Übergewicht und gestörtes Essverhalten zählen heute in Deutschland zu den häufigsten und am schnellsten ansteigenden Gesundheitsstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Eine große Chance, diesem Teufelskreis entgegenzuwirken, steckt in einem gesunden Mittagessen, das Kindern in der Schule angeboten wird. Martina Guthmann hat sich in einem bayerischen Vorzeigebetrieb in Sachen gesunder Schulverpflegung umgesehen.

Zu einem alarmierenden Ergebnis kommt die sogenannte KIGGS Studie des Robert-Koch-Institutes: Laut dieser Studie zur gesundheitlichen Lage der Kinder und Jugendlichen in Deutschland hat sich seit den 1980er Jahren der Anteil übergewichtiger Kinder verdoppelt. Als Hauptursachen werden die veränderten Lebensbedingungen vieler Familien ausgemacht. Längere Unterrichtszeiten bei den Kindern und sich wandelnde Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen bei den Eltern führen zu einer veränderten Esskultur. Familienmahlzeiten werden immer seltener, Kinder und Jugendliche versorgen sich häufig selbst mit schnell verfügbaren aber nährstoffarmen und kalorienreichen Mahlzeiten. Irreführende Werbung, missverständliche Deklarationen auf Fertigprodukten und falsche Sparsamkeit tragen ihr Übriges dazu bei, dass Deutschlands Kinder immer dicker und kränker werden.
„Eine riesengroße Chance, diesem Teufelskreis entgegenzuwirken, steckt jetzt in der Einführung von Ganztagsschulen“, sagt Andrea Lambeck von der Plattform Ernährung und Bewegung peb, dem europaweit größten Netzwerk von Politik, Wirtschaft und Verbänden zur Vorbeugung von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen. Mit einer gesunden, bezahlbaren, warmen und leckeren Mittagsverpflegung in Schulen könnten alle Kindern – unabhängig von Schicht  und familiärer Situation – zumindest einmal am Tag in den Genuss einer gesunden Mahlzeit kommen. Doch die Realität sieht vielerorts anders aus: Bei der Umsetzung von Konzepten wie G8 wurden Schulküchen stiefmütterlich behandelt, wenig Unterstützung floss in Ausbildung und Beratung der Verantwortlichen. Geld für Küchenneu- und Umbau ist meist knapp und so wie Deutschlands Fernsehköche in Modellschulküchen agieren, sieht die Realität eher nicht aus. Die Preise für Schulessen variieren stark: Während in Bayern ein Schulessen bis zu 4,20 Euro kosten darf, sind es in Hamburg 3,50, in Berlin nur etwas über 2 Euro.

„il Cielo“ – himmlische Genuss-Erlebnisse
Vielerorts ist deshalb kreative Eigeninitiative gefragt, wenn es um die gesunde Ernährung der Kinder außer Haus geht. Dass gesunde Mittagsbetreuung von Kindern „Schule“ machen kann, zeigt das Konzept des Verpflegungs- und Beratungsunternehmens „il Cielo“. Seine Gründerin Carola Petrone begann als Mutter die Spielkameraden ihrer Kinder zu bekochen. Ihr Anspruch war 100 Prozent frisches und biologisches Essen, als sie vor sieben Jahren mit der Verpflegung eines Kindergartens begann. Die gute Qualität, der herrliche Geschmack und ihr Organisationstalent waren der Anfang ihrer Erfolgsgeschichte. Heute bekocht ihr Team „il Cielo“ in fünf Schulen und 25 Kindergärten im Umkreis von München täglich 3 000 Schüler.
Petrone: „Wenn es gut schmeckt, kommen die Kinder ganz automatisch auf den Geschmack für gesunde Ernährung. Wir haben uns „il Cielo“ – der Himmel – genannt, weil wir den Kindern genau diese Freude am Essen vermitteln wollen.“
Trotz des schönen Namens: Carola Petrone bleibt auf dem Boden der Tatsachen: „Um ein frisches biologisches Schulessen für rund vier Euro anbieten zu können, muss man vieles richtig machen. Angefangen bei den Investitionen in die richtige Küchenausstattung, über eine ausgewogene und wirtschaftliche Speisenplan-Erstellung bis hin zur Wahl regionaler Lieferanten. Viele Schulmensen-Betreiber aus ganz Deutschland fragen Petrone: Wie schafft Ihr das? Die engagierte Mutter gibt ihr Know-how dann gerne an andere weiter.
Und weil jede Schule anders ist, sieht die Beratung von Fall zu Fall unterschiedlich aus. Das beginnt bei ganz pragmatischen Fragen, etwa wie man die Kosten für eine Aufwärmküche spart und besser in eine Ausstattung zum Frischkochen inves-tiert. Da geht es auch um Tipps zur Beschaffung bei regionalen Herstellern oder um die Vermeidung des Wegwerfens wertvoller Lebensmittel. Gerade das Reste-Management kann durch eine spezielle Software genau gesteuert werden. Für kleine Küchen bietet „il Cielo“ Lösungsansätze an, wie sie die komplette Verwaltungsarbeit kostengünstig auslagern und im Back-Office zum Beispiel die Küche samt Speiseplanung, Einkauf und Personal verwalten lassen können.

Eine nachhaltige Esskultur vermitteln
Was Carola Petrone antreibt, wird spätestens dann klar, wenn man sie mit ihrer Familie beim Essen erlebt, ihr Mann ist Pächter des „Il Plonner“, einem Dorfgasthaus in Oberpfaffenhofen: Es ist der Wunsch, Kindern eine nachhaltige Esskultur zu vermitteln, „denn ein gesundes, respektvolles und natürliches Verhältnis zu Lebensmitteln, zum Körperbewusstsein und zum Umweltbewusstsein ist der Dreh- und Angelpunkt jeder Kultur“, so Carola Petrone.
Den Spitznamen „die Jamie Oliver der deutschen Schulküche“ hat sich Carola Petrone nicht selbst verpasst, obwohl er gut zu ihr passt, nur zieht sie ihre Kreise bislang eher im Stillen. Der englische Star-Koch Jamie Oliver hingegen hatte unter großer Anteilnahme der Presse versucht, die Schulverpflegung in Großbritannien zu reformieren. Was gar nicht so leicht ist, wie seine Erfahrungen zeigen.

Foto: Martina Guthmann

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Richtig essen lernen

Essen lernt man von Vorbildern, etwa von den Eltern aber auch Freunden.
• Gesundheitsargumente sind problematisch, denn Kinder denken nicht langfristig
(Bsp. Zahnarzt, Osteoperose).
• Verbote machen ungesunde Lebensmittel erst interessant und fördern eher noch die
Ausbildung von Vorlieben. Wesentlich besser sind positive Botschaften.
• Dazu motivieren, mal Neues, Anderes auszuprobieren.
• 30 bis 70 Prozent des Übergewichts sind genetisch bedingt, aber auch kulturelle Rahmenbedingungen spielen eine wichtige Rolle.

Regeln einführen
• Feste Zeiten für Ernährung, Entspannung und Bewegung einplanen.
• Schlafmangel ist ein Risiko für Übergewicht.
• Regelmäßig frühstücken: Gemäß einer Studie verbessern sich die Schulnoten nach Einführung des Schulfrühstück.

Gesundheitsbildung
Gemäß der UN-Kinderrechtekonvention (Art. 24 e) sollen die Vertragsstaaten sicherstellen, dass allen Teilen der Gesellschaft Grundkenntnisse über die Gesundheit und Ernährung des Kindes vermittelt werden, dass diese Zugang zu der entsprechenden Schulung haben und dass sie bei der Anwendung dieser Grundkenntnisse Unterstützung erhalten. Die UN-Kinderschutzbeauftragte Marlene Rupprecht plädiert dafür, dass sich jeder Lehrer und jede Schule in Sachen Ernährungswissen Freiräume schafft und dass Kochen wieder als Unterrichtsfach eingeführt wird.

Adressen
Beratung für die Einrichtung und das Management  bei der Umstellung auf 100 Prozent Bio in der Küche:
www.ilcielo.de 

Plattform Ernährung und Bewegung e.V. (peb):
www.ernaehrung-und-bewegung.de 

Deutsches Netzwerk Schulverpflegung e.V. (DNSV e.V.):
www.schulverpflegungev.net

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