Der Wind ist ein nicht zu „packendes“ Phänomen. Und dennoch ist er da und sorgt für manchmal beeindruckende, manchmal beängstigende Auftritte. Ein Essay von Ljerka Oreskovic Herrmann.
„Like a hurricane“ heißt ein berühmter Song von Neil Young aus den 1970er Jahren, der die Liebe als einen Hurrikan, der einen davonweht, beschreibt („You are like a hurricane / There’s calm in your eye / And I’m gettin’ blown away / To somewhere safer / where the feeling stays“).
Einem Wirbelsturm gleicht die Macht der Liebe. Gegen beide „Widrigkeiten der Natur“ scheinen wir machtlos zu sein: „Blind vor Liebe, man verliert den Kopf“ – Sprichwörter belegen dies durchaus prägnant. Auch beim Wind ist die Spur – oftmals eine der Verwüstung wie bei Hurrikan Katrina – bleibend. Der Wind ist ein nicht zu „packendes“ Phänomen und kann weder direkt gesehen, noch ertastet werden. Und dennoch ist er da und sorgt manchmal für beeindruckende Auftritte: Wer erinnert sich nicht an das Requiem 2005 für Papst Johannes Paul II. in Rom. Der schlichte Sarg war vor dem Petersdom aufgebahrt, das Evangelium sorgsam darauf gelegt und der Wind führte Regie und war Hauptdarsteller in einem: Er blätterte in den Seiten – vor und zurück.
Von der ersehnten Brise zum gefürchteten Hurrikan
Viele Schriftsteller haben dem Wind ein Denkmal gesetzt, zahlreiche Aphorismen und Sprichwörter haben ihm eine zumindest auf Papier gedruckte Gestalt verliehen: „In den Wind reden“, „vom Winde verweht“ oder auch „der Wind hat mir ein Lied erzählt“. Oftmals verbinden wir ihn mit Bildern aus Kindertagen: Ein aufgeblähtes, pustendes und doch freundliches Gesicht schaut den Betrachter an. Kinder werden diese Mimik unwillkürlich imitieren und mit Inbrunst pusten. Aber so sehr wir uns an heißen Sommertagen auf eine kleine Brise, einen Lufthauch freuen, so sehr kann diese „Luftmaschine“ auch ihre feindlichen Seiten zeigen. Ganze Landschaften können vom ständigen Wind abgetragen werden und verkarsten. Neben den gefürchteten Hurrikans, denen ein kräftiger Wind vorausgeht, und alljährlich die USA und die Karibik medienwirksam heimsuchen, gibt es noch andere nicht minder kraftvolle Winde: wie der Wüstenwind aus der Sahara oder die Fallwinde in Europa, deren Windstärke die der Hurrikans bei weitem übertreffen.
Alle Wetterereignisse lassen sich in Klimazonen zusammenfassen, die Gebiete mit mehr oder weniger ähnlichen Wettermerkmalen in sich vereinen. Die regionalen Ausprägungen sind aber aufgrund der geographischen Eigenheiten und Bedingungen unterschiedlich. Ursache für die Phänomene sind sogenannte Luftdruckschaukeln. Unter diesem Begriff verstehen Wetterexperten große Luftdruckschwankungen in einem relativ weit gefassten Gebiet, wie beispielsweise im äquatorialen Pazifik, wo sich die Luftdruckdifferenz zwischen südwestpazifischen Hoch und dem indonesischen Tief, verbunden mit der sich ändernden Stärke der Passatwinde und der Lage des Oberflächenwassers, unter einem einzigen Begriff zusammenfassen lässt: El Niño.
Aus dem All erkennbare Staubfahnen
Der Harmattan aus der Sahara, ein mit Staub beladener Wüstenwind, der von November bis März, in der Trockenzeit, südwärts bis in den Golf von Guinea weht, wirkt vergleichsweise harmlos. Seine aufgewirbelten Staubfahnen sind aber aus dem All deutlich erkennbar und von beeindruckender Gestalt. Die Sichtweite auf der Erde ist dagegen eingeschränkt; wie ein zäher Nebel legt sich dieser Wind auf den südöstlichen Teil Afrikas, versperrt den Menschen tagelang die Sicht auf die Sonne, dabei gleichzeitig die Gefahr vor Buschfeuern beschwörend. Der Harmattan gehört zu den Passatwinden, den mäßig starken, aber beständigen Winden, die – wie der Name es andeutet – vorbeiziehen. Man unterscheidet zwischen den Passatwinden auf der nördlichen Halbkugel (nordöstliche Passatwinde) und den Passatwinden der südlichen Halbkugel (südöstliche Passatwinde); sie wehen immer aus Osten und um den Äquator herum.
Die Bora legt das Leben in Kroatien lahm
Ein anderes Kaliber dagegen sind die Fallwinde oder synoptische Winde, die bei besonderer Wetterlage entstehen; diese Luftmassen strömen aus den Bergen herab und können entweder warm (Föhn) oder aber, wenn sie kalten Luftmassen entstammen und in warme Gegenden strömen, kalt sein. Ihre Windstärke ist enorm, bis zu 200 km/h erreichen ihre Spitzenwerte; zu den zwei bekanntesten kalten Fallwinden in Europa zählen der Mistral in Südfrankreich und die Bora zwischen Triest, Kroatien und Montenegro.
Der Mistral, je nach Heftigkeit geben ihm die Provenzalen verschiedene Namen, ist ein Wind, der zu Beginn seines Auftretens noch warme Luft, aber dann umso heftiger aus Nordwesten weit über den Süden Frankreichs ins Mittelmeer hinein kalte Luftmassen mit sich führt. Die Beständigkeit des Mistrals hat die Bäume im Rhônetal deshalb in südlicher Windrichtung sich neigen lassen. Ein charakteristisches Merkmal für den Mistral ist der dunkelblaue, wolkenlose Himmel, die gute Fernsicht und nachts der imposante Sternenhimmel. Der als unangenehm empfundene kalte Wind sorgt für menschenleere Straßen und gleicht darin seiner „launischen Schwester“, der Bora. Der Name leitet sich übrigens von Boreas, dem griechischen Gott der Nordwinde, ab – dem mächtigsten Windgott, weshalb er auch für diesen Orkanwind Pate stand.
Die Bora (Bura auf kroatisch) zählt zu den stärksten Winden überhaupt, recht schnell und nur mit wenigen Anzeichen – einem charakteristischen Wolkenband im Küstengebirge – kann sie „auftauchen“; ihre heftigen Böen produzieren kurze, hohe und steile Wellen, die den Schiffsverkehr erschweren. Wenn sie „loslegt“, sollte man schnell Zuflucht suchen: Der Verkehr wird in Nordkroatien eingestellt, insbesondere im Velebit-Kanal bzw. Senj, da sie dort orkanartige Stärke erreicht, selbst die Autobahn A1 ist gesperrt und das öffentliche Leben ist de facto lahmgelegt. Die Insel Pag, Jahrhunderte von der Bora heimgesucht, ist auf der einen Seite völlig verkarstet – berühmt ist sie aber für ihren Schafskäse und Salz.
Der Wind hat mir ein Lied erzählt – welches auch immer das sein mag oder um es mit dem dänischen Philosophen Sören Kierkegaard zu halten, was für das Leben gilt, gilt gleichermaßen für den Wind: es wird „vorwärts gelebt und rückwärts verstanden“ und erst wenn er abgezogen ist, erkennen wir seine Wirkung.
Die Autorin
Ljerka Oreskovic Herrmann ist gebürtige Kroatin, studierte Romanistik, Anglistik und Philosophie, lebt und arbeitet in Frankfurt und beschäftigt sich u.a. mit Kunst und Kultur Kroatiens.
Foto: Roland Tichy
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