Mikroorganismen im Bodensee wandeln Tonnen von Ammonium um

Eine neue weltweit verbreitete Art von Archaea setzt Tonnen von Ammonium in einem der größten Seen Europas um. Damit tragen die Mikroorganismen zur Sicherheit der Trinkwasserversorgung von mehr als  fünf Millionen Menschen bei. Das konnten Wissenschaftler*innen aus Braunschweig, Bremen und Konstanz nachweisen. Ihre Ergebnisse haben sie jetzt in der Fachzeitschrift „The ISME Journal“ der Nature Publishing Group veröffentlicht.
 
 
Seen sind wichtig für die Trinkwasserversorgung, Binnenfischerei und als Naherholungsgebiete. Eine Anreicherung von Ammonium würde diese Ökosystemdienstleistungen gefährden. Gleichzeitig ist Ammonium ein wichtiger Bestandteil landwirtschaftlicher Düngemittel, weshalb seine Konzentrationen in der Umwelt dramatisch zugenommen hat und der globale Stickstoffkreislauf als Ganzes aus dem Gleichgewicht geraten ist. Die Überversorgung mit Nährstoffen (zum Beispiel Stickstoff) in Gewässern führt beispielsweise zu einer Steigerung des Algenwachstums, somit auch zu Sauerstoffmangel und in der Folge zu lebensfeindlichen Bedingungen für die Pflanzen- und Tierwelt.
 
Nährstoffarme Seen mit großen Wasserkörpern – wie der Bodensee und viele andere voralpine Seen – beherbergen in ihrer Tiefe große Populationen von Archaea, einer speziellen Gruppe von Mikroorganismen. Man nahm bisher nur an, dass diese Archaea an der Umwandlung von Ammonium zu Nitrat beteiligt sind, das in Sedimenten und anderen sauerstoffarmen Habitaten weiter in harmlosen Stickstoff (N_2 ) – ein Hauptbestandteil der Luft – umgewandelt wird.
 
Ein Team von Umweltmikrobiologen der Technischen Universität Braunschweig, des Leibniz-Instituts DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH, des Max-Planck-Instituts für marine Mikrobiologie und der Universität Konstanz konnte erstmalig nachweisen, dass diese Archaea tatsächlich an der Ammoniumoxidation beteiligt sind. Sie konnten diese Aktivität in einem der größten Seen Europas, dem Bodensee, quantifizieren.
 

Wie Mikroben den Stickstoffgehalt in Süßwasserökosystemen regulieren

 
Unser Planet ist zu einem Großteil mit Wasser bedeckt, jedoch sind davon nur 2,5 Prozent Süßwasser. Rund 80 Prozent dieses Süßwassers stehen dem Menschen nicht zur Verfügung, da es in Gletschern und den Polkappen gespeichert ist. In der Europäischen Union stammen etwa 36 Prozent des Trinkwassers aus Oberflächengewässern. Daher ist es wichtig zu verstehen, wie diese Ökosystemleistung durch Umweltprozesse wie die sogenannte mikrobielle Nitrifikation aufrechterhalten wird. Die Nitrifikation verhindert eine Anreicherung von Ammonium und wandelt es über Nitrit zu Nitrat um. Obwohl die Nitrifikation die Menge an anorganischem Stickstoff (N) in Süßwasserökosystemen nicht direkt verändert, stellt sie eine entscheidende Verbindung zwischen der Mineralisierung von organischem Stickstoff oder der Ammoniumverschmutzung und seiner letztendlichen Umwandlung zu harmlosem Stickstoff (N_2 ) durch anaerobe Prozesse dar.
 
Die nun publizierten Ergebnisse zeigen, dass im Bodensee eine einzelne Art von Archaea bis zu 1760 Tonnen N-Ammonium pro Jahr umsetzt. Das entspricht elf Prozent der jährlichen von Algen produzierten Stickstoff-Biomasse. Dabei bauen die neu entdeckten Archaea eine enorme Biomasse in der Tiefe auf, die zwölf Prozent des jährlich vom pflanzlichen Plankton produzierten organischen Kohlenstoffs entspricht.
 

Neuartige Archaea-Art für Ammoniumumwandlung verantwortlich

 
Mit Hilfe modernster Methoden aus der Umweltmikrobiologie und Biogeochemie identifizierten die Wissenschaftler*innen eine neuartige Archaea-Art, /Candidatus/ Nitrosopumilus limneticus, die für die Ökosystemdienstleistung der Ammoniumoxidation im Bodensee verantwortlich ist. Diese Art bildet mit bis zu 39 Prozent aller Mikroorganismen riesige Populationen im Tiefenwasser dieses großen Sees mit einer Fläche von 536 Quadratkilometern aus.
 
Mittels Metagenomik und Metatranskriptomik konnte das Genom dieses neuartigen Mikroorganismus aus der Umwelt gewonnen und seine Aktivität über die Jahreszeiten verfolgt werden. Auf stabilen Isotopen basierende Aktivitätsmessungen ergaben, dass diese einzelne Art für die Umwandlung von Ammonium im Bereich von mehr als 1000 Tonnen verantwortlich ist. Derzeit bleibt noch ungeklärt, wie dieser neu entdeckte und in großen Binnengewässern weitverbreitete Mikroorganismus auf Veränderungen durch die Klimaerwärmung reagieren wird.

Über das Leibnitz-Institut DSMZ

Das Leibniz-Institut DSMZ – Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH ist die weltweit vielfältigste Sammlung für biologische Ressourcen (Bakterien, Archaea, Protisten, Hefen, Pilze, Bakteriophagen, Pflanzenviren, genomische bakterielle DNA sowie menschliche und tierische Zellkulturen). An der DSMZ werden Mikroorganismen sowie Zellkulturen gesammelt, erforscht und archiviert. Als Einrichtung der Leibniz-Gemeinschaft ist die DSMZ mit ihren
umfangreichen wissenschaftlichen Services und biologischen Ressourcen seit 1969 globaler Partner für Forschung, Wissenschaft und Industrie.
Die DSMZ ist als gemeinnützig anerkanntt. Als Patenthinterlegungsstelle bietet sie die bundesweit einzige Möglichkeit, biologisches Material nach den Anforderungen des Budapester Vertrags zu hinterlegen. Neben dem wissenschaftlichen Service bildet die Forschung das zweite Standbein der DSMZ. Das Institut mit Sitz auf dem Science Campus Braunschweig-Süd beherbergt mehr als 79.000 Kulturen sowie Biomaterialien und hat knapp 200 Beschäftigte.
22. März 2022