Im weltweiten Kampf gegen den Hunger finden die Vereinten Nationen unerwartete Verbündete: Startups. Ihre Ideen sollen für einen Effizienzsprung sorgen. Quell-Reporterin Christine Mattauch hat das Hauptquartier der Initiative in München besucht.

Genau vier Minuten hat Houman Haddad, um seine Idee vorzustellen. Ganz schön wenig, wenn man Blockchain, eine revolutionäre Finanz-Technologie, erklären soll. Der junge Mann mit den markanten Augenbrauen bringt die Sache so auf den Punkt: „Früher habe ich für Banken gearbeitet, jetzt will ich sie aus dem Geschäft werfen.“ Die Zuhörer, in der Hand Flaschen mit fair gehandeltem Chari Tea oder Bio-Bier, lachen und klatschen. Bravo, gut gemacht!

Es ist Pitch Night im Münchner Gärtnerplatzviertel. Im Dachgeschoss eines Hinterhofgebäudes werben Gründer um Kapital und Aufmerksamkeit. Das kennt man von vielen Veranstaltungen der Startup-Szene. Doch hier gibt es einen wichtigen Unterschied: Unternehmen, die sich hier präsentieren, stehen im Dienst der Vereinten Nationen. Genauer gesagt: Sie gehören zu einem Projekt des World Food Programmes (WFP), das bis zum Jahr 2030 den Hunger in der Welt beseitigen will. Nicht, indem noch mehr Hilfspakete über Dürregebieten abgeworfen oder zusätzliche Entwicklungshelfer entsandt werden. Sondern durch Innovation und Technik.

Kreatives experimentieren

WFP Innovation Accelerator heißt das ambitionierte Projekt, und sein Erfinder ist ein Deutscher, Bernhard Kowatsch. Der schlanke Mann mit den intensiven blauen Augen arbeitete mehrere Jahre als Unternehmensberater bei der UNO. Im Laufe der Zeit reifte in ihm die Erkenntnis:„Wir können die Organisation effizienter machen, aber dadurch eliminieren wir den Hunger nicht. Was wir brauchen, sind neue Ideen“ – Ideen, die den Kampf gegen den Hunger selbst auf eine neue Ebene heben. Als Betriebswirt weiß Kowatsch, wie Unternehmen Innovation fördern: Etwa, indem sie junge Kreative zum Experimentieren einladen, ihnen Profis und Mentoren zur Seite stellen und so die Entwicklung von Ideen beschleunigen. Dieses Akzelerator-Modell wurde Kowatschs Vorbild. „Viele finden es über- raschend, dass die UNO ein Konzept der Privatwirtschaft übernimmt. Aber wer Akzeleratoren kennt, ist von dem Ansatz in der Regel begeistert.“ Vernetzung, künstliche Intelligenz, Technisierung der Landwirtschaft – Trends wie diese will der WFP Accelerator nutzen. So ist auch das Startup von Houman Haddad nicht einfach irgendeine Tech-Gründung. Der Ex-Banker will die Geldtransfers effizienter machen, mit denen die Vereinten Nationen in vielen Teilen der Welt Hungernde und Flüchtlinge unterstützen. Via Blockchain geht das Geld direkt an die Empfänger, ohne Bankgebühren und Provisionen. Rund 20 Millionen Dollar jährlich würden auf diese Weise gespart und könnten woanders zur Hilfe eingesetzt werden. „Technisch funktioniert’s“, sagt Haddad. Er hat seine Software in Pakistan mit 100 Haushalten getestet. Gründer weltweit können sich um einen Platz in dem Programm bewerben. Die besten werden zu einem einwöchigen Trainingskurs („Boot Camp“) eingeladen. Wer sich bewährt, kommt in ein mehrmonatiges Coaching-Programm. Kowatschs Erfahrung: Gründer aus Entwicklungs- ländern brauchen oft Nachhilfe in technischer Expertise, während europäischen Start-Ups die Erfahrung fehlt, wie sie ihre Idee für Länder wie Äthiopien oder Tansania alltagstauglich machen. Deshalb werden die jungen Leute von hauptamtlichen Profis des WFP unterstützt. Diese Verbindung zwischen den frischen Ideen der Externen und dem institutionellen Wissen der Behördenmitarbeiter ist eine der großen Stärken des Projekts.

Praxistests Vorort

Seit seinem Start hat der WFP Innovation Accelerator mehr als 60 Projekte hervorgebracht. Das Smartphone-Monitoring eines Ernährungsprogramms in El Salvador etwa ersetzt die papierene Buchführung. Das spart so viel Geld, dass statt 10.000 jetzt 14.000 Mütter daran teilnehmen können. Der Getreidespeicher in Uganda verhindert, dass Kleinbauern ihre Ernte auf einen Schlag verkaufen müssen – schon im ersten Jahr wurden 80.000 Stück abgesetzt. Und in der algerischen Wüste helfen Hydrokultur-Container Flüchtlingen, ihr Vieh zu füttern. „Hydrokulturen sind interessant, weil sie 90 Prozent weniger Wasser benötigen als traditioneller Anbau“, erläutert Kowatsch. Immer wieder sind die Gründer unterwegs und testen ihre Ideen in den Ländern, für die sie gedacht sind. Zurück in München tauschen sie Erfahrungen aus, treffen Experten, und manchmal feiern sie auch, in den coolen Räumen über der Backstube der Münchner Traditionsbäckerei Rischart. So kommt es, dass unten Lastwagen mit Brot und Torten über den Hof rollen, während oben über effiziente Ernährung nachgedacht wird.

WFP Innovation Accelerator

Die Vereinten Nationen schätzen die Zahl der Hungernden in der Welt derzeit auf 690 Millionen. Das ist weniger als vor 20 Jahren, als die Zahl bei über einer Milliarde lag. Um das globale Nachhaltigkeitsziel einer Welt ohne Hunger bis 2030 zu erreichen, braucht es  humanitäre Hilfe auf dem neuesten technologischen Stand sowie innovative Lösungen. Der WFP Innovation Accelerator will den Fortschritt beschleunigen. Einige Startups sind privatwirtschaftlich und gewinnorientiert, andere gemeinnützig Teil einer NGO. Eins haben alle Gründer gemeinsam: Sie haben ein soziales Interesse und möchten etwas bewegen.

http://innovation.wfp.org/

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Quelle-Foto: WFP/Vanessa Vick

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