Wenn natürliche Stoffe reizen
Hatschi! Nach der Saison ist vor der Saison – Heuschnupfengeplagte wissen das. Herbst und Winter sind deshalb die besten Zeiten, um grundsätzlich etwas gegen Allergien zu unter- nehmen. Doch warum (über)- reagieren wir Menschen eigentlich auf Pflanzenpollen und andere Stoffe? Und: Welche Hilfe gibt es? Wir sprachen mit dem Arzt Dr. med. Joachim Mutter. Er führt eine Praxis für Umwelt- und Ursachenmedizin in Konstanz.
Seine Warteliste habe er aufgehört zu führen, als die Zahl auf über 1.000 kletterte. Dr. med. Joachim Mutter kann all die hilfesuchenden Patienten gar nicht mehr bedienen. Welche Erkrankungen ihm in seiner Praxis am häufigsten begegnen? „Vor allem Heuschnupfen, allergisches Asthma, Neurodermitis, Nahrungsmittel- und Kontaktallergien, aber auch Empfindlichkeiten gegenüber Nickel, Quecksilber und Aluminium“, berichtet der Mediziner. „Manche Menschen können nicht einmal mehr Zeitung lesen – wegen der Druckerschwärze und ihrer Ausdünstungen. Wir sprechen dann von MCS – Multipler Chemika- liensensibilität.“
ABGRENZUNG: ALLERGIE ODER INTOLERANZ?
Eine krankhafte Überreaktion des Immun- systems auf im Grunde harmlose Umweltstoffe bezeichnet die Medizin als Allergie. Auslöser sind Allergene bzw. Antigene. Zu den häufigsten Symptomen zählen Allergische Rhinitis (Heu- schnupfen), Bindehautentzündung, Hustenreiz und juckende Hautausschläge. Auch Reaktionen im Verdauungssystem kommen vor. Verwandt mit der Allergie sind Autoimmunreaktionen bzw. Into- leranzen, die sich allerdings gegen Bestandteile des eigenen Körpers richten. „Manche Krankheits- zeichen treten erst nach 24 Stunden auf“, erläu- tert Joachim Mutter. „Oft sind diese Symptome diffus – etwa depressive Verstimmungen, Müdig- keit, Gelenkschmerzen, Migräne und Blutdruck- probleme. Die Patienten wissen dann gar nicht recht, was mit ihnen los ist.“
WARUM WIR HISTAMIN HEUTE SCHLECHTER ABBAUEN KÖNNEN
Bei jeder Form des allergischen Geschehens spielt der Botenstoff Histamin eine Rolle. „Histamin ist aber nicht unser Feind“, betont Joachim Mutter. „Wir brauchen den Botenstoff unter anderem für die Pro- duktion von Magensäure. Das Problem ist, dass wir in der heutigen Zeit Histamin schlechter abbauen können als noch vor 30 oder 40 Jahren. Ich sehe den Grund für diese Entwicklung in eklatanten Vital- stoffmängeln sowie in der Belastung durch Giftstof- fe und Strahlungen.“ In der Tat bestätigt das Robert- Koch-Institut: „Die Häufigkeit (Prävalenz) allergischer Erkrankungen hat seit den 1970er- Jahren in Ländern mit westlichem Lebensstil stark zugenommen. Im letzten Jahrzehnt hat sie sich auf hohem Niveau stabilisiert.“
URSACHENFORSCHUNG: VITALSTOFFMÄNGEL, GIFTSTOFFE UND STRAHLEN
Auf die Frage nach den Gründen weiß die Wissenschaft noch keine umfassend befriedigende Antwort. Doch es gibt vielversprechende Thesen. „Aus meiner Sicht ist ein vordringliches Problem der Mangel an Nährstoffen in modernen Lebensmitteln“, stellt Joachim Mutter fest. „80 bis 90 Prozent meiner Patienten mangelt es an Vitamin D, Selen, Jod, Mangan, Chrom, Bor und Q10. Diese Zustände entstehen, weil extensive Landwirtschaft die Böden auslaugt. Eigentlich klar, dass auf kranker Erde keine gesunden Pflanzen wachsen können.“
Ein zweiter Punkt ist für den Mediziner die Belastung durch Giftstoffe. Sie befinden sich in der Luft (Abgase, Verbrennungsrückstände), im Wasser (Rückstände von Arzneimitteln), im Boden (Dünger, Pestizide) – ja sogar im eigenen Körper (etwa Amal- gam aus alten Zahnfüllungen). Mutter konstatiert: „Wir Mensch sind inzwischen kleine Sondermülldeponien.“ Makaber, aber belegt: Feuerbestattun- gen in Krematorien setzen enorme Mengen an Quecksilber aus Amalgam-Füllungen frei, welche die Böden ringsum auf Jahrzehnte belasten. „Giftstoffe sorgen im Körper für oxidativen Stress, was wiederum noch mehr Vitalstoffe zur Kompensation verbraucht“, weiß Joachim Mutter. „Der Urmensch verspeiste gehaltvolle Wildnahrung und war weniger Giftstoffen ausgesetzt. Und obwohl sie heute in derselben Umwelt leben, gibt es unter Wildtieren weder Zivilisationskrankheiten noch Allergien. Beides haben nur Haustiere. Das macht doch nachdenklich, oder?“
Eine weitere Ursache für zunehmende Allergien ist für Joachim Mutter die Strahlung durch Mobilfunksender und drahtlose Netzwerke. Der Mediziner berichtet: „Das Stockholmer Karolinska Institut hat nachgewiesen, dass Mastzellen der Haut vermehrt Histamin ausschütten, wenn sie Mobilfunkstrahlen ausgesetzt werden.“ Zudem erhöhe Funkstrahlung den oxidativen Stress in der Zelle. Es entstünden DNA-Schäden. „Für die Reparatur dieser Schäden benötigt der Körper hohe Mengen an Vitalstoffen, die aber in unseren Nahrungsmitteln kaum noch zur Verfügung stehen“, bedauert Joachim Mutter. „Ein Teufelskreis.“
Dr. Mutters Tipps für Betroffene: Die Lage ist jedoch keinesfalls hoffnungslos. Allergiker können eine Menge für ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden tun. „Wer die Ursachen eines Übels kennt, kann die Umstände gezielt verändern“, ermuntert Joachim Mutter.
- Essen Sie biologische Lebensmittel – so viel Sie sich irgend leisten können. Ein Anteil von 70 Prozent Roh- bzw. Frischkost ist empfehlenswert.
- Verzehren Sie reichlich Wildkräuter als vitalstoffreiche Kraftnahrung.
- Reduzieren Sie tierisches Eiweiß und lassen Sie Milcheiweiß möglichst ganz weg.
- Verzichten Sie auf glutenhaltiges Getreide. Oft zeigt sich dadurch schon noch ein bis zwei Monaten eine deutliche Verbesserung.
- Reduzieren Sie Eier, Schweinefleisch und Kochsalz, da sie Allergien begünstigen.
- Meiden Sie Oxalsäure, wie sie zum Beispiel in Mangold, Tomaten und Kakao enthalten ist.
- Essen Sie histaminarm.
- Nutzen Sie Ihr Mobiltelefon und drahtlose Elektronik nur, wenn es unbedingt notwendig ist. Bevorzugen Sie kabelgebundene Anwendungen. Schützen Sie Ihren Schlafplatz vor Strahlung und Lichtverschmutzung.
- Essen Sie in der Winterzeit lokale Blütenpollen aus möglichst unbelasteten Wäldern. Das desensibilisiert für die kommende Heuschnupfenzeit.
- Gehen Sie regelmäßig raus in die Natur, bewegen Sie sich an der frischen Luft.
- Meiden Sie bei Nahrungsergänzungsmitteln ungünstige Zusatzstoffe wie Titan-Verbindungen.
- Nutzen Sie Kosmetik aus Stoffen, die Sie auch essen könnten. Meiden Sie aluminiumhaltige Deos, die mit Brustkrebs in Verbindung gebracht werden.
- Engagiere Sie sich in Gruppen, Verbänden und Organisationen für eine gesunde, giftfreie Umwelt.
DIE AUTORIN: Elisabeth Menzel studierte Medien- und Kommunikationswirtschaft in Ravensburg. Ihr Volontariat und erste Jahre als Redakteurin verbrachte sie beim Südwestrundfunk (SWR). Es folgten Stationen als Print-Redakteurin und Presse- sprecherin. Inzwischen arbeitet sie als freie Journalistin und schreibt am liebsten über gesunde Ernährung, Umweltschutz, Nachhaltigkeit und biologische Landwirtschaft.
EXPERTE: Dr. med. Joachim Mutter: Dr. med. Joachim Mutter (Jahrgang 1967) studierte Medizin in Freiburg. Seit 2009 führt er eine Arztpraxis für Integrative Medizin und Ursachenmedizin in Konstanz.
LASS DICH NICHT VERGIFTEN! Dr. med. Joachim Mutter Gräfe und Unzer Verlag GmbH, München 208 Seiten, 12,99 Euro