Hören, was der Körper braucht
Interview mit dem Experten Thomas Frankenbach
Thomas Frankenbach hat Ernährungswissenschaften sowie Psychosoziale, Integrative und Komplementäre Gesundheitswissenschaften in Fulda und in Graz studiert. Er leitet den Fachbereich Ernährung und Bewegung in einer Klinik für Reha-Medizin sowie die Akademie für Somatische Intelligenz in Fulda. www.Thomas-Frankenbach.de
Quell: Herr Frankenbach, mit Ihrem Buch „Somatische Intelligenz“, landeten Sie einen Bestseller. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum sich die Menschen so sehr für somatische Intelligenz interessieren?
Thomas Frankenbach: Erstens erkennen immer mehr Menschen, dass die Ernährungsbedürfnisse oft individuell stark voneinander abweichen. Sowohl aus genetischen Gründen, als auch je nach Lebenssituation. Essen, das dem einen Menschen gut tut, kann beim Anderen bereits die Ursache für gesundheitliche Probleme sein. Der zweite Grund liegt darin, dass wir uns alles, was wir essen, einverleiben. Und dann ist es erst einmal in uns, in unserem Blut, in unseren Organen. Essen ist also etwas sehr Intimes und hat viel mit Vertrauen zu tun. Beim Essen auf den eigenen Körper hören lernen, kann deshalb viel Sicherheit geben.
Quell: Sie beschäftigen sich auch mit somatischer Intelligenz beim Trinken. Individuelle Trinkbedürfnisse weichen oft voneinander ab. Wie lässt sich das erklären?
Thomas Frankenbach: Wir haben im Nervensystem ein hoch präzises System an Biosensoren, die uns unsere Bedürfnisse spüren lassen. Auch beim Trinken. Nicht jedes Wasser zum Beispiel ist für jeden Menschen gleich gut. Je feinfühliger Menschen für ihre Körpersignale beim Essen und Trinken werden, desto genauer können sie spüren, was zu ihnen passt. Viele Patienten haben mir davon berichtet, dass ihnen bei bestimmten Problemen genau die Wässer am besten zusagten, die auch bei ihren Problemen halfen.
Quell: Warum vertrauen Menschen oft lieber Trinkempfehlungen, als auf Ihre eigenen Bedürfnisse zu hören?
Thomas Frankenbach: Weil viele es verlernt haben, auf den Körper zu hören. Oft schon erziehungsbedingt, später dann oft durch Stress. Zudem kommen laufend neue, sich oft widersprechende Tipps dazu. Das kann schwer verunsichern. Eine feste Regel an die Hand zu bekommen, scheint dann zunächst wie eine Erleichterung.
Quell: Landläufig empfehlen Experten den Menschen, täglich zwei bis drei Liter Wasser zu trinken. Unterstützen auch Sie als Ernährungs-Experte diese Empfehlung?
Thomas Frankenbach: Wieviel Wasser ein Mensch braucht, ist individuell sehr verschieden. Das ist abhängig vom Schwitzverhalten, der körperlichen Aktivität, dem aufgenommenen Wasser durch feste Nahrung aber auch von der Menge, die ein Mensch individuell abatmet. Für Gesunde empfiehlt es sich, auf die Urinfarbe zu achten. Ist der Urin über den Tag glasklar und nur leicht gelblich, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Wassermenge stimmt. Ist der Urin hingegen dunkel wie Apfelsaft, liegen Sie höchstwahrscheinlich unter dem Optimum. Für viele meiner Patienten hat sich dieser Tipp als hilfreich und wirklich im Leben praktikabel erwiesen.
Quell: Ist Durst ein zuverlässiges Signal fürs Trinken?
Thomas Frankenbach: Im Idealfall ja. Allerdings: Viel mehr Menschen als wir vielleicht glauben, haben es schon im Kindesalter verlernt, ihre Bedürfnisse wirklich zu spüren, auch beim Trinken. Und: Wenn ich vor lauter Stress nur noch Augen für die Arbeit habe, kann es gut sein, dass ich auch mein Durstgefühl nicht mehr wahrnehme. Je höher die Dichte an Außenreizen ist, desto höher das Risiko, die eigenen Körpersignale zu überhören. Auch im Alter geht es vielen Menschen so, dass sie Durst nicht mehr gut spüren.
Quell: Wie äußert sich die Sprache des Körpers beim Trinken?
Thomas Frankenbach: Durst natürlich, klar. Aber doch auch noch viel mehr: Geschmack, Geruch, Lust und Bekömmlichkeit, auch die Temperatur,
die mir am besten tut. Was macht mit mir Kohlensäure? Was macht bei mir eine bestimmte Wassermarke? Wie bekommt mir mein Getränk direkt nach dem Trinken und im weiteren Tagesverlauf?
Quell: Kann sich das für einen Menschen passende Wasser auch mit der Zeit ändern?
Thomas Frankenbach: Der Körper ist nichts Statisches. Wenn sich die Lebenssituation verändert, können sich auch die Bedürfnisse verändern. Auch beim Trinken. Nur ein paar Beispiele: Nach dem Sport will der Körper meist höhere Mengen an Wasser und Mineralien, oft zeigt sich das auch in der Wasservorliebe. Viele Menschen berichten davon, dass ihnen während einer Erkrankung anderes Wasser und ein anderes Trinkverhalten gut getan hat, als in Gesundheit. Und auch mit den verschiedenen Lebensabschnitten können sich neue Bedürfnisse, neue Vorlieben entwickeln. Der Körper ist eben Wahrheit. Beim Essen und Trinken auf den Körper zu hören, klingt wie eine Selbstverständlichkeit. In Wirklichkeit ist es jedoch eine hohe Kunst.
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