Die Vielfalt auf der Welt nimmt immer mehr ab und wir bemerken das nicht, weil es schleichend geschieht. In seinem preisgekrönten Buch „Das leise Sterben“ beschreibt der österreichische Arzt Martin Grassberger leicht verständlich und eindrucksvoll die ökologischen Herausforderungen unserer Zeit und zeigt die Verhaltensweisen auf, wie wir den Ausverkauf der Umwelt verhindern können.

Der Zustand der Welt ist besorgniserregend. Komprimiert wie kaum irgendwo anders beschreibt Martin Grassberger, worin die Herausforderungen unserer Gegenwart liegen: Die Menschen werden immer stärker von chronischen Krankheiten gebeutelt, wie Herzerkrankungen, Krebs, Diabetes, neurodegenerativen Erkrankungen oder chronischen Atemwegserkrankungen.
Bei den Tieren sind derzeit vermutlich zwischen zehn und dreißig Prozent der Säugetier-, Vogel- und Amphibienarten vom Aussterben bedroht. Und die fruchtbare Erde unseres Planeten ist mittlerweile massiv geschädigt. Experten gehen davon aus, dass rund ein Drittel der Äcker durch die Methoden der industriellen Landwirtschaft unfruchtbar geworden ist.

Unsichtbare Zusammenhänge
Wie weitreichend die Folgen der industriellen Landwirtschaft sein können, zeigt Grassberger unter anderem am Beispiel von Glyphosat, dem Unkrautbekämpfungsmittel der Bayer-Tochter Monsanto auf. Laut Hersteller soll Glyphosat für Tiere, einschließlich Insekten und Menschen, unschädlich sein, da es auf ein Enzym abzielt, das nur in Pflanzen und Mikroorganismen vorkommt. Bedeutet die Tatsache, dass Glyphosat im Tierexperiment und im Reagenzglas eine sehr geringe Giftigkeit auf Säugetierzellen aufweist, dass die Substanz für den Menschen als harmlos einzustufen ist?
Dass diese Aussage von Monsanto zu kurz greift, das führt Grassberger in dem Abschnitt über „die unsichtbaren Zusammenhänge“ weiter aus. Denn unsere Körper bestehen aus einem Mosaik unterschiedlichster Merkmale und Eigenschaften verschiedenen Alters. Unsere zellulären Energielieferanten, die Mitochondrien, sind nichts anderes als vor langer Zeit „verschluckte“ Bakterien, also Mikroorganismen, auf die Glyphosat durchaus einen Einfluss hat. Die Ergebnisse aus Wissenschaft und Forschung sprechen eine deutliche Sprache: Alle mehrzelligen Lebewesen sind im Rahmen der gemeinsamen evolutionären Entwicklung mit den Myriaden von Mikroben eine Beziehung eingegangen. Die Gesamtheit aller Mikroorganismen nennt man auch Mikrobiom und derartige Mikrobiome gibt es im Boden und in allen Lebewesen, auch im Menschen. Alles ist miteinander vernetzt.

Glyphosat und Honigbienen
Auch die Honigbienen sind mit einem eigenen Bienen-Mikrobiom ausgestattet. Und hier liegt vielleicht auch der Schlüssel, der zum besseren Verständnis des gegenwärtigen Bienensterbens führen könnte. Denn die beobachtete erhöhte Sterblichkeit von Honigbienenvölkern wurde bisher mehreren Faktoren zugeschrieben und ist auch bis jetzt nicht vollständig geklärt. Neben der seit Jahrzehnten bekannten Varroamilbe schädigen auch die direkt auf das Nervensystem der Insekten wirkenden Insektizide aus der Gruppe der Neonicotinoide diese hilfreichen Bestäuber. Das Breitbandherbizid Glyphosat stört das Darm-Mikrobiom der Honigbienen empfindlich und macht es anfälliger für andere Krankheitserreger, mit denen sie sonst fertig geworden wären. Tatsächlich enthalten die meisten Bienen-Darmsymbionten das Enzym, auf das Glyphosat abzielt. Es bestehen lediglich Unterschiede hinsichtlich deren Toleranz gegenüber Glyphosat. Fest steht, die Exposition gegenüber Glyphosat verändert die Zusammensetzung des Mikrobioms der Bienen und erhöht ihre Anfälligkeit für Infektionen durch opportunistische Krankheitserreger.

Wie kann es weiter gehen?
„Die Lage scheint verfahren“, so schreibt Martin Grassberger und hat für die Leser dennoch Hoffnung zu bieten: „Die Landwirtschaft der Zukunft braucht Menschen mit neuen Ideen und Weitblick, die das Wissen der verschiedensten Möglichkeiten der Anbautechnik sowie der Boden- und Pflanzenökologie mit den praktischen Erfordernissen des Gemüse- und Ackerbaus sowie der Tierhaltung kombinieren“. Doch die Kernfrage lautet: Ist es mit den im Buch geschilderten Prinzipien des nachhaltigen und ökologischen Landbaus möglich, acht oder in Zukunft gar zehn Milliarden Menschen satt zu machen? Das Problem aus Sicht von Grassberger: „Die allgegenwärtige Lobby der Profiteure des gegenwärtigen Systems halten Fragen wie diese natürlich für ketzerisch und setzen die bloße Idee mit mittelalterlicher Hinterhofwirtschaft und Beihilfe zum Massenmord bei“. Zumindest für das kleine Land Österreich scheint die Frage beantwortet zu sein. Einer Studie des Zentrums für Globalen Wandel der Universität für Bodenkultur Wien und des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FIBL) aus dem Jahr 2018 zufolge könnte sich ein Land wie Österreich zu 100 Prozent mit Biolandbau selbst versorgen. Die einzige Voraussetzung wäre hierfür, entweder die vermeidbaren Lebensmittelabfälle um 25 Prozent oder den Fleischkonsum um 10 Prozent zu reduzieren. Hoffnungsvolle Ansätze, mit biologischem Landbau degradierte Böden wieder herzustellen und die Ernährungssicherheit zu verbessern, gibt es aber auch in Afrika oder Amerika. Der Autor versteht es, die komplexen Zusammenhänge verständlich und spannend zu lesen auf den Punkt zu bringen. Ein empfehlenswertes Buch!

Mikrobiom
So lässt sich der Körper vor Chemi­kalien schützen
• industriell produzierte/ in Dosen verpackte Nahrungsmittel vermeiden
• Aufbewahrungsmittel aus Kunststoff, wie etwa Plastikflaschen, vermeiden
• Kein Erhitzen in der Mikrowelle
• Spielzeug aus Kunststoff vermeiden
• Bio-Lebensmittel kaufen, da zu deren Produktion keine Pestizide verwendet werden dürfen.
• Auf Produkte verzichten, die endokrine Disruptoren enthalten (zum Beispiel Phthalate, Bisphenol A, Parabene)
• Auf Kosmetikartikel ohne synthetische Duftstoffe zurückgreifen
• Kontakt mit Thermopapier (Kassenzettel) vermeiden
• Bäume pflanzen, um die Luft zu reinigen

Buch-Tipp

Martin Grassberger
Das leise Sterben
Warum wir eine landwirtschaftliche Revolution brauchen, um eine gesunde Zukunft zu haben

Wissenschaftsbuch des Jahres 2020 in der Kategorie Naturwissenschaft/Technik.

Warnungen vor unmittelbaren Bedrohungen wie Umweltverschmutzung, Bodenverarmung und Abnahme der Biodiversität verhallen weitgehend ungehört. Der Humanbiologe und Arzt Martin Grassberger zeigt auf, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der rücksichtslosen Zerstörung der Natur und den leisen Epidemien chronischer Krankheiten besteht. Die Einsichten sind ernüchternd. Grassberger zeigt jedoch mögliche Auswege aus der gegenwärtigen globalen Gesundheits- und Umweltkrise auf. Das Buch der Stunde!

Residenz-Verlag,
336 Seiten
ISBN 978-3701734795
336 Seiten, Preis: 24 Euro

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