen. Mit Leidenschaft machte ich mich an die Recherche und schrieb einen begeisterten Text über einen Hamburger Gastronomen, der sich mit den ökologisch korrekten Bratwürsten profilierte. Nur leider schmeckte mein Beitrag Wolf Schneider nicht – er vermisste am Ende den Biss in eine konventionelle Bratwurst. An einen Abdruck in der Zeitung war nun nicht mehr zu denken.

Tief frustriert von meinem Unvermögen zweifelte ich daran, das Zeug zur Journalistin zu haben. Neue Hoffnung schenkte mir der damalige Zeit-Reporter Cordt Schnibben. Er berichtete in einem Vortrag an der Journalistenschule von seinen breit angelegten Recherchen als Voraussetzung für einen spannenden roten Faden. Die von ihm zitierten 98 Prozent Transpiration und 2 Prozent Inspiration hatte – wie ich später herausfand – auch Dichterfürst Goethe schon am eigenen Leib erfahren.Bei meiner ersten Anstellung beim Wirtschaftsmagazin Impulse konnte ich mich auf dem unbesetzten Terrain der Umwelt-Themen recherchemäßig austoben und dem Trend der Bio-Bratwurst weiter nachspüren. Mit der Anzahl der Beiträge fiel mir das Formulieren zunehmend leichter.

Heute denke ich gelegentlich voller Hochachtung an Wolf Schneider zurück – dann nämlich, wenn ich selbst Texte von Volontären redigiere. Jede seiner Anmerkungen in den berühmten Farben rot, gelb, blau oder grün zeugte vom unbedingten Willen, uns schreiberisch auf die richtige Spur zu bringen. Dem Journalismus bin ich jedenfalls treu geblieben und auch mit dem gesellschaftlichen Phänomen der Bio-Bratwurst habe ich bis heute zu tun. Nicht nur weil die Morgenpost mich nicht drucken sollte, verlege ich meine eigene bio-orientierte Zeitung.