Die musikalische Hausapotheke

Als Christoph Rueger vor dreißig Jahren seine „Musikalische Hausapotheke“ vorlegte, titelte der Spiegel „Mozart statt Kamillentee: Berliner Professor empfiehlt Klassik-Melodien gegen Seelenschmerz“. Für Lebenslagen aller Art stellte der umtriebige Musikliebhaber in seinem Buch die passenden Musikstücke zusammen. Damit war Rueger Vorreiter einer Therapieform, die heutzutage in der Medizin immer häufiger angewandt wird und sogar Krebs- und Palliativpatienten dabei helfen kann, ihr Leben besser zu bewältigen.

Immer mehr Wissenschaftler beschäftigen sich mit den Wirkmechanismen von Musik und finden heraus, warum sie psychologische und physiologische Effekte zeigt. Der Musikpsychologe Stephan Koelsch von der Universität Bergen in Norwegen sagt beispielsweise: „Melodien sind wie ein Aufmerksamkeitskrake für unser Gehirn“. Melodien ziehen die körperlichen Ressourcen auf sich. Musik wirkt innerhalb von Sekunden, der Takt des Herzens und die Frequenz des Atems reagieren nach Aussage von Koelsch „unheimlich schnell“. Vermittelt werden diese körperlichen Reaktionen durch das autonome, also nicht willentlich steuerbare Nervensystem. Seinetwegen weiten sich auch die Pupillen und entspannen sich die Muskeln. Deshalb ließen sich bestimmte Krankheiten mit Musik lindern, etwa Depressionen, Schlafstörungen, Autismus, Schmerzen oder Tinnitus. Für viele Menschen ist es zudem ein Pluspunkt, dass Musik keine Nebenwirkungen hat.

Eine im Oktober 2021 veröffentlichte Überblicksarbeit kam zu dem Ergebnis: Krebspatienten etwa kann eine Musiktherapie während der Tumorbehandlung spürbar helfen. Joke Bradt von der Drexel-Universität in Philadelphia hatte zusammen mit anderen Wissenschaftlern 81 Studien zur Musiktherapie auf die Evidenz der Ergebnisse durchgesehen.

Die Wirkung der Musiktherapie hängt offensichtlich mit der menschlichen Psyche zusammen. Krebspatienten beispielsweise machen sich viele Sorgen und durchleben Episoden der Trauer und Niedergeschlagenheit. Eine Musiktherapie kann ihnen in dieser Situation Ängste nehmen. „Musik gibt ihnen emotionale und spirituelle Unterstützung“, urteilen die Autoren rund um Joke Bradt. Selbst Schmerzen gingen zurück. Wie in den ausgewerteten Studien nachgewiesen wurde, brauchten die Patienten nach einer OP weniger Schmerzmittel und konnten früher aus der Klinik entlassen werden.

Wer die Macht der Musik für sich nutzen möchte, sollte wissen, welche Klänge individuell besonders berühren. Die Stücke sollten dem Hörer persönlich gefallen und in eine positive Stimmung versetzen. Besonders wirkungsvoll ist mitsummen, im Takt wippen oder im Rhythmus der Musik ein- und ausatmen.

 

 

16. März 2022