Informationen in Balance

Im Internet gibt es zahlreiche öffentliche Foren, in denen Menschen ihre Gesundheitsprobleme diskutieren – auch zum Thema Schilddrüse. Dort werden oft regelrechte
Horrorgeschichten erzählt. Für Betroffene ist es daher nicht ratsam, öffentlicheForen unkritisch als Informationsquelle zu nutzen.

 

Die Schilddrüse  ist eine Hormondrüse an der Vorderseite des Halses. Sie besteht aus zwei miteinander verbundenen Hauptlappen, weshalb ihr Aussehen oft mit dem eines Schmetterlings
verglichen wird. Die Schilddrüse ist dafür zuständig, die überlebenswichtigen Hormone Trijodthyronin (T3) und Thyroxin (T4) zu produzieren. Dafür benötigt sie Eiweiß und Jod, letzteres muss über die Nahrung aufgenommen werden. Bei Jodmangel kann die Schilddrüse sich vergrößern. Gerät die Schilddrüse aus dem Takt, können ein veränderter Stoffwechsel, Kreislaufprobleme, gehemmtes Wachstum und psychische Auffälligkeiten die Folge sein. Experten schätzen, dass mindestens jeder dritte Erwachsene im Lauf seines Lebens an der Schilddrüse erkrankt – die Dunkelziffer ist hoch. Schilddrüsenerkrankungen können in jedem Lebensalter auftreten, die Häufigkeit steigt jedoch mit zunehmendem Alter.
Bei Schilddrüsenkrankheiten unterscheidet man zwischen hormonellen Fehlfunktionen wie Schilddrüsenüberfunktion oder Schilddrüsenunterfunktion und krankhaften Veränderungen des Gewebes wie Wachstum, Knoten und Tumore. Häufig bestehen Überschneidungen.

 

Wenn die Schilddrüse  operativ entfernt werden muss: Wer diese Diagnose bekommt und mit einem OP-Termin nach Hause geschickt wird, fühlt sich oft allein gelassen. Denn Informationen, die über das rein Medizinische hinausgehen und die erläutern, was dieser lebenslang spürbare Eingriff konkret für die oder den Operierten bedeutet, gibt es häufig nicht. Dann ist die Versuchung groß, ins Internet zu gehen und in Chat-Foren Berichte von Operierten zu lesen. Doch das ist nicht unbedingt ratsam. Denn auf öffentlichen Plattformen werden hauptsächlich problematische Verläufe geschildert und diskutiert. Dass es in Foren kaum positive Berichte von Schilddrüsen-Operierten gibt, ist nur verständlich, denn Operierte, die keine Beschwerden haben, suchen in der Regel keinen Rat im Internet. Probleme, von denen in Foren berichtet werden, sind häufig Gewichtszunahme, chronische Unterfunktion, Depressionen und Angstzustände nach der Operation. Es ist nachvollziehbar, dass solche Berichte sehr verunsichern können. Menschen, denen zu einer Schilddrüsenoperation geraden wird, sollten sich daher lieber an Anlaufstellen wenden, die seriös Auskunft geben können. 

´Tränen und völlige Verzweiflung 

Die Schilddrüsen-Liga Deutschland e.V. (www.schilddruesenliga.de) ist eine davon. Die Liga ist der Dachverband der Selbsthilfegruppen für Schilddrüsenkranke und deren Angehörige. Dort rät man davon ab, in unmoderierten Foren eine Horrorgeschichte nach der nächsten zu lesen. „Wenn Menschen mich anrufen, weinen und völlig verzweifelt sind, weiß ich, dass sie in solchen Foren unterwegs waren“, sagt Barbara Schulte, seit 25 Jahren Vorsitzende der Schilddrüsen-Liga und selbst Betroffene. „Dann dauert das Beratungstelefonat viel länger als sonst, denn ich muss die Leute erstmal wieder aus ihrer Angst holen.“Barbara Schulte kann nachvollziehen, dass Menschen Rat in Internetforen suchten. Immerhin mangele es in Kliniken und Praxen oft an vernünftiger und umfassender medizinischer Aufklärung, da Ärztinnen und Ärzte diese nicht gesondert abrechnen könnten. „Eine Beratung aus menschlicher Sicht fehlt in der Medizin“, meint sie. Betroffene, die sich ein ungeschöntes Bild von den Folgen einer Schilddrüsenoperation machen möchten, vermuten also oft zurecht, dass nur andere Betroffene ihre Fragen ehrlich und geduldig beantworten. In der Tat ist der psychologische Nutzen davon, ehrliche Antworten auf drängende Fragen zu bekommen, nicht zu unterschätzen. Statt Rat in unbegleiteten Foren zu suchen, kann man bei der telefonischen Beratung der Schilddrüsen-Liga anrufen, außerdem gibt es von der Liga organisierte Selbsthilfegruppen deutschlandweit. 25 sind es aktuell, mehr würden gebraucht. Doch es ist schwierig, Ehrenamtliche zu finden, die sich engagieren.

Gespräche nehmen die Angst

In den Beratungsangeboten der Schilddrüsen-Liga treffen Menschen, die die OP noch vor sich haben, auf solche, die bereits operiert sind – und ihnen häufig die Angst nehmen können. Denn tatsächlich gibt es mehr positive Geschichten, als es zunächst scheint. Viele Menschen bekommen ihre jahrelangen Beschwerden erst nach einer vollständigen Entfernung in den Griff, darauf weist auch Prof. Dr. med. Hans Udo Zieren, Ärztlicher Direktor des Deutschen Schilddrüsenzentrums und Chefarzt der Spezialklinik für Schilddrüsenchirurgie im nordrhein-westfälischen Hürth bei Köln, hin. „Die Berichte in den Internetforen sind nach meiner Erfahrung nicht repräsentativ, der Großteil der Menschen, denen die Schilddrüse entfernt wurde, kommt gut zurecht“, sagt Zieren, der – wenn man unbedingt in Foren lesen möchte – moderierte Angebote wie das des Bundesverbands Schilddrüsenkrebs (www.sd-krebs.de) empfiehlt, in dem es auch um andere Schilddrüsenkrankheiten als Krebs geht. 

Wichtig ist es laut Prof. Zieren nach der OP vor allem, dass die Patientinnen und Patienten gut medikamentös eingestellt sind. Fühlt man sich nach der Operation nicht wohl, gibt es viele Stellschrauben, um nachzujustieren, also die Medikation gut in den Griff zu bekommen. Möglichkeiten sind zum Beispiel, die Dosis der hormonellen Substitution zu variieren, die Einnahmezeitpunkte zu optimieren und eventuell andere Präparate zu verschreiben. Am Deutschen Schilddrüsenzentrum in Hürth gibt es zur Beratung und OP-Vorbereitung sowohl für Kassen- als auch für Privatpatienten eine spezielle Schilddrüsensprechstunde, auch viele andere Kliniken bieten solche Angebote an. Um die Informationen allen Betroffenen zugänglich zu machen, stellen Zieren und sein Team im Internet auf www.deutsches-schilddruesenzentrum.de nicht nur Informationen über die Schilddrüse, Diagnostikverfahren und Behandlungsoptionen sowie eine Arztsuche zur Verfügung, sondern bieten auch ein Fachwörterlexikon, in dem Patientinnen und Patienten für sie unverständliche Begriffe nachschlagen können. 

Auch die Schilddrüsen-Liga bietet ein „Schilddrüsenlexikon“, ebenso wie zahlreiche Informationsbroschüren zu Erkrankungen und Begleitkrankheiten, die man sich über die Webseite herunterladen kann. „Uns ist es sehr wichtig, dass Menschen verstehen, was Ärzte ihnen sagen oder schreiben“, betont Barbara Schulte. Daher geht sie im Zweifel auch Befunde mit denen durch, die sich an sie wenden. Ein Forum, in dem Betroffene sich digital austauschen, gibt es auf der Webseite der Schilddrüsen-Liga dagegen bewusst nicht – und wird es auch in absehbarer Zeit nicht geben. Denn solche Foren sind aus Sicht von Barbara Schulte nur seriös, wenn sie engmaschig von einem thematisch erfahrenen Moderator begleitet werden. Das kann die Schilddrüsen-Liga aus personellen Gründen nicht leisten. Schulte sagt klar: „Es gibt kein Schilddrüsenforum im Internet, das ich guten Gewissens empfehlen könnte. Die Leute sollten die Finger davon lassen, sich die Angstmacherei ersparen und sich lieber gleich seriös informieren.“ QC68L01

Die Autorin: Anne Zegelman ´ist Journalistin, unter anderem mit dem Schwerpunkt Gesundheit. Sie arbeitete als Redakteurin für die Ärzte Zeitung und das AOK-Mitgliedermagazin und setzte sich detailliert mit den Zusammenhängen des deutschen Gesundheitssystems auseinander. Außerdem ist sie selbst von einer Schilddrüsenerkrankung betroffen: Im Jahr 2016 wurde bei ihr die Krankheit Morbus Basedow diagnostiziert, eine Autoimmunerkrankung, bei der der Körper Antikörper gegen Teile der Schilddrüse bildet. Als sie die Diagnose erhielt, suchte sie zunächst Rat in Internet-Foren – und wünschte anschließend, sie hätte es nicht getan. Da sie außerdem als Bloggerin aktiv ist (www.dezembra.blog), entschied sie sich ein Jahr nach ihrer Schilddrüsenentfernung 2018, von den positiven Folgen ihrer Operation in einem Blogbeitrag zu berichten und anderen auf diese Weise Mut zu machen.