Bio-Weine liegen im Trend. 211 Mitglieder zählt der Bundesverband ökologischer Weinbau – Ecovin – mittlerweile. Quell-Autor Dr. Christian Schneider hat sich ein Bild gemacht, welche Qualitäten Bioweine besonders auszeichnen.

Irgendwann fragte sich Willi Ollinger, ob die Atembeschwerden und allergischen Hautrötungen, die ihn plagten, wirklich nur, wie ihm sein Arzt gesagt hatte, Heuschnupfenreaktionen auf Hausstaub seien. Längst hatte ihn stutzig gemacht, dass die Vertreter der chemischen Industrie ihm die neuen Pflanzenschutzmittel jedesmal wieder mit dem Hinweis auf die besondere „Anwenderfreundlichkeit“ verkauften. Und das vorige, gleichermaßen angepriesene? „Jahrelang hat man ein Spritzmittel verwendet und plötzlich ist es verboten. Da fragt man sich natürlich schon, was da los ist“, sekundiert seine Frau Inge. Es war nicht nur die Sorge um die eigene Gesundheit, die das Ehepaar bewegte. Schließlich waren sie Eltern geworden. Als der Winzer aus dem saarländischen Perl-Sehndorf die von ihm verwendeten Pflanzenschutzmittel testen ließ, war das Ergebnis: Er reagierte auf jedes einzelne allergisch. 2001 erfolgte die Umstellung auf ökologischen Weinbau. Ollinger, als Winzer Quereinsteiger aus einem technischen Beruf, erinnert sich noch gut an die anfängliche Unsicherheit und Belastung. Dadurch, dass chemische Düngung und konventioneller Pflanzenschutz wegfielen, war erhebliche Mehrarbeit im Weinberg angesagt. Noch mehr als beim konventionellen Anbau kommt es auf präzise, antizipierende Beobachtung des Wetters und schnelle, situative Reaktion an. Man muss mit den Naturrhythmen leben, noch genauer wissen, wann der Regen kommen wird, damit vorher noch einmal gespritzt werden kann. Denn, entgegen den landläufigen Vorstellungen: Es wird beim Ökoanbau nicht etwa weniger, sondern mehr gespritzt: Nur keine Chemie. Fenchel- und Algenextrakt oder Backpulver sollen vor den Schädlingen schützen, die die Trauben zerstören. Der Winzer schätzt den zeitlichen Mehraufwand auf anfangs 20 bis 25 Prozent, zumal viel Präventivarbeit hinzukommt, vor allem die „Arbeit an der Laubwand“. Und, das ganze Jahr über: die Pflege des Bodens.
„Boden, Boden, Boden“, sagt auch Lotte Pfeffer, wenn man mit ihr über ihre Arbeit als Winzerin redet. Im Gegensatz zu Ollinger ist sie, die seit April diesen Jahres dem Verband Ecovin vorsteht, nicht nur in den Weinbau, sondern gleich in den ökologischen hineingewachsen. Schon in den 1960er Jahren fingen ihre Eltern mit der Begrünung der Weinberge an. „Die dreckigen, grünen – das sind die von den Pfeffers“, hieß es in ihrer rheinhessischen Heimat. In den 1970ern zeigte sich bei der Flurbereinigung, dass die stickstoffgedüngten Böden total erschöpft waren. Bodenaufbau ist Generationsarbeit: die erste baut auf, die zweite zehrt davon – und die dritte? Wenn sie konventionell ertragsorientiert weitermacht, ruiniert sie ihn. Ein Teufelskreislauf. Heute ist Lotte Pfeffer, die selbstbewusst und umsichtig das Erbe ihrer vorausschauenden Eltern angetreten hat, stolz auf die Humuswerte ihres Bodens, die hohe biologische Aktivität und Nährstoffreichtum anzeigen. Die Vielzahl von Käfern, Würmern, Insekten, Vögeln und Eidechsen, die in ihren Weinbergen einen gemeinsamen Lebensraum finden, sind Indikatoren für ein intaktes Ökosystem.
Bodenbearbeitung, natürlicher Schutz der Reben und das Experimentieren mit schädlingsresistenten Neuzüchtungen, die zugleich dem Klimawandel Rechnung tragen; solides Wissen über die natürlichen Kreisläufe und verantwortungsvolle Arbeit im Keller: All das gehört zum Bioweinbau. Für mich sind jedoch vor allem zwei Dinge wichtig. Zum einen, dass sich im neuen Nachdenken über das Produkt etwas wiederherstellt, was im letzten halben Jahrhundert beinahe verschwunden war: ein Diskurs, in dem sich neueste Erkenntnisse mit sehr altem Wissen verbinden. Es entsteht dadurch ein anderes Zeitbewusstsein. Weil das ökologische Denken längere Zyklen einbeziehen muss, verändert sich nicht nur der Blick auf das Produkt, sondern letztlich auch die Generationenbeziehung. Bei auffallend vielen Öko-Familienbetrieben herrscht ein anderes Bewusstsein davon, was man übernommen hat und was man weitergeben wird. Es ist ein anderes Denken: ein, im Wortsinn, „radikales“. Denn es geht um die Wurzel der Rebe und den Ort ihres Wachstums, den Boden. Der zurzeit so vielstrapazierte Begriff „Terroir“ wäre schlicht falsch übersetzt und verstanden, wenn man ihn auf geologische Gegebenheiten reduzierte. Zu den vielfältigen Einflussgrößen, die das Zusammenspiel von Klima und Boden beeinflussen, zählt vielmehr auch der „Interaktionsfaktor Mensch“. Nicht nur als der einzelne Winzer, sondern als die lebendige Summe der sozialen Individuen, die ihrerseits einen Kreislauf bilden, in dem sich Natur und Kultur verschränken.
Mein anderer Punkt sei abschließend nicht vergessen. Unverrückbar im Zentrum meines Interesses als Konsument steht das funkelnde, duftende, köstliche Produkt im Glas vor mir. Im Klartext: Die schönste Bodenbereitung, die schonendste Herstellung interessiert mich nicht, wenn der Wein nicht meinen Geschmacksstandards entspricht. Die sind hoch. Und passen – gottlob – mittlerweile zu sehr vielen Weinen, deren Etikett die Silbe „Öko“ ziert.

Foto: Ecovin

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