Nach Skandalen wie Dioxin im Frühstücksei oder im Schweineschnitzel sehnen sich die Verbraucher nach gutem Gewissen beim Essen. Quell hat nachgeforscht, wie dies im Alltag zu erreichen ist. Von Andrea Tichy.

„Anständig essen“, lautet der Bestseller von Karen Duve, in dem die Schriftstellerin einen Selbstversuch in Richtung gewissenhaftes Essen beschreibt. Der zehnmonatige Test verlief in zunehmenden Härtegraden. Anfangs kaufte die Brandenburger Literatin konsequent nur Lebensmittel in Bioqualität. Anschließend ernährte sie sich fleischlos und ließ später auch alle Tierprodukte weg. Schließlich versuchte sie sich als Frutarierin, die nur Dinge aß, die die Pflanzen freiwillig hergaben, ohne sie dabei zu töten. Äpfel zum Beispiel und Nüsse. Auch wenn sich Karin Duve als Frutarierin am wohlsten gefühlt hatte, ist sie inzwischen zu einem alltagstauglicheren Lebensstil zurückgekehrt. Auf Fleisch, Milchprodukte und Ledersachen will sie mit minimalen Ausnahmen verzichten. In ihrem Kühlschrank lagern nur noch Eier, die ihre eigenen Hühner gelegt haben.

Bei den meisten deutschen Verbrauchern wird Karen Duves neuer Lebensstil indes auf Unverständnis stoßen. Auch wenn Bio-Eier nach dem jüngsten Dioxin-Skandal zeitweise ausverkauft waren, ist der Anteil von Bio-Lebensmitteln am Lebensmittel-Gesamtmarkt noch immer erschreckend gering: nur rund 5 Prozent der Lebensmittel werden hierzulande in Bio-Qualität gekauft. Es wäre also schon viel gewonnen, wenn die Verbraucher nicht gleich Frutarier oder Vegetarier, sondern einfach erst einmal Bio-Käufer würden.
Warum ökologische Erzeugnisse von den Verbrauchern überwiegend links liegen gelassen werden, obwohl diese in Befragungen häufig das Gegenteil behaupten, erklärt Dr. Rainer Grießhammer, Mitglied der Geschäftsführung des Öko-Instituts, folgendermaßen: „Der Preis von Bio-Produkten ist nach Einschätzung der Verbraucher gefühlt viel höher als der von konventionellen Produkten.“ Teilweise gehen die Verbraucher davon aus, dass Bio-Qualität doppelt so viel kostet, als herkömmlich angebaute und verarbeitete Lebensmittel. Tatsächlich liegt die Preisdifferenz bei etwa 20 Prozent. Die lässt sich laut Grießhammer schon dadurch finanziell kompensieren, indem die Verbraucher zu Hause konsequent aufs Energiesparen achten. Wie das geht, hat er in seinem „Klima-Knigge“ (Aufbau-Taschenbuch) ausführlich beschrieben.

Ein Drittel der Lebensmittel erreicht nie den Magen
Kompensieren lassen sich die höheren Kosten von Bio-Lebensmitteln allerdings auch durch eine andere Maßnahme: weniger wegwerfen. Nach Zahlen der Umweltorganisation WWF erreicht ein Drittel der Lebensmittel nie den Magen. Rund 30 Prozent aller Lebensmittel werden von Agrarindustrie, Handel oder Verbrauchern weggeworfen. „Die Agrarlobby redet immer davon, die Produk-tion auszuweiten: mit mehr Pestiziden, mehr Gentechnik, mehr gerodetem Wald für neue Äcker“, kritisiert WWF-Agrarexperte Matthias Meißner. „Dabei müssen wir zuerst die Dutzende Lecks stopfen, die unser Ernährungssystem hat.“ Wissenschaftliche Schätzungen gehen davon aus, dass die Landwirtschaft weltweit derzeit 4.600 Kilokalorien pro Tag und Mensch erzeugt. Davon landen 1.400 ungenutzt auf dem Müll. In den Entwicklungsländern gehen Lebensmittel durch falsche oder fehlende Lagerung und Verarbeitung verloren. Hier würde es viel bringen, die Handelsströme zu verbessern. In den reichen Industrienationen hingegen geht es um einen Bewusstseinswandel: „Wir schmeißen
Lebensmittel weg, die eigentlich noch essbar wären. Dies gilt für Supermärkte genauso wie für den Privathaushalt“, so der WWF. Verbraucher sollen deshalb planvoll einkaufen und kein Essen wegwerfen. „Dies würde helfen, die für 2050 vorhergesagten drei Milliarden Menschen mehr zu ernähren, ohne unseren ökologischen Fußabdruck über Gebühr zu vergrößern“.

Transport per Schiff statt Flugzeug
Auf dem Weg zu sauberen Lebensmitteln bringt es auch viel, auf das Transportmittel zu achten, das die Ware nach Deutschland gebracht hat: „Alles was mit dem Flugzeug transportiert wurde, erzeugt hohe CO2-Werte und schließlich ist Kohlendioxid auch ein Umweltgift“, so Rainer Grießhammer. Zum Vergleich: Werden Lebensmittel mit dem Flugzeug transportiert, verursacht der Transport etwa 200 mal soviel CO2 wie der Transport per Hochsee-Schiff. Das bedeutet nun nicht das Aus für Waren aus der Dritten Welt, aber sie sollten mit dem Schiff transportiert worden sein. Bananen zählen dazu oder Wein.
Bei den vielen Wahlmöglichkeiten ist Eines für Rainer Grießhammer sicher: „Der Verbraucher stellt durch seine Kaufentscheidungen die Weichen.“ Wenn er bereit ist, für saubere Qualität einen angemessenen Preis zu bezahlen, dann werden die Unternehmen ihm diese auch umgehend anbieten.

Foto: Monika Frei-Herrmann

Beitrag IG FÜR: Ratgeber in Sachen Lebensmittel

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Interview mit Rainer Grießhammer

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Dr. Rainer Grießhammer ist Mitglied der Geschäftsführung des Öko-Instituts. Das in Freiburg, Darmstadt und Berlin angesiedelte Institut für angewandte Ökologie gehört zu den renommiertesten Umwelt-Instituten und beschäftigt derzeit 125 Mitarbeiter. Im Projekt „Ernährungswende“ hat sich das Öko-Institut intensiv mit der Frage des sauberen Essens auseinandergesetzt.

  • Was können Verbraucher tun, um möglichst „sauber“ zu essen?
  • Rainer Grießhammer: „Sauberes Essen“ umfasst mehrere Dimensionen. Zunächst ist zu fragen, welche Schadstoffe das Lebensmittel enthält, ob es frei von Giftstoffen ist. Aber selbst wenn es frei von Schadstoffen ist, ist es noch lange nicht sauber. Beispiel Kaffee. Beim Rösten gehen die enthaltenen Pestizide kaputt, da ist der Verbraucher nicht mehr gefährdet, aber sehr wohl die Arbeiter auf den Kaffeeplantagen und die Umwelt. Anbau, Herstellung und Transport sind in die Betrachtung mit einzubeziehen. Das dabei freigesetzte CO2 ist ein Umweltgift, das bei der Beurteilung von Lebensmitteln eine wichtige Rolle spielt.
  • Quell: Ist Vegetarismus der richtige Weg?
  • Rainer Grießhammer: Es wäre viel gewonnen, wenn die Menschen weniger Fleisch essen würden. Es muss aber nicht gleich Vegetarismus sein – im Übrigen braucht man ja auch für Milch, Käse und Eier die Tierhaltung. Aber wenn Fleisch, dann eher Hühner- oder Schweinefleisch, da der CO2-Fußabdruck dieser Sorten wesentlich geringer als beim Rindfleisch ist. Durch fleischarme Kost kann jeder Verbraucher seinen CO2-Ausstoß um 20 bis 30 Prozent reduzieren.
  • Quell: In dem Projekt „Ernährungswende“ hat sich das Öko-Institut intensiv mit der Frage des sauberen Essens ausein-ander gesetzt. Was sind die Schlussfolgerungen daraus?
  • Rainer Grießhammer: Zunächst ist als Ernährungsform die mediterrane Kost zu empfehlen, mit viel Gemüse, Obst, Nudeln, gutem Öl, etwas Fisch und wenig Fleisch. In Bio-Qualität und möglichst in Form von Fair-Trade-Produkten.
  • Quell: Stichwort „Bio“. Es gibt auf dem Markt verschiedene Abstufungen von Bioqualität, vom EU-Bio-Siegel bis hin zum Demeter-Siegel, das für die strengsten Anbaukriterien steht. Genügt es, sich für sauberes Essen am sechs-eckigen deutschen Bio-Siegel zu orientieren?
  • Rainer Grießhammer: Im Prinzip ja, wenn man den Massenmarkt erreichen will. Die Idee des sauberen Einkaufens soll ja verbreitert werden. Und dazu gehört, dass sie auf eine breite Basis gestellt wird, wie das über die Bio- und Demeterläden hinaus auch durch das Angebot von Lebensmitteln mit EU-Bio-Siegel beim Discounter geschieht.
  • Quell: Was kann jeder Einzelne für sauberes Essen tun?
  • Rainer Grießhammer: Politisch und bei Wahlen sollte man sich für bessere Rahmenbedingungen für eine gesunde und ökologische Ernährung einsetzen. Individuell und im eigenen Umfeld geht es darum, Gewohnheiten zu verändern. Und das geht am besten durch kleine Schritte, die Spaß machen. Beispielsweise durch einen gemeinsamen Kochabend mit Freunden – mit neuen Rezepten (ohne Fleisch) und natürlich mit Bio-Lebensmitteln.
  • Quell: Und das soll die Wende bewirken?
  • Rainer Grießhammer: Ziel sollte sein, die etablierten Strukturen zu verändern. Und das heißt: beim Einkaufen die Verbrauchermacht zu nutzen, im Kindergarten, beim Schulessen und in der Betriebskantine für mediterrane Kost und Bio-Lebensmittel einzutreten und sich bei den nächsten Wahlen klar zu entscheiden.

 

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