Die Natur als Verbündete

Eine intakte Natur ist von grundlegender Bedeutung für den Klimaschutz und für die Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Immer mehr Klimaschützer und Ökologen sind sich einig: Biodiversität und Klimaschutz müssen zusammen gedacht werden.
„Gesunde Ökosysteme und eine reiche Artenvielfalt sind die Grundlage für das Überleben der Menschheit.“ Diese Aussage findet sich im aktuellen Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC). Wohlgemerkt ist es der Weltklimarat, der auch feststellt: „Noch nähmen Ökosysteme mehr Treibhausgase auf als sie selbst verursachten. Doch die Abholzung des Regenwalds, die Trockenlegung von Torfmoorgebieten oder das Auftauen von Permafrostböden gehen weiter.“ In dem Bericht steht auch: „Dieser und andere Trends können noch umgekehrt werden, wenn Ökosysteme instandgesetzt, wieder aufgebaut und gestärkt und nachhaltig bewirtschaftet werden“. Da mittlerweile viel Natur zerstört ist, genügt es nicht mehr, den „Rest“ streng zu schützen, sondern es müssen Wälder, Graslandschaften, Feuchtgebiete und viele andere Ökosysteme „wiederbelebt“ werden, damit sie genügend Kohlendioxid aus der Atmosphäre holen können. Allein in Europa befinden sich beispielsweise mehr als 80 Prozent der „besonders wertvollen Lebensräume“ nach Angaben der Europäischen Umweltagentur EEA in einem „schlechten“ oder sogar „sehr schlechten“ Zustand und mit ihnen auch die dort lebenden Pflanzen und Tiere. Gut, dass das EU-Parlament mit dem Gesetz zur Wiederherstellung der Natur nun einen wichtigen Meilenstein auf den Weg gebracht hat. Bis 2030 sollen mindestens 20 Prozent der geschädigten Ökosysteme in Europa saniert werden.

die Natur walten lassen 

Ein vielversprechender Ansatz bei den anstehenden Aufgaben zur Stärkung der Natur ist Rewilding, die Förderung von Wildheit. Bereits vor 20 Jahren wurde das Konzept als Lösungsansatz gegen den Klimawandel und das Artensterben ent-wickelt. Es ist ein innovatives Konzept des Naturschutzes. Es geht darum, dass mehr großflächige Naturräume sich selbst überlassen werden, gestörte Ökosysteme regeneriert und stark geschädigte Landschaften wiederhergestellt werden. Durch Rewilding entwickelt die Natur selbst wieder vielfältigere, wildere und klimaresiliente Lebensräume. Am Anfang werden die nötigen Bedingungen geschaffen, wie der Rückbau von Dämmen und Wehren, um Flüssen ihren natürlichen Lauf zu ermög-lichen. Aber es geht auch um die Rückkehr von Wildtieren in Gebiete, aus denen sie aufgrund menschlicher Eingriffe verschwunden sind.

In Europa gibt es derzeit zehn Gebiete, in denen von der Organisation Rewilding Europe (siehe Randspalte) Projekte betreut werden: etwa in Portugal, im Donau-Delta und im Oder-Delta. Im Nordosten Portugals liegt der Schwerpunkt der Rewilding-Ini-tiative beispielsweise darin, Verbindungen zwischen zuvor fragmentierten Wildlebensräumen zu schaffen und zu stärken. Dabei gibt es sowohl Kerngebiete, in denen Natur und Wild im Vordergrund stehen, als auch Gebiete, in denen eine naturbasierte Wirtschaft gefördert wird. Ein weiteres Vorhaben ist die Wiederansiedlung von großen Weidetieren wie Wildpferden, Rehen und Steinböcken, die auch als biologische Feuerwehr wirken. Denn durch falsche Agrarpolitik und Landflucht entstand eine Landschaft mit hohen Gräsern und anderen Pflanzen,
die austrocknen und das Feuerrisiko erhöhen. Die Weidetiere reduzieren durch das Kurzhalten der
Vegetation das Feuerrisiko deutlich. 

Wilde Weiden 

Doch auch mit robusten Rindern und zusätzlich einigen Pferden, die das ganze Jahr hindurch grasen und Dung produzieren, kann man wertvolle Landschaften schaffen. Die „Wilden Weiden“ kommen natürlichen Zuständen näher als man auf den ersten Blick annimmt. Denn Millionen Jahre lang haben große Pflanzenfresser wie Wisente, Auerochsen oder Wildpferde an Europas Vegetation gefressen und so halb offene Parklandschaften geschaffen, in denen auch viele andere Tiere und Pflanzen zu Hause waren. Der Biologe und Natur-und Tierfilmer Jan Haft zeigt in seinem neuesten Buch „Wildnis“ (siehe Randspalte) die Bedeutung der „Wilden Weiden“ auf. »Wir könnten so auf einfache, billige und effektive Weise artenreiche Landschaften zurückgewinnen, wie sie früher in vielen Regionen Europas typisch waren«, meint Jan Haft. Das Dogma, dass Mitteleuropa von Natur aus dicht bewaldet war, stimmt so nicht. Darüber hinaus ist die Artenvielfalt bei den „Wilden Weiden“ weitaus höher als in den europäischen Wäldern. Nur ein Zehntel der heimischen Brutvögel kann im Wald existieren und sich vermehren. Und von den viertausend höheren Pflanzenarten, wie Bäumen, Wiesenblumen oder Farnen bewohnen nur zweihundertfünfzig den geschlossenen Wald. 

Es gibt viele weitere Ansätze, die Natur zu stärken, letztlich wird es aber darauf ankommen, wie sich das Verhältnis von Mensch und Natur entwickelt.Es ist die Frage, ob Mensch, Tier und Pflanze einigermaßen friedlich koexistieren können und die Natur als Verbündete gesehen wird und nicht in erster Linie als „Ressource“, über die man ungehemmt verfügen kann. QC69E05

Links zum Rewilding

Auf der Hauptseite der Organisation Rewilding Europe rewildingeurope.com gibt es zu jedem der be-
treuten Projekte detaillierte Informationen. Auf der deutschen Seite mit dem Aufruf zum Handeln
findet sich die Definition und die Grundsätze von von Rewilding kompakt und übersichtlich. 

www.rewildingeurope.com/
www.callforawildereurope/de/

Mehr zum deutschen Projekt Oder-Delta erfährt man hier rewilding-oder-delta.com/ 

Auf die Umweltkatastrophe in der Oder vom August 2022 wird in diesem Link eingegangen
rewilding-oder-delta.com/news/rewilding-oder-delta-plaediert-fuer-restorenature/ 

Buch-Tipps 

Wildnis Unser Traum von unberührter Natur . Jan Haft Penguin Verlag ISBN 978-3-328-60273-6 144 Seiten, 18 Euro 

Rewilding
Auf der Suche nach einem Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur. Simone Böcker  Aufbau Verlag.ISBN 978-3-351-04183-0 237 Seiten, 24 Euro