Jüdische und islamische Scholastik
Die Scholastik als Denkrichtung der mittelalterlichen Philosophie und Theologie, die zum Ziel hatte, Glauben und Vernunft zu vereinbaren, gab es nicht nur in der christlichen, sondern auch der jüdischen und islamischen Ausprägung. Die jüdische Scholastik versucht die Prinzipien des jüdischen Glaubens vor allem mit der aristotelischen Philosophie zu verbinden. Der Hauptvertreter der jüdischen Scholastik war der Rabbi Moshe ben Maimon, genannt Maimonides (1138-1204). Seine Lehre entsprach dem fundamentalen Prinzip der Scholastik, wonach es keinen Widerspruch geben kann zwischen den Wahrheiten, die Gott offenbart hat und dem Entdecken des menschlichen Geistes in Wissenschaft und Philosophie. Wissenschaft und Philosophie bedeuten für ihn die aristotelische Lehre. In einigen Punkten wich er jedoch von dieser Lehre ab. So meinte er zum Beispiel, dass die Welt nicht ewig , wie Aristoteles meinte, sondern aus dem Nichts erschaffen sei, wie es in der Bibel steht. Sein Hauptwerk ist „ der Führer der Unschlüssigen“, das dem Nachweis dienen soll, dass die jüdische Tradition bei richtiger Interpretation der Vernunfterkenntnis entspricht. So versucht er, anhand zahlreicher Prämissen auf die Existenz Gottes zu schließen. Diese Methode wurde von dem christlichen Theologen Thomas von Aquin übernommen, der die fünf Wege zur Erkenntnis Gottes formulierte.
Die arabische Religionsphilosophie, die sich ebenfalls auf Aristoteles bezieht, war gleichermaßen eng mit der christlichen Scholastik verbunden. Die bedeutendsten Philosophen waren Avicenna (980-1037) und Averroes (1126-1198), sie haben versucht, die islamische Lehre mit dem Aristotelismus zu verbinden. Das philosophische Hauptwerk Avicennas ist „ das Buch der Heilung“. Es handelt sich um die Heilung der Seele vom Irrtum (des Unglaubens), der sich in den Krankheiten des Zweifels und der Verzweiflung ausdrückt. Inhaltlich besteht das Buch aus vier Traktaten, die sich in ihrem Aufbau und ihrer Ordnung an Aristoteles orientieren.
Averroes sah in der Logik die einzige Möglichkeit des Menschen, glücklich zu werden. Die aristotelische Logik war für ihn die Möglichkeit, aus den Wahrnehmungen der Sinne zur Erkenntnis der Wahrheit zu gelangen. Die Logik war für ihn das Gesetz des Denkens und der Wahrheit. Averroes verfasste umfangreiche Aristoteleskommentare, die wiederum die christliche Scholastik geprägt haben. Er wird deshalb auch als „ der Kommentator“ bezeichnet. Er war so bedeutend, dass sogar Raffael ihm in seinem Fresko „ Die Schule von Athen“ einen Platz gegeben hat.
Der persische Theologe und Philosoph al-Ghazali (1055-1111) zählt zu den bedeutendsten Denkern des Islams. Er führte die aristotelische Logik und Syllogistik in die islamische Theologie ein. Gleichwohl vertrat er einen religiös motivierten Skeptizismus , der die Wahrheiten des Glaubens und der Offenbarung mit den Mitteln des philosophischen Zweifels gegen den Wahrheitsanspruch der Philosophie verteidigt. Die Glaubenswahrheiten haben bei ihm einen höheren Stellenwert als der philosophische Wahrheitsanspruch der Erkenntnis. Für ihn ist die Philosophie kein eigener Weg zur Wahrheit, sondern zur Wahrheit gelangt man nur durch den Glauben und die Offenbarung. Von daher ist al-Ghazali im strengen Sinn nicht unbedingt ein Scholastiker, aber auf Grund seiner Rezeption durch jüdische und islamische Gelehrte und dem damit verbundenen Einfluss auf die Tradition des Mittelalters gebührt es ihm, auch in diesem Kreis genannt zu werden.
Die Autorin Helga Ranis studierte Theologie und Philosophie und schöpft aus einem großen Fundus philosophischen Wissens.
Buch-Tipp
LEICHTER LEBEN MIT PHILOSOPHIE
Helga Ranis
Edition Quell ISBN 978-3-9819936-2-2, Erscheinungstermin: 1. August 2024
Seit Jahren beschreibt Helga Ranis für www.quellonline.de die Erkenntnisse der großen Denkerinnen und Denker, die uns die Herausforderungen des Lebens leichter bewältigen lassen. Über die Jahre ist eine beeindruckende Sammlung an Rezepten und Strategien entstanden. Sie geben Inspirationen, wie die Menschen ihren Alltag gestalten können. Der Weg zur inneren Freiheit des stoischen Philosophen Epiktet fehlt in dieser philosophischen Hausapotheke ebenso wenig wie moderne Überlegungen über das Wesen der Arbeit von Axel Honneth. Das Spektrum reicht von Adorno bis Zizek.
zu bestellen unter Telefon 02236 9491130 oder im Quell-Shop








