Was Düfte auslösen

Der menschliche Geruchssinn wurde lange Zeit unterschätzt. Erst in den letzten 20 Jahren hat sich das Bild gewandelt. Matthias Laska, ein Zoologieprofessor an der Universität im schwedischen Linköping, fand beispielsweise heraus, dass es fünf Düfte gibt, die der Mensch besser riechen kann als ein Hund. Besonders empfindlich sind Menschennasen auch gegenüber einem Bestandteil von Katzenurin. Teilweise kann ein einziges Molekül in einer Billiarde Luftmoleküle gerochen werden – das ist, als würde man ein Kilo Zucker im Bodensee auflösen, kräftig umrühren und könnte die Süße noch herausschmecken.

Ein besonderer Sinn

Der Geruchssinn gehört zu den ersten Sinnen, die sich bei den Lebewesen auf der Erde entwickelt haben. Schon vor Milliarden von Jahren gab es eine Duftkommunikation zwischen Einzellern. Die Nase selbst schläft nie. Sie arbeitet 24 Stunden am Tag und mit jedem Atemzug nehmen wir die in der Luft schwebenden Duftmoleküle auf. Auch wenn nur eine kleine Probe aus der Luft entnommen, in die Riechschleimhaut der Nase geblasen und dort analysiert wird, geschieht dies – unabhängig davon, ob wir wach sind oder schlafen. Es spielt auch keine Rolle, ob wir den Duft bewusst wahrnehmen oder nicht: Unser Gehirn wird durch die Duftinformation verändert und geprägt. Beim menschlichen Embryo ist der Geruchssinn schon von der 27. Schwangerschaftswoche an komplett ausgebildet. Der Embryo riecht nicht nur mit der Mutter mit, über den Geruchssinn nimmt er auch wahr, was die Mutter isst. Die Geruchs- und Nahrungspräferenzen werden damit schon im Mutterleib geprägt. Davon ist Prof. Hans Hatt, ein renommierter Geruchsforscher und Inhaber des Lehrstuhls für Zellphysiologie der Ruhr-Universität Bochum, überzeugt. Die Besonderheit des Geruchssinns liegt auch in der direkten Standleitung der Nase zu den Arealen im Gehirn, die für Emotion und Stimmung, Erinnerung und Gedächtnis zuständig sind. Wenn man einen Duft zum ersten Mal riecht, werden gleichzeitig alle weiteren Sinneseindrücke wie Bilder oder Töne abgespeichert, aber auch die momentane emotionale Situation, in der man sich befindet. Das erklärt auch, warum Düfte auch nach Jahrzehnten intensive Empfindungen in uns hervorrufen und längst vergessen geglaubte Erinnerungen wiederbeleben können. Dieses Phänomen ist auch als „Proust-Effekt“ bekannt. Denn in Marcel Prousts berühmtem Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ löst eine in Tee getunkte Madeleine beim Ich-Erzähler eine intensive Rückschau in die eigene Kindheit aus.  Ob etwas gut oder schlecht für uns riecht, hängt ausschließlich davon ab, in welcher Situation wir den Duft zum ersten Mal gerochen haben. „Jeder Mensch hat eigene Duftvorlieben“, sagt Prof. Hatt. „Die meisten sind durch eigene Erfahrungen geprägt oder anerzogen, etwa durch die Eltern“. Da das Dufterlebnis so individuell ist, gibt es weltweit auch keinen Duft, den jeder Mensch als angenehm empfindet oder nicht mag. Nicht einig sind sich die Wissenschaftler, wie viele Düfte die menschliche Nase mit ihren 350 Riechrezeptoren und rund 30 Millionen Riechzellen grundsätzlich erschnuppern kann. Während die einen Forscher davon ausgehen, dass die Menge der Gerüche, zwischen denen wir differenzieren können, nahezu unbegrenzt ist und bis zu einer Billion betragen kann, sind andere da etwas skeptischer.  Betrachtet man Düfte aus der kulturgeschichtlichen Perspektive, so galten aromatische Düfte von der Antike bis in die Neuzeit als wirksames Mittel gegen Krankheiten. Der römische Arzt Caelius Aurelianus empfahl beispielsweise im 3. Jahrhundert eine Mischung aus Rosenöl, Essig und einem Drüsensekret des Bibers gegen Epilepsie. Interessant ist auch die spirituelle Deutung von Düften. Wohlgerüche wurden und werden in vielen Religionen mit der Sphäre des Göttlichen und Heiligen verbunden. Große Wertschätzung erfuhr insbesondere das Harz des Weihrauchbaums. Beim Verbrennen konnte der Duft als Rauch zu den Überirdischen aufsteigen und umgekehrt kamen die Menschen den Göttern durch das Einatmen näher.   

Nicht nur die Nase riecht

Ziemlich spannend sind weitere Ergebnisse aus der jahrzehntelangen Forschung von Prof. Hatt. So reagieren menschliche Zellen auch außerhalb der Nase auf Düfte und selbst elementare Funktionen wie der Herzschlag lassen sich mit Düften regulieren. Vor gut zwanzig Jahren machte Hans Hatt Furore, als er ein Forschungsergebnis mit dem Titel: „Spermien können Maiglöckchen riechen“ veröffentlichte. Anschließend entdeckten er und seine Kollegen immer mehr Riechrezeptoren in menschlichen Organen, die man bis dahin nur aus der Nase kannte. Die Rezeptoren beeinflussen das Zellwachstum und durch die richtige Stimulation lässt sich das Zellwachstum anregen oder bremsen. So erhöht Sandelholz beispielsweise die Regeneration der Hautzellen und beschleunigt damit die Wundheilung, während Veilchenduft das Zellwachstum von Prostatazellen verlangsamen kann. Auch im Darm befinden sich Riechrezeptoren; sie reagieren auf bestimmte Duftmoleküle in der Nahrung und führen zur Freisetzung des Botenstoffs Serotonin, der die Verdauung aktiviert. Momentan befindet sich das Thema noch im Forschungsstadium und es wird noch Jahre dauern, bis die Forschungserkenntnisse in eine mögliche Theorie umgesetzt werden können. Doch Hanns Hatt prophezeit: „Für die Diagnose, aber auch für die Therapie von Krankheiten werden diese Riechrezeptoren in Zukunft eine große Rolle spielen.“

Abwechslung ist wichtig

Auch im Alltag kann man viel für seine Nase tun. Früher hatten die Menschen viele Dufterlebnisse. Unterschiedliche Sinneseindrücke in der Natur, im Wald und auf der Wiese, Feuer, gemeinschaftliche Rituale, Koch-Düfte, der Geruch von Tieren. Vieles davon ist verloren gegangen. Nach Ansicht des Duftexperten Uwe Manasse braucht unser Gehirn aber geruchliche Abwechslung. Es kann schon helfen, wenn man Gerüche bewusst wahrnimmt und sich Zeit nimmt, ein Buch zu riechen oder den Partner zu erschnuppern. Zuhause lohnt es sich, auf unterschiedliche Düfte zu achten, denn diese sorgen für unterschiedliche Atmosphären. Man kann beispielsweise verschiedene Blumen in die Wohnung stellen oder Kräutertöpfe oder echte ätherische Öle auf einer entsprechenden Unterlage. Wenn der Geruchssinn nachlässt, dann sollte die Nase richtig trainiert werden. Es ist ein natürlicher Vorgang, wenn etwa ab dem 60. Lebensjahr das Riechvermögen abnimmt. Bei den über 80 Jährigen hat fast jeder zweite seinen Geruchssinn praktisch vollständig eingebüßt. Leider führen aber auch Krankheiten zu Riechverlusten, wie sich derzeit an den Covid-19 Erkrankungen zeigt. Rund 80 Prozent der Covid-19 Patienten sind von Riechstörungen betroffen. Die Viren können die Riechzellen in der Nasenschleimhaut zerstören. Meist regenerieren sich die Zellen wieder schnell, aber bei einigen Menschen kann es zu längeren oder gar dauerhaften Störungen des Geruchsinns kommen. Ein internationales Team von 20 klinisch tätigen Riechforschern kam zu dem Ergebnis, dass es nur eine wirksame Methode bei Riechverlusten gibt: Ein Riechtraining (siehe Kasten). Auch bei den Senioren haben Studien gezeigt: Düfte regen offenbar die Hirntätigkeit an. Bereits nach drei Monaten fühlten sich die Teilnehmer von Riechtrainings um durchschnittlich sechs Jahre jünger und insgesamt wohler und aktiver. Es zahlt sich auf jeden Fall aus, seine Nase zu trainieren und auf sie zu achten.  QC60L01

Buch-Tipp

Das kleine Buch vom Riechen und Schmecken
Hans Hatt, Regine Dee 

Das Riechen bestimmt unser Leben weit mehr, als wir glauben. Unsere Nase entscheidet, was uns schmeckt, wen wir lieben oder wen wir einfach nicht riechen können. Die kleine Schule des Riechens und Schmeckens von Prof. Dr. Hans Hatt und Regine Dee weiß Antworten auf Fragen, wie: „Warum macht ein geschickt ausgewähltes Parfüm uns schlank und attraktiv?“ „Wie riecht die Heimat?“ „Und weshalb wird uns beim Schmecken heiß und kalt?“ Dieses Buch ist ein Quell des Wissens und spannend noch dazu.

Albrecht Knaus Verlag
ISBN-13: 978-3813504446
Preis: 16 Euro 224 Seiten 

Riechtraining für den Alltag: tägliches Üben fördert die Neubildung der Riechzellen

1. Vorbereiten: Wählen Sie drei bis vier intensiv riechende Duftstoffe aus. Empfehlenswert sind naturreine ätherische Öle wie Rosengeranie, Eukalyptus, Pfefferminze, Zitrone aber auch Zimt oder Nelke. Die Duftproben, die man auf Watte, Riechstreifen oder Vliesen gibt, kann man in Einmachgläser gut verschlossen aufbewahren. Man kann aber auch intensive Gewürze verwenden. 

2. Schnuppern: Zweimal täglich, einmal morgens, einmal abends, geht es nun ans Schnuppern, für 10 bis 15 Sekunden an jeder Probe. Konzentrieren Sie sich auf den Duft, hören Sie in sich hinein, was Sie wahrnehmen. Verbinden Sie den Duft mit einem Bild oder Wort, denn durch die Verknüpfung des Dufts mit Gedanken und Wörter kann sich das Gehirn den Geruch besser merken. Wenn man am Anfang den Duftstoff nicht wahrnehmen kann, einfach geduldig weiter trainieren. Verbessert sich nach einer gewissen Zeit der Geruchssinn, kann man zur nächsten Übungsstufe übergehen.

3. Immer Feiner: Im nächsten Schritt geht es darum, immer mehr und immer feinere Düfte in den „Schnupper-Parcours“ aufzunehmen. Insbesondere Düfte, die relativ ähnlich sind, bereichern das Training, beispielsweise die ätherischen Öle von Zitrone, Limone, Orange und Grapefruit aus der Gruppe der Zitrusöle.

4. Blindtraining: Bei dieser Stufe kommt es darauf an, Düfte mit geschlossenen Augen zu identifizieren. Dafür ist ein/e PartnerIn ideal, der/die einem die verschiedenen Duftproben gibt. Wählen Sie am Anfang ätherische Düfte aus, die gut zu unterscheiden sind, später auch immer ähnlichere. 

Quell-Shop: Düfte, die das Leben schöner machen

2. Dezember 2021